Bewaffneter in militärischer Uniform steht am 1. März 2014 vor dem Parlament der Krim in Simferopol.

Zehn Jahre Krieg in der Ukraine "Und wenn es unser ganzes Leben dauert"

Stand: 20.02.2024 16:26 Uhr

Vor zehn Jahren ließ die Regierung auf jene schießen, die für eine unabhängige Ukraine demonstrierten. Dann besetzte Russland die Krim und entfachte einen Krieg im Osten der Ukraine - acht Jahre vor der großen Invasion.

Im Februar 2014 schlägt die Regierung des korrupten Präsidenten Viktor Janukowitsch gewaltsam die Proteste auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in der Hauptstadt Kiew nieder.

Es treibt immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer auf die Straße. Als die Gewalt auf dem Maidan eskaliert, kommen mehr als hundert Demonstranten ums Leben. 

Russland spricht den Menschen in der Ukraine den eigenen Willen ab und unterstellt dem Westen, hinter den Protesten auf dem Maidan zu stecken. Doch es ist die ukrainische Zivilgesellschaft, die Reformen fordert.

Russland besetzt Krim und entfacht Krieg im Donbass

Während die Menschen in der Hauptstadt bei Protesten für die europäische Idee sterben, beginnt auf der Krim die erste russische Invasion. Russische Soldaten besetzen in der zweiten Hälfte des Februar 2014 die ukrainische Halbinsel.

Kurz darauf lässt Russland dort eine Schein-Abstimmung durchführen. Sie soll zeigen: Die Menschen wollen zu Russland gehören. Mit der folgenden Annexion der Krim bricht Russland Völkerrecht.

Im Frühjahr 2014 sammeln sich weitere russische Truppen an der ostukrainischen Grenze. Russland entfacht einen Krieg im Donbass mit Spezialkräften, Soldaten, Söldnern, Waffen und schwerem Kriegsgerät. Während in der belarusischen Hauptstadt Minsk über den Frieden verhandelt wird, besetzt Russland Teile des ukrainischen Staatsgebiets. 

Deutschland, Frankreich, die Ukraine und Russland sitzen in vielen Verhandlungsrunden in Minsk gemeinsam am Tisch. Die russische Seite ist offiziell nicht als Kriegspartei dabei, sondern präsentiert sich als "Vermittler".

Russland bestreitet damals noch die aktive Rolle im Krieg und ist nicht bereit, auf Augenhöhe mit der Ukraine zu sprechen. Feuerpausen werden immer wieder vereinbart und immer wieder gebrochen.

"Appetit der Aggressoren wächst"

Heute, zehn Jahre nach Beginn des Kriegs, sind fast 20 Prozent der Ukraine von Russland besetzt. "Wenn die internationale Gemeinschaft konsequent auf die Besetzung der Regionen Krim, Luhansk und Donezk reagiert hätte, würde es diesen großen Krieg einfach nicht geben", sagt die ukrainische Menschenrechtsanwältin Oleksandra Matwijtschuk.

"Denn solange so etwas ungestraft bleibt, wächst der Appetit der Aggressoren, weil man ihnen nicht auf die Hände geschlagen hat." Matwijtschuk dokumentiert die Gräueltaten der russischen Armee - seit zehn Jahren. Für diese Arbeit bekamen sie und ihr Zentrum für bürgerliche Freiheiten den Friedensnobelpreis.

Oleksandra Matwijtschuk (Archivbild: 23.11.2023)

Gemeinsam mit ihrem "Zentrum für bürgerliche Freiheiten” erhielt die Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk 2022 den Friedensnobelpreis.

Kampf für rechtliche Konsequenzen

Matwijtschuk geht es darum, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen - mit Hilfe der Justiz. "Wir können nicht warten. Wir müssen jetzt für Gerechtigkeit sorgen. Denn Russland hat zuvor ähnliche Kriegsverbrechen in Tschetschenien, Moldau, Georgien, Mali, Syrien, Libyen begangen", sagt die Juristin. 

Dafür sei Russland nie bestraft worden. Nur, wenn bei einigen Menschen in Russland Sorgen aufkämen, dass sie dieses Mal für ihre Taten belangt werden, würde sie das vielleicht davon abhalten, weiterzumachen, sagt Matwijtschuk.

