Mega-Solarpark

Klimakrise China - Solar-Pionier oder Kohlesünder?

Stand: 02.12.2023 04:12 Uhr

China gilt als Vorreiter bei den Erneuerbaren Energien, will bis 2060 klimaneutral werden - einerseits. Andererseits baut das Land weiter Kohleminen aus. Wie passt das zusammen?

Solarpanele so weit das Auge reicht. In der Kubuqi-Wüste in der Inneren Mongolei, im Norden Chinas, entsteht eines der größten Solarkraftwerke der Welt. Für das chinesische Vorzeigeprojekt werden Interviewanfragen gerne akzeptiert. Das kommt sonst nicht so häufig vor bei Anfragen bei chinesischen Behörden. Ein Vertreter der lokalen Energieverwaltung skizziert die Pläne gegenüber der ARD: Bis 2025 gebe es Kapazitäten von neun Gigawatt, so Zhong Yuzhan. Das Areal soll bis dahin auf knapp 20.000 Hektar anwachsen.

China gilt weltweit als Vorreiter im Bereich Erneuerbare Energien. Das Land hat so viele Solaranlagen installiert wie der Rest der Welt zusammen. Offiziellen Zahlen zufolge stammten im vergangenen Jahr 28 Prozent der Stromerzeugung in China aus Wind, Wasser und Solar. Das ist die Seite der chinesischen Energiewende, die China gerne von sich zeigt.

Es gibt aber auch die andere Seite, die ungebrochene Kohle-Abhängigkeit. Derzeit werden die Kapazitäten nicht abgebaut, sondern ausgebaut. Etwa 60 Prozent der Stromerzeugung speiste sich 2022 aus Kohle.

Dutzende Kohlekraftwerke sind in Planung

Die Volksrepublik will bis 2060 klimaneutral werden. China verursacht fast ein Drittel aller weltweiten Emissionen. Ob das im Pariser Abkommen der UN-Klimakonvention 2015 vereinbarte 1,5-Grad-Ziel als maximale Erderwärmung umzusetzen ist, hängt daher maßgeblich von der chinesischen Klimapolitik ab.

Eine Analyse des finnischen Zentrums für Energieforschung und des Global Energy Monitors zeigt: Überall im Land gibt es neue Kohle-Projekte, die Kapazitäten werden massiv ausgebaut, Dutzende Kohlekraftwerke sind in Planung. Auch dort, wo es bereits viel Abbau von Kohle gibt.

Kohelförderung sorgt für Auftrieb

Wenige Kilometer von dem Mega-Solarpark in der Kubuqi-Wüste in der Inneren Mongolei entfernt transportieren etliche rote Lkw Kohle auf einsamen Straßen, die sich durch die karge Landschaft schlängeln. Jahrzehntelang hat die Kohleförderung in der Inneren Mongolei für ein gewisses Maß an Reichtum gesorgt. Es gibt sonst nicht viel für das lokale Bruttoinlandsprodukt. Schafe, Kühe, ein wenig Landwirtschaft und viel Tagebau. Das sieht man auch im benachbarten, südlicheren Landesteil, in Shaanxi.

In einem kleinen Dorf in Shaanxi wird eine neue Kohlemine gebaut. Hier sind in den letzten zwei Jahren plötzlich wieder sehr viel mehr neue Geschäfte entstanden. Die Inhaberin eines Restaurants erzählt der ARD, wie sehr sie den Auftrieb spüren.

Ihr Geschäft laufe ganz gut. "Jetzt, da es einige Kohleminen gibt, ist der Verkehr stärker. Es kommen viele Leute bei uns vorbei. Viele, die in der Mine arbeiten, sind nicht aus der Gegend, viele kommen aus anderen Orten", sagt sie.

Blick in einen Ort in Shaanxi

Neue Geschäfte dank Kohlemine: Das kleine Dorf Shaanxi in Zentralchina floriert wieder.

