Die Landesvorsitzende der Grünen in NRW, Mona Neubaur, Arm in Arm mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Analyse

Wahlerfolg für die Grünen in NRW Kraft dank Berlin, Kraft für Berlin

Stand: 16.05.2022 06:23 Uhr

Die Grünen sind in Nordrhein-Westfalen so stark wie noch nie - und verdanken das wohl auch einem überzeugendem Auftritt ihrer Partei in der Ampel-Koalition. Trotzdem sind auf Bundesebene kaum lautere Töne der Grünen zu erwarten.

Eine Analyse von Kristin Joachim, ARD Berlin

In der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen ist es am Sonntagabend sehr ruhig. Ein fast leerer Presse-Raum, drei Kameras, ein paar Techniker. Kurz nach 18 Uhr kommt die Co-Vorsitzende Ricarda Lang aus einem Hinterzimmer ans Rednerpult und bedankt sich bei den Wählern in Nordrhein-Westfalen für deren Vertrauen.

Die Partei fährt innerhalb kürzester Zeit das zweite Rekordergebnis ein, nach Schleswig-Holstein am Sonntag vor einer Woche. Doch Jubel und Applaus brandet nicht auf. Lang hält hier allein die Stellung. Die große Party steigt in Düsseldorf.

Dabei hat auch die Bundespartei genug Grund zu feiern. Sie sind die einzige Partei aus der Ampelkoalition, die in Nordrhein-Westfalen triumphieren kann. Die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann bringt es später im ARD-Interview auf den Punkt:

Ich glaube, dass man kaum ermessen kann, was dieses Ergebnis eine Woche nach dem großartigen Ergebnis in Schleswig-Holstein für uns bedeutet: sehr, sehr viel!

Zugkraft von Baerbock und Habeck

Die große Zustimmung für die Grünen hängt zu einem großen Teil an der Zugkraft ihrer beiden grünen Bundesminister Robert Habeck und Annalena Baerbock. Ihr Krisen-Handeln vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine überzeugt viele Menschen offenbar. Habeck in seinem Bemühen, schnellstmöglich von der Energieabhängigkeit von Russland loszukommen, ohne die Menschen allzu sehr zu belasten. Und Baerbock, die von Beginn des Krieges an klare und deutliche Worte gefunden hat, anders als Kanzler Olaf Scholz.

Der Krieg hat auch in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf dominiert. Nun eine Verdreifachung des grünen Ergebnisses im bevölkerungsreichsten Bundesland - das hat auch Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis der Ampel-Koalition im Bund. Vor allem, da die beiden Koalitionspartner denkbar schlecht abgeschnitten haben: Die SPD, die ihr in NRW historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren hat und die FDP, die gerade so noch im Landtag vertreten ist.

Verschiebt die NRW-Wahl das Kräfteverhältnis in Berlin?

Hier verschieben sich Kräfteverhältnisse. Für die Grünen im Bund könnte es also heißen: breitbeiniger auftreten. Mit großem Selbstbewusstsein die eigene Agenda in der Ampel vorantreiben, sei es in der Verkehrspolitik, wo die FDP gerne bremst, oder ganz aktuell bei der Idee einer Übergewinnsteuer. Damit sollen Unternehmen, die durch den Krieg gegen die Ukraine überdurchschnittlich höhere Gewinne machen stärker besteuert werden. Auch hier konnten sich die Grünen bisher nicht gegen die FDP durchsetzen.

Doch entsprechende Töne der Grünen, jetzt mal ordentlich Dampf machen zu wollen, hört man bisher nicht. Grund dafür dürfte auch die Sorge sein, dass eine enorm geschwächte FDP für die Ampel zu einem Problem werden könnte und die Turbulenzen zunehmen könnten. Bisher hat es sich offenbar für die Liberalen nicht ausgezahlt, Teil der Regierung zu sein. Vielen FDP-Wählern gefällt der Kurs nicht, den ihre Partei in der Ampel eingeschlagen hat.

Lieber bescheiden bleiben

Die Grünen dürften also zugunsten des Ampel-Friedens die Füße stillhalten. Die Worte Bescheidenheit und Verantwortungsbewusstsein fielen im Pressestatement der Parteivorsitzenden Lang. Grundsätzlich würde es nicht zur Art der Grünen passen, plötzlich schrillere Töne anzustimmen. Staatstragend und verantwortungsbewusst sehen sie sich gern.

Dass die Grünen momentan so gut dastehen, hängt auch mit diesem Selbstverständnis zusammen. Und eines wissen viele Grüne aus Erfahrung auch nur zu gut: Das aktuelle Stimmungshoch, es kann auch schnell wieder vorbei sein. Ein Blick auf den vergangenen Bundestagswahlkampf zeigt das sehr anschaulich. Und spätestens, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien in die Vollen geht, wenn überall plötzlich neue Windräder gebaut werden sollen, wenn die Infrastruktur für grünen Wasserstoff aus dem Boden gestampft wird - dann erst kommt die Stunde der Wahrheit.