Die Überreste von zerstörten Gebäuden

Krieg gegen die Ukraine Was braucht es für Verhandlungen mit Russland?

Stand: 13.10.2024 06:01 Uhr

Parallel zur militärischen Unterstützung der Ukraine wird weltweit an Wegen zum Frieden gearbeitet. Doch Russland zeigt weiterhin kein Interesse an ernsthaften Friedensverhandlungen. Wie soll es weitergehen?

Von Vassili Golod, ARD Kiew

Pawlo Klimkin war zwischen 2014 und 2019 Außenminister der Ukraine und zuvor Botschafter in Deutschland. Er wurde im russischen Kursk geboren und verhandelte schon vor zehn Jahren nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion und dem Krieg im Donbas als ukrainischer Diplomat mit Vertretern seines Geburtslandes in Minsk über Wege zum Frieden. "Gespräche sollten aus einer starken Position heraus geführt werden", lautet seine Lehre aus diesen Erfahrungen.

Russland hält an Maximalforderungen fest

Klimkin findet, dass sich die deutsche Ukraine-Debatte zu wenig an den Realitäten orientiert. Verhandeln bedeute sehr viel mehr, als nur miteinander zu sprechen. Viele würden ignorieren, dass Russland an seinen Maximalforderungen festhalte und keine Bereitschaft zu ernsthaftem Dialog zeige. Zuletzt wurde das sichtbar, als Russlands Machthaber Wladimir Putin ein Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz mit Verweis auf fehlende gemeinsame Themen ablehnte.

Wohl auch, weil Russland die Ukraine und den Westen zur Zeit in einer Position der Schwäche sieht. "Verhandlungen aus einer schwachen Position zu führen, besonders mit denen, die gerade rund um Putin stehen oder auch mit Putin selbst, ergibt überhaupt keinen Sinn", sagt Klimkin. "Denn diese Leute ticken mental so, dass Schwäche immer ausgenutzt werden muss." Viele im Westen, stellen andere Diplomaten in Kiew fest, würden Putin und Russland noch immer nicht verstehen.

Finnische Außenministerin: “Wir müssen viel, viel mehr machen”

Dass es irgendwann zu Friedensverhandlungen kommen muss, ist Konsens bei den Diplomaten. Jeden Tag greift Russland ukrainische Städte mit Gleitbomben, Raketen oder Drohnen an. Zerstörerisch und zermürbend für das zivile Leben. Gleichzeitig werden jeden Tag an der Front Soldatinnen und Soldaten getötet, die schlecht ausgerüstet versuchen ihr Land zu verteidigen.

Angesichts dieses Abnutzungskriegs können viele westliche Diplomaten nachvollziehen, dass ihre Unterstützung in der Ukraine als zynisch wahrgenommen wird. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, so empfinden es viele im Land. "Ich denke, dass wir momentan ein wenig versagen", sagt die finnische Außenministerin Elina Valtonen.

Elina Valtonen

"Müssen viel mehr machen", so der Appell der finnischen Außenministerin Valtonen.

In den vergangenen zweieinhalb Jahren ist viel passiert: Finnland und Schweden sind der NATO beigetreten und die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen ist kein Tabu mehr. Doch die Ukraine jetzt in Friedensverhandlungen zu drängen, wäre der falsche Weg, meint die finnische Diplomatin. "Wir müssen wirklich viel, viel mehr machen", erklärt Valtonen. Finnland hat eine mehr als 1.000 Kilometer lange Grenze zu Russland. Hier ist die Sorge groß, dass Russland seine Aggression ausweiten könnte. Vergleicht man die Ukraine-Unterstützung nach dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP), steht Finnland in der Statistik vor Deutschland.

"Deutschland hat sehr viel geliefert", sagt Valtonen. "Aber wir alle in Europa sind besonders von hybriden Angriffen von Russland aus betroffen und auch existenziell, was unsere Wertegemeinschaft angeht. Wir sind alle im gleichen Boot. Und da wäre es ganz wichtig, dass wir alle uns dann auch an der Verteidigung, an der Abschreckung beteiligen und zwar nach dem BIP." Das Ziel müsse sein, der Ukraine in eine Position zu verhelfen, von der aus sie "so gerecht es geht verhandeln kann", betont Valtonen. Doch nach zweieinhalb Jahren Angriffskrieg scheuen sich große europäische Staaten davor Verantwortung zu übernehmen und gemeinsame strategische Ziele festzulegen. So kann auch diplomatisch kein Druck auf Russland ausgeübt werden.

Selenskyjs "Siegesplan": Ukraine stärken, Russland schwächen

Das will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj so schnell wie möglich ändern. Am besten noch vor den Wahlen in den USA, deren Ausgang für die Ukraine von existenzieller Bedeutung ist. Nachdem der geplante Ramstein-Gipfel unter Führung von US-Präsident Joe Biden auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, reiste Selenskyj mit seinem sogenannten "Siegesplan" durch die europäischen Hauptstädte. 

Ein Plan, der die Ukraine durch mehr und schnellere militärische Hilfe stärken und Russland durch schärfere Wirtschaftssanktionen schwächen soll. Doch noch immer wird Öl und Gas aus Russland in die EU importiert. Die Ukraine setzt in dem Papier außerdem auf eine Einladung in die NATO als echte Sicherheitsgarantie für die Zukunft. Doch das scheitert bisher am Widerstand der USA und Deutschlands. Die Erlaubnis, weitreichende Waffen gegen militärstrategische Ziele in Russland einsetzen zu dürfen, soll militärisch zu einem Befreiungsschlag führen. Doch die Chance auf einen Überraschungseffekt ist Militärexperten zufolge nach langen öffentlichen Debatten vertan.

Deutschland: Gesprächskanäle nach Moskau sind offen

Mit einer Kombination aus wirtschaftlichem und militärischem Druck will die Ukraine Russland zu ernsthaften diplomatischen Verhandlungen zwingen. Schon im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs legte die ukrainische Führung ihre Friedensformel vor. Um ein Ende der russischen Aggression und einen gerechten Frieden zu erreichen, basiert der Plan auf dem Völkerrecht und orientiert sich an bestehenden internationalen Verträgen. Unterstützerstaaten sondieren im Hintergrund in Arbeitsgruppen über Wege zum Frieden. Diplomaten berichten von langen Arbeitstreffen, vielen Abstimmungen und großen Anstrengungen. Doch bisher ändert das alles nichts daran, dass Russland weiter vorrückt und der Druck auf die Ukraine weiter wächst.

Aber was bringen die andauernden Bemühungen, wenn Russland sich aus diesem Prozess raushält? Sie erhöhen den diplomatischen Druck auf den Kreml, antworten erfahrene Diplomaten fast einstimmig. Parallel dazu müssten auch die Kosten des Krieges weiter erhöht werden, um ihn schneller zu beenden. Man arbeitet dafür am 15. Sanktionspaket.

Sollte Russland sich eines Tages gesprächsbereit zeigen, steht in Moskau der erfahrene Botschafter Alexander Graf Lambsdorff bereit. Auch das Kanzleramt hat weiter direkte Kommunikationskanäle in den Kreml. Doch bis diese Kanäle genutzt werden, heißt es aus Diplomatenkreisen, muss Russland zunächst zur Einsicht gebracht werden, dass es günstiger ist zu sprechen, als zu schießen. Mit einer solchen Einsicht rechnet vor den Wahlen in den USA niemand. "Wir in Europa müssen sehr viel mehr selbst leisten", sagt Finnlands Außenministerin Elina Valtonen. "Egal wie die Wahl ausgeht."

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