Horst Seehofer
Analyse

Flüchtlingspolitik Seehofers Wandlung

Stand: 08.10.2019 19:11 Uhr

Innenminister Seehofer stand bisher nicht unbedingt für eine liberale Flüchtlingspolitik. Doch inzwischen kämpft er für die Rettung und Verteilung von Migranten. Warum dieser Wandel?

Eine Analyse von Janina Lückoff, ARD Berlin

Wer den Namen Horst Seehofer im Zusammenhang mit dem Begriff Flüchtlingspolitik hört, dem fallen wohl zuerst einige Zitate ein: das von der "Herrschaft des Unrechts" etwa aus dem Februar 2016. Seehofer prangerte damals Angela Merkels Entscheidung an, die Grenzen nicht zu schließen.

Auch dieses Zitat dürfte einem einfallen: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden."

Seehofer sagte dies im Juli 2018. In letzter Zeit sind solche Töne vom Bundesinnenminister kaum noch zu hören. Das mag daran liegen, dass er nicht mehr CSU-Vorsitzender ist - und damit nicht mehr hauptverantwortlich für die Wahlergebnisse seiner Partei. Auch steht gerade keine Landtagswahl in Bayern an.

Zahl der Asylbewerber sinkt

Vor allem dürfte es aber damit zu tun haben, dass die Zahl der Asylbewerber in Deutschland gesunken ist: In den ersten neun Monaten des Jahres 2016 hatten rund 658.000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Im gleichen Zeitraum des Jahres 2019 waren es 110.000. Die "Obergrenze", für die Seehofer einst so vehement kämpfte, und die nun als Spanne von 180.000 bis 220.000 im Koalitionsvertrag steht, wird wohl erneut nicht erreicht werden.

Dies gibt Seehofer den Freiraum, seinen Fokus nun von der nationalen auf die europäische Flüchtlingspolitik zu richten. So wie im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbart: Er setzt sich für einen EU-weiten Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge sein. Und es sind vermehrt solche Sätze von ihm zu hören:

Wir haben eben auch mit den Problemen zu tun, dass es akute Notfälle auf hoher See gibt. Und da, glaube ich, haben wir auch die Verpflichtung, Menschen vor dem Ertrinken zu retten.

Die zwei Seiten Seehofers

Viele sehen darin einen "neuen" Seehofer, einen gewandelten oder gar geläuterten. Tatsächlich aber sind es zwei Seiten einer Medaille, beziehungsweise eines Seehofers: der polternde CSU-Politiker ebenso wie der, der eine humanitäre EU-Flüchtlingspolitik fordert.

Die zentrale Rolle der Europäischen Union betonte Seehofer schon immer, wenngleich nicht so laut wie die Forderung nach einer Obergrenze. So sagte er in einem Interview im August 2017:

Menschen, die zurückgebracht werden, oder die dazu angehalten werden sollen, in ihren Herkunftsländern zu bleiben, sage ich noch einmal, denen muss man helfen. Auch diesen Staaten. Und man muss vor allem dafür Sorge tragen, dass sie menschenwürdig, human, behandelt werden. Das ist doch der Auftrag. Vor allem wäre das ein Auftrag für die Europäische Union!

Kleine Schritte für eine gemeinsame EU-Asylpolitik?

Tatsächlich kann nur eine gemeinsame europäische Asylpolitik gewährleisten, dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland dauerhaft niedrig bleiben. Das weiß auch Seehofer. Weil sich die EU-Staaten aber seit Jahren nicht auf einen Verteilmechanismus verständigen können, versucht Seehofer es nun mit kleinen Schritten: eine unverbindliche Vereinbarung, auf freiwilliger Basis, auf sechs Monate befristet und jederzeit kündbar.

Dass Deutschland 25 Prozent der aus Seenot Geretteten aufnimmt, wie Seehofer es angeboten hat, ist dabei nirgends schriftlich festgehalten. Bislang lag die Zahl der Aufgenommenen darunter: 225 Personen wurden in den vergangenen 14 Monaten an Deutschland überstellt, von insgesamt rund 2000, die im Mittelmeer gerettet wurden.

Die Aufregung in seiner eigenen Fraktion kann Seehofer deshalb nicht nachvollziehen. "Es ist schade, es ist vielleicht sogar beschämend, dass wir wegen dieser Größenordnung - 225 Menschen aus der Seenotrettung in 14 Monaten in Deutschland aufgenommen - dass wir wegen einer solchen Zahl eine solche Debatte führen", sagte er im Oktober.

Im Herbst 2016, als die Flüchtlingszahlen in Deutschland höher waren, hätte Seehofer so einen Satz wahrscheinlich nicht gesagt.

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