Auch deshalb fordert sie einen Ausschluss Russlands aus dem UN-Sicherheitsrat und ein internationales Tribunal, noch vor dem Ende des Krieges.

"Einheit von 2014 macht die Ukraine heute stark"

Einer der erfolgreichsten Künstler der Ukraine ist der Rapper Yarmak. 2014 habe auch sein persönlicher Kampf begonnen, sagt er. Er habe gespürt, "dass es ziemlich schwierig und blutig werden würde". Heute rappt er über den Krieg - und kämpft selbst an der Front.

Gleich am ersten Tag des russischen Überfalls 2022 hatte sich Yarmak freiwillig für die Armee gemeldet und ist in knapp zwei Jahren zum Befehlshaber einer Drohneneinheit aufgestiegen. Die ganze Welt habe immer nur mit einem rationalen Blick auf die Ukraine geschaut, sagt er.

Wie viele Truppen hat Russland, wie viele hat die Ukraine? Aber sie haben unser Selbstvertrauen, unser Bewusstsein und unseren inneren Mut nicht in Betracht gezogen.

Er ist sich sicher: 2014 auf dem Maidan sei eine Einheit entstanden, die die Ukraine heute so stark mache - eine neue, gefestigte Zivilgesellschaft. Diese innere Stärke ist zum großen Teil verantwortlich dafür, dass die Ukraine sich so erfolgreich gegen den heftigen Angriffskrieg Russlands verteidigen kann.

Die vielen Toten und Verwundeten

So wie Yamark kämpfen und arbeiten viele Ukrainerinnen und Ukrainer unaufhörlich für die Verteidigung ihres Staates und ihrer Freiheit. Auch Serhij Ryschenko. Er leitet eine Klinik in Dnipro im Osten der Ukraine. 2014 hat Ryschenko erstmals im Operationssaal gesehen, wie der Krieg aussieht, wie er riecht.

Oft fühle er sich heute wie an der Front, sagt der Chefarzt. Täglich werden in seinem Krankenhaus Soldaten von der gesamten Front behandelt und dann in andere Krankenhäuser im ganzen Land verlegt.

Er sei in den letzten Jahren durch Höhen und Tiefen gegangen aber zweifle nicht, sagt Ryschenko: "Wir werden nicht aufgeben, für die Zukunft unserer Kinder zu kämpfen, und wenn es unser ganzes Leben dauert."

Der Krieg bedeutet auch eine emotionale Abnutzung. Das viele Sterben zu ertragen ist eine ständige Überforderung, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die große Zahl Verwundeter und Toter, die von der Front kamen, hätte er nicht mehr ertragen können und ihn in eine Depression gestürzt. Nach all den Jahren habe er sich aber daran gewöhnt, sagt Ryschenko.

Aktuell verliert die Ukraine

Auch Ryschenko sagt, die Entwicklungen seit dem Maidan vor zehn Jahren habe die Bevölkerung stark gemacht. Doch die vergangenen zwei Jahre wirken zermürbend, und die Armee braucht dringend neue Männer.

Die Zivilgesellschaft fordert, dass die Einberufung gerechter wird. Vor allem, um eine Spaltung im Land zu verhindern. Denn viele Männer kämpfen seit mehr als 700 Tagen, während andere die Einberufung umgehen.

"Alle sind sehr müde", sagt der Rapper und Soldat Yarmak. Es sei ein "patriotischer Kern", der jetzt zwei Jahre lang aus eigenem Willen die Frontlinie gehalten habe, aber es seien eben auch nur Menschen, die da kämpfen und viele seien "wirklich müde".

Es gäbe noch einen Teil der ukrainischen Bevölkerung, der jetzt "langsam abwechseln" könne. "Ich hoffe, dieser Teil wächst ein bisschen." Yarmak fordert eine professionelle Grundausbildung für neu einberufene Soldaten.

Aber vor allem braucht die Ukraine die Unterstützung der westlichen Verbündeten. Das wissen die Menschen im Land. Aktuell verliert die Ukraine im Osten.

Es fehlt massiv an Munition, Soldaten sind erschöpft und müssen dringend ausgetauscht werden. Bei dieser Ausgangslage wird es für die ukrainischen Soldaten immer schwieriger, die eigenen Stellungen zu halten.

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