Rauch steigt aus einer Werft auf, die Berichten zufolge von einem ukrainischen Raketenangriff in Sewastopol auf der Krim getroffen wurde (Standbild aus einem Video vom 13. September 2023)

Besetzte Schwarzmeerhalbinsel Wie die Ukraine die Krim befreien will

Stand: 05.10.2023 11:48 Uhr

Jahrelang hat Russland die Krim zu einer militärischen Festung ausgebaut. Sie gilt als wichtigste Basis im Krieg gegen die Ukraine. Kiew setzt weiter auf ihre Befreiung - und wird nicht müde, um "Taurus"-Marschflugkörper zu bitten.

Von Vassili Golod, ARD Kiew

Ukrainische Spezialeinheiten im Einsatz auf der russisch besetzten Krim - zu sehen auf Videoaufnahmen, die der ukrainische Geheimdienst veröffentlicht hat. Was viele Beobachter lange für nicht möglich hielten, passiert seit Wochen immer wieder: Ukrainische Militäroperationen auf der Krim sind inzwischen Routine. Doch was macht das mit den Menschen auf der Halbinsel?

Die Berichterstattung ist von der Krim aus nicht direkt möglich. Eine Frau, die dort lebt, bittet, ihren Namen zu ändern und hat Angst, ihr Gesicht zu zeigen. Oksana unterstützt die Ukraine und fürchtet Konsequenzen wegen des Gesprächs. Im Telefoninterview erzählt sie: "Ich kann nicht sagen, dass sich das Leben verändert hat."

Vielmehr habe sich "die Vorstellung in unseren Köpfen" verändert. "Wir wissen, was passiert. Die Menschen lesen im Internet. Sie sehen, was passiert. Aber niemand sagt: Ich bin für die einen oder für die anderen." Aus Angst, schiebt sie hinterher.

Seit Monaten Beschuss von der Halbinsel aus

In den vergangenen neun Jahren hat Russland die Krim zu einer militärischen Festung ausgebaut. Aktuell sei die Halbinsel militarisierter denn je. "Wenn wir zum Beispiel in Richtung Kertsch-Brücke fahren, sind da sehr viele Militärfahrzeuge", berichtet Oksana. "So viele, dass man sie gar nicht zählen kann. Und es gibt sehr viele Soldaten, sogar in Simferopol."

Von der Krim aus beschießt das russische Militär die Ukraine seit Monaten massiv mit Raketen. Diese Raketen zerstören Häuser, die Energieversorgung und töten Menschen. Anatolij lebt auf der Krim. Er unterstützt Russland und hat keine Angst, sein Gesicht zu zeigen.

Zur Gewalt sieht er keine Alternative. "Wir freuen uns nicht, wenn es heißt, dass ein Kind gestorben ist. Oder eine Frau. Oder ein Mann, eine Oma oder ein Opa. Kein normaler Mensch, es sei denn, er ist Sadist oder ein Perverser, freut sich darüber. Aber jeder versteht mit schwerem Herzen: Wo gehobelt wird, fallen Späne."

Politikwissenschaftlerin sieht "systematisches Vorgehen"

Die Rückeroberung von Ölplattformen im Schwarzen Meer, die gezielte Zerstörung russischer Flugabwehrsysteme, Angriffe auf Marinestützpunkte - zuletzt mitten ins Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte. Dahinter steckt ein durchdachter Plan, erklärt Claudia Major, Sicherheitsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

"Wir sehen ein akribisches, systematisches Vorgehen, was darauf abzielt, die Krim für Russland unhaltbar zu machen", analysiert die Politikwissenschaftlerin. "In Kombination mit den Angriffen auf die Kertsch-Brücke und anderen Zugängen auf die Krim, ist das wirklich das Ziel: Die Krim unhaltbar zu machen und langfristig Russland dazu zu bringen, sie aufzugeben", sagt Major.

"Taurus"-Bedenken laut Ukraine nicht nachvollziehbar

Die Befreiung der Krim bleibe das Ziel, sagt Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine im Exklusiv-Interview mit der ARD. Großbritannien und Frankreich unterstützen das mit den Marschflugkörpern "Storm Shadow" und "Scalp".

Obwohl Bundeskanzler Scholz bislang nicht liefern will, hofft Danilow weiter auf deutsche "Taurus". "Wir berichten unseren Partnern über den Einsatz jeder Rakete, weil wir Vereinbarungen haben", sagt Danilow. "Wenn Herr Scholz Berichte über den Einsatz jeder 'Taurus'-Rakete benötigt, kann er sie bekommen. Es werden definitiv militärische Ziele sein." Die Deutschen bräuchten sich keine Sorgen machen, dass sie in diesen Krieg hineingezogen werden.

Die Bedenken aus Deutschland, wonach die Bedienung von "Taurus" zu komplex sei, kann der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats nicht nachvollziehen. "Es gibt kein System auf der Welt, das unsere Soldaten nicht beherrschen können, weil es hier um unser Leben und unseren Tod geht", sagt er.

Oleksij Danilow im Interview mit Vassili Golod

Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, betont im Interview mit ARD-Korrespondent Vassili Golod den Wunsch der Ukraine nach einer deutschen "Taurus"-Lieferung.

Selenskyj-Berater: Deutschland sollte stärker sein

Danilow stellt außerdem klar: "Wir führen keine Angriffe auf das Gebiet der Russischen Föderation mit Waffen oder Raketen aus Partnerländern durch. Wenn es Angriffe auf militärische Ziele gibt, ist die Munition ausschließlich aus unserer eigenen Produktion." Nach allem, was bekannt ist, hat sich die Ukraine bisher an alle Vereinbarungen mit ihren Partnern gehalten.

Die Ukraine brauche die Unterstützung, um die eigenen Territorien zu befreien. Es gehe um Freiheit, Demokratie und darum, "dass es aufhören muss, dass unsere Kinder getötet werden." Deutschland sollte in dieser Hinsicht stärker sein, meint Danilow.

Karte Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete