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Twitter-Übernahme durch Musk Meinungsfreiheit über alles?

Stand: 26.04.2022 12:38 Uhr

Der künftige Twitter-Eigentümer beruft sich auf eine sehr weitgehende Definition der Meinungsfreiheit. Kritiker warnen, Elon Musk gehe es vor allem um Macht, nicht um Freiheit.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Der reichste Mann der Welt und Chef des Elektroautobauers Tesla, Elon Musk, hat künftig beim Kurznachrichtendienst Twitter das Sagen. Welche Auswirkungen diese Übernahme haben wird, darüber wird derzeit viel spekuliert.

Während manche Analysten meinen, der neue Eigentümer sei das Beste, was Twitter passieren könne, sehen andere den künftigen Eigentümer deutlich kritischer. Diese Kritik bezieht sich insbesondere auf die sehr weitgehende Auslegung des Begriffs der Meinungsfreiheit, die sich Musk auf die Fahnen geschrieben hat.

"Es geht um Macht"

Robert Reich, Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley, bezeichnet die Visionen Musks als gefährlichen Unsinn. Dieser vertrete eine libertäre Vision eines "unkontrollierten" Internets. "Diese Vision ist gefährlicher Blödsinn", meint Reich, denn es gebe kein unkontrolliertes Internet: "Irgendjemand muss über die Algorithmen in jeder Plattform entscheiden - wie sie gestaltet sind, wie sie sich entwickeln, was sie offenbaren und was sie verbergen." Musk habe genug Macht, um "sich im Stillen diese Art von Kontrolle" zu verschaffen.

Reich verweist im "Guardian" auf die Zensur in Russland, die Lügen von Donald Trump und die Gefahren für die Demokratie durch Desinformation. Musk gaukele das falsche Bild einer schönen neuen Welt vor, in der jeder die Macht habe. "In Wirklichkeit würde diese Welt von den reichsten und mächtigsten Menschen der Welt beherrscht werden, die niemandem gegenüber für Fakten, Wahrheit, Wissenschaft oder das Gemeinwohl verantwortlich wären." Musk wolle das Internet "noch weniger verantwortungsbewusst" gestalten. Es gehe ihm nicht um Freiheit, sonder um Macht.

"Mehr Vielfalt durch klare Haltung"

"Twitter ist eine globale Plattform", betont David Kaye, Rechtsprofessor und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit. Wenn jemand mit viel Geld komme und die Regeln dort ändern könne, sei das ein Rückschritt, da Twitter jahrelang versucht habe, vernünftige Regeln aufzustellen, so Kaye. Insbesondere während der Pandemie habe sich Twitter zu einem vernünftigen Hüter der Meinungsäußerung entwickelt.

Twitter habe versucht, mehr Raum für eine Vielfalt von Stimmen zu schaffen, meint Kaye - und zwar "indem es eine härtere Haltung gegenüber Äußerungen einnimmt, die Menschen schaden und einschüchtern". Die Art von "absoluter, uneingeschränkter Rede, die Musk anscheinend fordert", sei "ein Hirngespinst, das die Menschen nur von der Plattform vertreiben würde". Twitter könne zu einer Kloake werden, warnt Kaye.

Plattformen zur Selbstbestätigung

Für diese Annahme sprechen die weitgehend erfolglosen Versuche von Aktivisten, eigene Plattformen aufzubauen. Doch Twitter-Klone wie "Parler" oder "Truth Social" von Ex-US-Präsident Donald Trump, die sich ebenfalls mit einer radikalen Auslegung der Meinungsfreiheit schmücken, sind lediglich Hotspots für Rechtsradikale und Verschwörungsanhänger, die sich zwar ungestört in ihrer Weltsicht bestätigen können - echte Diskussionen finden dort aber kaum statt.

Zudem sind solche Plattformen angesichts der gewalttätigen Sprache sowie der oft grotesken Inhalte für die große Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer wenig attraktiv.

Wo endet die Meinungsfreiheit?

Die aktuellen Diskussionen um Twitter sind alles andere als neu, sondern Teil einer grundlegenden Debatte über die Definitionen und Grenzen der Meinungsfreiheit. Während sich viele Plattformen lange auf die Positionen zurückgezogen hatten, sie seien entweder für die Inhalte nicht verantwortlich oder sie wollten keine "Zensur" ausüben, versprechen unter anderem Facebook und Twitter mittlerweile, Hass-Inhalte oder gefährliche Falschmeldungen zu Covid-19 zu entfernen oder zumindest mit Warnungen zu versehen.

Insbesondere der Sturm auf das Kapitol hatte den Druck auf die Netzwerke auch in den USA massiv verstärkt.

Während einige in solchen Einschränkungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sehen, meinen andere, es sei angesichts der Gefahren durch Hass-Inhalte und Desinformation notwendig, Grenzen zu setzen. Eine Diskussion, die freie Gesellschaften auch im Hinblick auf die russische Propaganda vor immer neue Herausforderungen stellt.

Unterschied zwischen den USA und der EU

Dabei sind die Voraussetzungen international sehr unterschiedlich - auch für Twitter. So werden in Europa soziale Netzwerke stärker reguliert als beispielsweise in den USA. Und insbesondere in Deutschland steht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz immer wieder in der Kritik, da viele Beobachter befürchten, es könne die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken.

Putins Russland hält sich angesichts seiner zunehmend totalitären Kriegspropaganda mit solchen Debatten nicht mehr auf: Twitter und andere Plattformen sind dort entweder nur eingeschränkt oder gar nicht mehr zu erreichen.

Die Vision des neuen Twitter-Eigentümers Musk von einer absoluten Meinungsfreiheit beschränkt sich daher ohnehin auf die Staaten, die solche Grundrechte garantieren - und diese auch weiterhin vor autoritären Angriffen schützen. Welche Maßnahmen dafür zulässig sind und wie weit der Begriff der Meinungsfreiheit definiert wird, muss dabei immer wieder neu ausgehandelt und diskutiert werden.

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