Maja Göpel
interview

Klimawandel als Chance "Es ist ein fantastischer Innovationsauftrag"

Stand: 06.12.2023 20:16 Uhr

Bei der Klimakonferenz in Dubai geht es unter anderem darum, wie wir nachhaltig mit unseren Ressourcen auf der Erde umgehen können. Ideen zum Handeln gebe es genügend, sagt Politikökonomin Maja Göpel.

tagesschau.de: Wir haben einen Temperaturrekord nach dem anderen. Das CO2-Budget ist enorm hoch, und der Weltüberlastungstag liegt in diesem Jahr auf dem 2. August. Ist es nicht eigentlich schon fast zu spät zu handeln?

Maja Göpel: Ein zu spät gibt es in diesem Fall gar nicht. Worüber wir die ganze Zeit verhandeln, ist das Ausmaß der Veränderung, das wir unserem Ökosystem zumuten und damit natürlich auch die Lebensbedingungen für uns Menschen verändern. Es gibt Ziele, die berechnet wurden, wie das 1,5- Grad-Ziel. Diese Ziele haben so etwas wie den sicheren Umweltraum markiert, also bis da sind es klimatisch stabile Bedingungen.

Wenn wir das überreißen, dann wird es ungemütlich. Aber das heißt nicht, dass der Klimawandel entweder an oder aus ist, sondern eine um zwei Grad veränderte Welt ist immer noch deutlich besser als drei oder vier Grad. Und deshalb gilt weiterhin: Jeder Schritt, so früh wie möglich, zählt.

Maja Göpel
Zur Person
Maja Göpel ist eine deutsche Politikökonomin, Transformationsforscherin, Nachhaltigkeitsexpertin und Gesellschaftswissenschaftlerin. Sie lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie sagt: "Nachhaltige Zukünfte entstehen durch gemeinschaftliche Lernprozesse, verbindliche Regeln und vertrauensvolle Zusammenarbeit."

Wandel ist möglich

tagesschau.de: Ihr Bereich ist die Transformationsforschung, also der Wandel. Das würde also bedeuten, wir hätten jetzt noch die Chance zu handeln und etwas zu ändern - etwa in der Wirtschaft?

Göpel: Die Erkenntnis, dass die Art, wie wir wirtschaften, genau diese Transformationsprozesse in den Ökosystemen auslöst, ist jetzt 50 Jahre alt. Seitdem haben wir einige Veränderungen vorgenommen. Wir haben gesagt, wir möchten die Effizienz steigern, also weniger Ressourcen pro produzierter Produkteinheit beispielsweise einsetzen müssen. Wir haben die Energieintensität deutlich verbessert.

Jetzt sind wir aber an den Punkt gekommen, wo wir gesehen haben, dass wir so etwas wie Innovationssprünge machen müssen. Also nicht nur einzelne Produkte verbessern, sondern ein ganzes sogenanntes System. Da sprechen wir dann von Wenden. Eine Wende eines Energiesystems oder eine Wende eines Ernährungssystems oder eine Ressourcenwende.

Das heißt, dass wir wirklich konsequent darüber nachdenken, im gesamten Prozess von der Wiege bis zur Bahre, wie können wir möglichst minimal in die Ressourcen eingreifen und vor allem auch minimal Emissionen ausstoßen? Und da gibt es viel zu tun. Deshalb sprechen wir von Strukturwandel. Aber das ist natürlich auch ein fantastischer Innovationsauftrag.

Umdenken in der Landwirtschaft

tagesschau.de: Wo könnten wir anfangen? Sie haben die Ernährung genannt.

Göpel: Bei der Ernährung ist sehr klar dokumentiert, dass eine besonders tierreiche Ernährung leider sehr viele Nebeneffekte hat: sowohl für unser Grundwasser als auch für die Emissionen, auch die Abholzung der Regenwälder in anderen Teilen der Welt haben durchaus mit der Nahrungskette zu tun. Dass wir Soja beispielsweise, das dort angebaut wird, bei uns an Tiere verfüttern und dann wiederum das Fleisch konsumieren.

Das heißt, eine wirklich starke Reduktion von vielen Umweltveränderungen auf einmal ist durch eine Reduktion der tierischen Nahrungsmittel möglich. Deshalb gibt es auch Appelle, die sagen, dass die Subventionen für die Bauern und Bäuerinnen, die Tierbestände haben, entsprechend geändert werden müssen und anerkennen, dass das natürlich eine Umformung des bisherigen Geschäftsmodells mit sich bringt.

Wir könnten auch eine Mehrwertsteuer beispielsweise entsprechend anpassen und sagen, dass tierische Produkte, die momentan mit zwölf Prozent weniger besteuert werden, entsprechend höher besteuert werden und die pflanzlich basierten Produkte günstiger werden. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten, die uns diese Konsumorientierung dann auch sehr viel leichter machen würden. Und das Produzieren genauso.

Subventionen abbauen

tagesschau.de: Und jetzt haben Sie noch Energiewende gesagt. Das scheint eine sehr große Aufgabe zu sein - was könnte dort gehen?

