Der sicherheitspolitische Berater des ukrainischen Präsidenten, Olexij Danilow, betrachtet die Entwicklungen entlang der Frontlinie auf einem Monitor.
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Selenskyj-Berater im Interview "Putin ist bereits eine politische Leiche"

Stand: 11.04.2023 19:08 Uhr

Zu einer großen Offensive sei Russland nicht in der Lage, so der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, Danilow, im ARD-Interview. Und er geht davon aus, dass Putin auch nicht auf die Unterstützung Chinas setzen kann.

Von Vassili Golod, ARD Kiew

Olexij Danilow ist seit Oktober 2019 Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine. Dass auf dem Besprechungstisch in seinem Büro ausgerechnet ein Schachbrett steht, gleicht einem Klischee. 

Nach den Regeln des Schachspiels machen die weißen Figuren den ersten Zug. Doch auf Danilows Brett wurde zuerst ein schwarzer Bauer auf f5 gesetzt. "Dieser Zug steht symbolisch für die veränderte Weltordnung", sagt er nüchtern. "Früher gab es klare Regeln, doch seit dem 24. Februar 2022 ist alles anders."

Militär wünscht sich mehr Waffen

Danilow stammt aus der Region Luhansk, die fast vollständig von Russland besetzt ist. Auf einem großen Monitor analysiert er die aktuellen Entwicklungen entlang der Frontlinie. Über eine sichere Leitung tauscht er sich regelmäßig mit Generälen aus.

Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, hat im Dezember eine Liste veröffentlicht. Darin steht, welches militärische Gerät die Ukraine braucht. Der Westen hat zwar viele neue Waffen geliefert, bleibt aber unter den Zahlen, die Saluschnyj als notwendig erachtet hat.

"Diese Verhandlungen setzen voraus, dass wir kapitulieren"

"Wenn Sie mit den Militärs sprechen, werden Sie von ihnen nie das Wort 'genug' hören", sagt Danilow. Doch auch er würde sich mit Blick auf die geplante Gegenoffensive mehr Militärtechnik wünschen. "Was die Anzahl der Lieferungen betrifft: Natürlich würden wir gerne sehen, dass sie um das Zwei- oder Dreifache steigen."

Ein Fokus auf Diplomatie ist für Danilow in der gegenwärtigen Lage keine Option. "Diese Verhandlungen setzen voraus, dass wir kapitulieren", sagt der 60-Jährige. Die ukrainische Zivilgesellschaft würde keine Verhandlungen akzeptieren, die den nationalen Interessen entgegenstehen. 

Kampf um Bachmut: "Kein General hat widersprochen"

Die Stadt Bachmut steht seit Monaten symbolisch für die ukrainische Widerstandskraft gegen die russische Aggression. Die Ukraine hat hier die russischen Truppen erheblich geschwächt, den russischen Vormarsch weitgehend aufgehalten. Trotz hoher Verluste in den eigenen Reihen will die Ukraine die Stadt weiter nicht aufgeben. Militär und Regierung würden sich in dieser Frage regelmäßig abstimmen.

In der Öffentlichkeit war dabei von Meinungsverschiedenheiten die Rede. "Nicht ein einziges Mal hat auch nur ein einziger General in Bezug auf die Entscheidungen zu Bachmut widersprochen", sagt Danilow entschieden. "Wenn wir eine Stadt nach der anderen, einen Ort nach dem anderen aufgeben würden, säßen wir heute nicht hier, sondern entweder im Exil oder irgendwo an der Westgrenze." Die Ukraine könne ihr Land nicht aufgeben: "Dies ist unser Land, wir müssen es verteidigen."

"Russland wird zusammenbrechen"

Dass Länder wie Deutschland und Frankreich nach anfänglichem Zögern die Ukraine umfassend militärisch unterstützen, erkennt der sicherheitspolitische Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj dankend an. Doch der Westen würde seiner Ansicht nach noch immer einen großen Fehler machen.

"Er erkennt nicht, dass Russland beginnt zu zerfallen. Der Zerfall Russlands hat bereits begonnen und Putin hat ihn eingeleitet. Er hat den aktiven Teil des Zerfalls am 24. Februar 2022 begonnen. Russland wird zusammenbrechen", meint Danilow. Der Westen müsse sich auf eine Zeit nach dem derzeitigen russischen Präsidenten Wladimir Putin vorbereiten.

Zugespitzte Thesen, die den Feind diskreditieren, gehören in Kriegszeiten zu seinem Jobprofil. Vor allem, um die Moral im eigenen Land hochzuhalten. Danilow wird gerne zitiert, weil er gezielte Verbalattacken beherrscht. "Putin ist bereits eine gespielte Karte, er ist bereits eine politische Leiche. Wann er zu einer physischen Leiche wird, ist nur noch eine Frage von kurzer Dauer", sagt Danilow.

Russland nicht stark genug für erneute Offensive

Überhaupt lebe Putin in einem alten Paradigma. Beeinflusst von sowjetischen Filmen kündige er Dinge an, die nach Ansicht von Danilow nicht der Realität entsprechen. "1600 Panzer - das sind Träume", sagt Danilow. "Vielleicht schaffen sie es tatsächlich in fünf Jahren, aber sicher nicht in einem Jahr." Außerdem stehe Russland unter Sanktionsdruck und werde das jeden Tag "mehr und mehr spüren".

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats geht aktuell nicht von weiteren russischen Offensiven aus:

Wir wissen, was Russland heute an militärischen Komponenten hat - und das ist definitiv nicht genug für eine groß angelegte Offensive auf dem Territorium der Ukraine. Denn sie haben nicht damit gerechnet, mehr als ein Jahr lang in aktive militärische Operationen verwickelt zu sein.

"China wird es nicht wagen, Russland zu beliefern"

Um weiterzumachen, sei Russland abhängig von Unterstützern wie dem Iran. Doch die Zahl russischer Verbündeter auf der Welt sei überschaubar. China zähle nicht dazu, ist Danilow überzeugt und bedient wieder die Metapher des Schachspiels.

"China spielt kein Schach. Die überwiegende Mehrheit der Chinesen spielt Go, das ist ein völlig anderes Spiel. Das Ergebnis dieses Spiels ist die Eroberung von Territorien", sagt Danilow. "Ich glaube nicht, dass China es wagen wird, Russland direkt mit Waffen zu beliefern."

Vielmehr würde sich der russische Präsident Putin aktuell an jeden Strohhalm klammern. Und vor allem versuchen, sich selbst zu retten, während der chinesische Präsident Xi bei seinem Besuch in Moskau bereits nach Putins Nachfolger Ausschau gehalten habe. "Xi hat bereits ein gewisses Casting durchgeführt. Er hat sich Premierminister Mischustin sehr genau angesehen." Michail Mischustin sei seiner Meinung nach eine der Optionen für die Nachfolge.

Entscheidung über Gegenoffensive im "allerletzten Moment"

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats betont, dass über den Beginn der geplanten ukrainischen Gegenoffensive der Stab des Oberbefehlshabers im allerletzten Moment entscheiden werde.

"Wenn jemand glaubt, dass wir nur eine Option haben, dann entspricht das nicht der Realität. Sogar drei Optionen wären nicht viel", sagt Danilow.

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