Walter Lübcke

Mord an Walter Lübcke Wenn aus Worten Taten werden

Stand: 29.12.2019 08:51 Uhr

Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke hat bewiesen, wie gefährlich Hetze im Netz sein kann: Über Jahre wurde er als Feindbild aufgebaut - und schließlich vor seinem Haus erschossen.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Am 2. Juni ist der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen worden. Zuvor war der CDU-Politiker immer wieder angefeindet worden. Dabei ging es zumeist um einen Satz; gefallen war dieser im Oktober 2015, als Lübcke in Kassel Lohfelden mit Bürgern über eine geplante Unterbringung von Flüchtlingen diskutiert hatte.

Rechtsradikale störten die Veranstaltung durch Zwischenrufe und Pfiffe. Lübcke trotzte den Anfeindungen, bedankte sich bei ehrenamtlichen Helfern und sagte an die Störer gerichtet: "Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten." Lübcke weiter: "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist."

In einem Interview betonte Lübcke noch einmal, seine Aussage sei an jene gerichtet gewesen, "die durch Zwischenrufe ihre Verachtung unseres Staates artikuliert oder diesen Schmähungen applaudiert haben". Er habe mehrfach gesagt, wie wichtig es ihm sei, "die Ängste derjenigen kennen und verstehen zu lernen, die einer Flüchtlingsunterkunft in ihrer Stadt und Gemeinde skeptisch und ablehnend gegenüberstehen".

Doch solche Differenzierungen und Zwischentönen gehen in den Empörungsmechanismen im Netz zumeist unter. Ein kurzer Video-Mitschnitt von Lübckes Aussage wird immer und immer wieder im Netz geteilt - ohne den Kontext. Gezielt wird der Eindruck erweckt, er habe pauschal allen, die Kritik an der Flüchtlingspolitik äußern, die Ausreise empfohlen. Lübcke wird im Folgenden beleidigt und bedroht, die Polizei muss ihn schützen.

Stephan E. wird abgeführt

Der mutmaßliche Täter Stephan E. wird abgeführt.

Suche nach Motiv

Auch Stephan E. soll bei der Veranstaltung gewesen sein. Fast vier Jahre später gibt er in einem Geständnis an, er habe aus Empörung über diese Aussage aus dem Jahr 2015 Lübcke erschossen. Zwar zieht E. dieses Geständnis später wieder zurück, dennoch lässt sich erahnen, wie tief der Hass auf Lübcke sitzen muss.

Dies zeigen auch die Reaktionen auf dessen Tod im Juni, der im Netz teilweise begrüßt wird. "Die Drecksau hat den Gnadenschuss bekommen!", schreibt ein Nutzer. Es finden sich zahlreiche ähnliche Kommentare. Die Politik ist aufgeschreckt, Drohungen gegen Politiker sollen nun ernster genommen werden.

Mehr Personal für Verfassungsschutz

Eigentlich sollte der Verfassungsschutz nach dem Bekanntwerden des NSU-Terrors 2011 die Gefahr durch rechte Gewalttäter besser in den Griff bekommen. Doch offenkundig wurde die Dynamik der Internet-basierten Hetze und Mobilisierung massiv unterschätzt.

Nach der Ablösung von Präsident Hans-Georg Maaßen machte sich dessen Nachfolger Thomas Haldenwang umgehend daran, den Nachrichtendienst neu auszurichten. Haldenwang spricht das aus, was viele Forschende und Fachleute schon länger festgestellt hatten: die neue Dynamik im Rechtsextremismus. Der Verfassungsschutz legt Konzepte vor, um vor allem seine Analysefähigkeiten zu verbessern, der Bundesinnenminister verspricht dafür mehr Personal.

Wie groß ist die Gefahr?

Viele Fragen bleiben in dem Fall noch zu klären: Warum schlug der mutmaßliche Täter Stephan E. fast vier Jahre nach der Veranstaltung in Kassel zu? Warum war er offenkundig überzeugt, nun sei die Zeit zum Handeln gekommen? Und wie viele andere Personen könnten durch Panikmache, Übertreibungen und Lügen möglicherweise zu Attentätern werden?

Stephan E. war bereits durch rechtsextreme Aktivitäten und Gewalttaten aufgefallen. Doch Anschläge wie in Christchurch, El Paso oder Halle zeigen, dass der Mord an Walter Lübcke kein Einzelfall ist. Verschwörungslegenden wie von einer vermeintlichen "Umvolkung" radikalisieren Menschen und treiben sie in eine paranoide Weltsicht.

"Halbsatz aus dem Kontext gerissen"

Anfang Dezember wurde Walter Lübcke posthum ausgezeichnet, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier überreichte die Wilhelm-Leuschner-Medaille der Familie des ermordeten Regierungspräsidenten. Lübcke habe das offene Wort gepflegt, sagte Bouffier, "war mutig und stand zu seinen Überzeugungen". Für seine aufrichtige und unerschrockene Einstellung habe er mit seinem Leben bezahlen müssen. Der Mord zeige "wie durch ein Brennglas" die Herausforderungen für Freiheit und Demokratie durch den Rechtsextremismus.

Lübckes Sohn Jan-Hendrik erinnerte an die christliche Überzeugung seines Vaters. Hasserfüllten Äußerungen sei er dabei stets entschieden begegnet. Ein Halbsatz seines Vaters aus dem Jahr 2015 sei aus dem Kontext gerissen und ihm zum Verhängnis geworden. "Aus Worten wurden Taten", so Jan-Hendrik Lübcke, "die unbegreifliche Ermordung unseres Vaters".

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