Göpel: Eigentlich ist die Energiewende schon relativ weit gediehen. Ich glaube, wir müssen auch immer dorthin schauen, wo wir schon viel erreicht haben. International wird gerade verhandelt, dass die Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien inzwischen deutlich günstiger ist als aus fossilen Energien. Insbesondere wenn man ehrlich bilanziert, wie viele auch fossile Subventionen immer noch fließen. Das sind Milliardenbeträge pro Tag weltweit, gedacht in Profiten, die eingefahren werden, aber auch an Subventionen, die das, was die Erneuerbaren bekommen, in den Schatten stellen.

Würden wir dies korrigieren, wäre sehr klar, dass die Marktentscheidungen das erneuerbare Energiesystem priorisieren würden. Und darum wird momentan auf der COP gerungen, dass man diese Subventionen abbaut und einen vernünftigen CO2-Preis bringt, der dann noch einmal nicht fossile Energieträger bevorteilt. Dann würden wir merken, dass die Investitionen die reine Marktlogik noch mal beschleunigen werden und wie schnell sich die Erneuerbaren verbreiten können. Das Papier, das momentan auf dem Tisch in Dubai ist, sieht auch eine Verdreifachung der Erneuerbaren in den nächsten zehn Jahren vor.

Fairness spielt eine Rolle

tagesschau.de: Auch die Gesellschaft muss diesen Weg ja mitgehen. Hier aber gibt es eine große Skepsis - viele sagen, es bringt ja nichts, wenn ich allein irgendwas tue. Wie kann man das ändern?

Göpel: Das Spannende ist, dass wir diese Idee ein bisschen eingebaut haben: "Ich würde ja, aber die anderen würden ja nicht"- das kennen wir aus der Psychologie und der Soziologie. Deshalb ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie wir über diese Themen sprechen. Dieser Glaube daran, dass die anderen nicht mitziehen würden, ist tatsächlich in sozialwissenschaftlichen Umfragen sehr verbreitet. Deshalb wünschen sich bis zu 60 Prozent auch wirklich Regeln und klare Verordnungen, damit sie wissen, dass alle mitmachen.

Das hat eine Fairnesskomponente, auch eine Studie im Harvard Social Economy Lab prüft die Akzeptanz von klimapolitischen Maßnahmen. Da sind drei Elemente ganz wichtig: Einmal die Effektivität auf die Zielerreichung, also besagte Lenkungswirkung. Dann die Verteilung. Also werden die Ärmsten nicht so stark belastet, dass es tatsächlich sehr schwer für sie wird.

Und drittens, der eigene Haushalt: Beim eigenen Haushalt kommt es einmal auf die Ideen an, wie viel Budget möchte ich haben, und wie viel Ausgaben kann ich mir leisten. Sehr stark geht es auch um den Vergleich mit denjenigen, zu denen man sich zugehörig fühlt, die Peers, also meine typische Vergleichsgruppe. Und deshalb sind die Gerechtigkeitsfragen, die Transparenz über die Verteilungswirkung von unterschiedlichen Interventionen für Klima unheimlich wichtig.

Aber gleichzeitig müssen wir dringend aufpassen, dass zu viel gemacht wird, dass auf einmal jedes Klimainstrument gleichzeitig eine soziale Fehlsteuerung mit ausräumen soll. Das sind natürlich Trends, die wir in der Gesellschaft auch haben - die wir über Mindestlöhne oder andere Ideen von Wohngeld, Zuschüssen etc. eventuell auch lösen können - das muss nicht alles in einem klimapolitischen Instrument mit bedient werden.

"Wir haben ein bisschen auf Blindflug geschaltet"

tagesschau.de: Was müsste also als erster kleiner Schritt gelingen?

Göpel: Es kann gelingen, Einkaufsentscheidungen anzupassen, also gerade im Bereich, den wir bei den Scientists for Future die vier Fs genannt haben: Fliegen, Fleisch, Fummel und Finanzen. Das sind alles Bereiche, die sehr wichtig sind, weil wir hier Wenden brauchen. Wenn wir uns als Konsumentinnen daran orientieren, welche Geschäftsmodelle schon die ökologischen Preise einrechnen, die sozialverträglich produzieren, dann unterstützen wir dadurch eben auch Unternehmen.

Und das nächste ist viel wichtiger gerade, in Deutschland, wo wir vieles so schlecht reden, "es geht eh nichts und in Deutschland schon mal gar nichts mehr", dass wir uns darüber austauschen und sagen: "Doch, wir finden das wichtig." Also Geschichten des Gelingens viel stärker zu verbreiten, weil die uns ja wieder inspirieren und uns selbst neue Ideen geben: Was könnte ich machen, beispielsweise an meinem Wohnort oder auch in meiner Firma oder auch bei der Lokalpolitik, mich dort entsprechend einzumischen. Darüber im Austausch bleiben, was eigentlich geht. Flagge zeigen, wirklich von der Politik einzufordern, dass sie die Rahmenbedingungen so ändert, dass das klimaneutrale und ressourcenleichte Leben leichter wird.

tagesschau.de: Und vielleicht auch darüber berichten, was es an positiven Errungenschaften bringt, wenn wir unsere Umwelt erhalten, oder?