Peking setzt auf Energiesicherheit

Die offizielle Begründung der chinesischen Staats- und Parteiführung für den Kohleausbau: Energiesicherheit. Es gab immer wieder Engpässe aufgrund von Hitzewellen; Wasserkraftwerke hatten zeitweise nicht genügend Wasser, um ausreichend Strom zu produzieren.

Das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt mit 1,4 Milliarden Einwohnern benötigt viel Energie. Mit dem rasanten Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte wuchs auch der Strombedarf. Manche Energieexperten sagen, dass China sein Ziel, ab 2030 CO2-Emissionen zu senken, möglicherweise schon früher erreichen könnte. Die Frage wäre dann: Wie lange bleibt es auf diesem Niveau?

Klimaneutralität bis 2060?

Den Klimawandel erkennt China offiziell an, daher auch das Ziel, langfristig - bis 2060 - klimaneutral werden zu wollen. Doch die zunehmenden Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse werden in den chinesischen Staatsmedien in der Regel nicht mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung gebracht.

In diesem Jahr war die Volksrepublik sowohl von massiven Überschwemmungen als auch von trockener Hitze mit Rekordtemperaturen betroffen. Zur Begründung hieß es, das alle paar Jahre auftretende Wetterphänomen El Niño aus Lateinamerika sei für das extreme Wetter verantwortlich. Dass das Wetterphänomen El Niño selbst laut Forschungen internationaler Experten durch den Klimawandel extremer werden könnte, wird dabei nicht erwähnt.

Experten: China kann Ziel erreichen

Guan Dabo ist Professor an der Tsinghua Universität in Peking. Er beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels und berät unter anderem China und die EU, wie sie in Klimafragen besser zusammenarbeiten können.

"China hat im vergangenen und vorvergangenen Jahr zahlreiche Hitzewellen erlebt", sagt er. "Das sind die Auswirkungen des Klimawandels auf uns." Zurzeit müsste China noch von westlichen Ländern wie Deutschland, den europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten lernen, um sich an den Klimawandel anzupassen, so Guang Dabo. "Chinas Maßnahmen sind noch nicht perfekt. Der Umgang mit dem Klimawandel ist eine langfristige Angelegenheit."

Dass die chinesische Staats- und Parteiführung ihr selbst gesetztes Ziel der Klimaneutralität bis 2060 erreichen kann, davon ist Guan Dabo überzeugt. Viele Experten außerhalb Chinas sind sich darüber einig. Über den jetzigen Ausbau der Kohlekraft sind jedoch viele besorgt.

Umweltschützer: Kohlekraft als Übergang unverzichtbar

Ma Jun ist einer der bekanntesten Umweltschützer Chinas. Er meint, die Kohlekraft sei als Übergang erst mal nicht verzichtbar, schon allein um Energiesicherheit zu gewährleisten, während die Erneuerbaren Energien ans Netz gehen. Doch er rät bei all den neuen Kohleprojekten zur Zurückhaltung und setzt auf künftige Innovationen bei den Erneuerbaren Energien:

"Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, um diese besser in unser Stromnetz zu integrieren", so Ma Jun. "Eine davon ist natürlich die Energiespeicherung. Zum anderen geht es um all diese verschiedenen regionalen Stromnetze, die besser koordiniert werden können."

Der Wind und die vielen Sonnentage im Norden des Landes in der Inneren Mongolei sind ein großes Kapital für die Energiewende in China. In den Weiten der Wüste ist beispielsweise noch Raum zum Wachsen für den Mega-Solarpark. Doch das Problem, welches Umweltschützer Ma Jun angesprochen hat, zeigt sich auch hier: Der Strom verlässt noch nicht die Grenzen der Inneren Mongolei, bleibt in diesem Landesteil. Der Verwalter des Solarparks sagt auf Nachfrage der ARD:

"Unser nächster Schritt ist, uns zu vernetzen." Sie würden daran arbeiten, den Landesteil rund um Peking mit diesem Strom mit zu versorgen, sagt er. Bislang bleibt China beides: Pionier in Solar und Wind, aber eben auch Kohlesünder.