Göpel: Das ist ja das Verrückte, dass wir immer nur mit diesen drei V unterwegs sind. Dieses Verbot, Verzicht, Verlust. Und dabei ist unter dem, was wir heute normal nennen, ja unheimlich viel Verzicht eingepreist. Also die ganze Schadschöpfung, die wir nicht sehen, weil die Preise sie nicht anzeigen beispielsweise. Aber wenn wir ein billiges Stück Fleisch erwerben, dann wird irgendwo anders eben Steuergeld dafür ausgegeben, Gülleeinträge vielleicht wieder aufzuräumen oder eben Ställe für diese Massentierhaltung zu subventionieren etc.

Wir haben also ein bisschen auf Blindflug geschaltet, weil wir gar nicht sehen, was sind die ökologischen Folgekosten, und wie sind die sozialen Effekte von vielen dieser Praktiken? Und das könnten wir mal transparent machen und dann sehen wir eben auch, was wir zugewinnen können.

Natürlich sind wir auch gesünder, wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren. Das sagt jede Gesundheitsberatung. Für die Deutschen heißt das ungefähr die Hälfte von dem, was wir im Durchschnitt essen, das wäre gesünder als das, was wir jetzt machen. Wir haben also ein wenig den Überkonsum normalisiert.

Wenn wir uns öfter mit dem Fahrrad bewegen und dann die Innenstädte entsprechend auch ausgerichtet sind, ist das natürlich für unsere Gesundheit, aber auch unsere Interaktion mit unserem Umfeld sehr viel erquicklicher, wenn Lebensräume nicht mehr so laut sind, nicht so verpestet sind, wir unsere Lungen besser schützen können und dann ist das natürlich eine angenehmere Tagesgestaltung.

Es gibt ganz viele Möglichkeiten, sich zu überlegen, wie es denn eigentlich schöner, besser und komfortabler oder zum Teil auch gesundheitsförderlich ist. Immer nur bequem und komfortabel - ich weiß gar nicht so genau, warum das so ein Idealzustand geworden ist. Und dann fahren wir mit dem Aufzug auf eine Tretmühle, wo wir Computer guckend unsere Beine bewegen lassen. Wir können uns doch im Alltag mal wieder als aktive Personen wahrnehmen, die sich für bestimmte Dinge einsetzen und auch mal ein Stück zu Fuß gehen.

Klimakonferenzen sind eine Messe der Möglichkeiten

tagesschau.de: Glauben Sie, dass Veranstaltungen wie diese Klimakonferenz mit diesen vielen, vielen Teilnehmern der richtige Ort sind, um da den richtigen Anstoß zu geben?

Göpel: Das ist natürlich ein großes Reiseaufkommen und ich habe manchmal das Gefühl, es wäre besser, wenn man die tatsächlichen Verhandlungen, also staatliche Repräsentantinnen, ein bisschen mehr abschirmen würden vor einer wachsenden Anzahl von Lobbyistinnen. Gerade aus dem fossilen Bereich und dem Konzernbereich hat das ja zugenommen.

Gleichzeitig ist es eine riesige Messe der Möglichkeiten. Vielleicht braucht es die nicht jedes Jahr. Es gibt durch die vielen Veranstaltungen immer Vorstellungen von dem, was in unterschiedlichsten Ländern von unterschiedlichen Akteuren schon gemacht wird. Und da werden Verbindungen geknüpft, man kriegt neue Anreize, man kann vielleicht sogar auch Geschäftsbeziehungen aufbauen. Das heißt, es hat auch einen wichtigen Impuls.

Gerade jetzt haben viele das Gefühl, was auch mit den Aussagen des Präsidenten der COP in Dubai zu tun hat, dass es gut ist, wenn Wissenschaftlerinnen vor Ort sind und sagen, dass sich die Wissenschaft schon klar darüber ist, dass wir die Fossilen wirklich jetzt langsam im Boden lassen sollten, was im Moment der Deal ist, um den gerungen wird.

Fossil fuel phase-out oder phase-down, das ist diese Sprache, die so klein und wenig unterschiedlich klingt, aber natürlich eine ganz andere Botschaft ist, ob wir weniger oder aus machen - das ist natürlich eine ganz andere Ansage. Darum wird sehr gerungen. Und deshalb haben viele das Gefühl, dass es wichtig ist, dass Aktivistinnen und Aktivisten und Wissenschaftlerinnen vor Ort sind, die immer wieder darauf hinweisen, dass die Verhandelnden eine klare Zielsetzung verfolgen können und sollten. Auch verhandelnde Menschen sind Menschen, die dort in psychologischen Situationen sind und da ist eine Unterstützung und eine Stärkung von schärferen Verhandlungspositionen im Sinne des Klimas manchmal auch tatsächlich live vor Ort nötig.

Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.

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