Hubert Aiwanger sitzt während einer Testfahrt im Wasserstoffzug «Mireo Plus H».
Porträt

Hubert Aiwanger vor Bayern-Wahl Einfach gegen "die da oben"

Stand: 03.10.2023 16:06 Uhr

Oft an der Grenze zum Populismus und auch mal darüber hinaus: Hubert Aiwanger hat den Wahlkampf in Bayern bestimmt wie kein anderer. Der Freie-Wähler-Chef beherrscht die Kunst der Inszenierung.

Von Regina Kirschner und Astrid Halder, BR

Sobald Hubert Aiwanger ein Bierzelt betritt, wird er gefeiert. Winkend geht der Spitzenkandidat der Freien Wähler durch die Reihen. Die Blaskapelle spielt auf. Die Menge klatscht im Takt, zwischendurch "Hubert, Hubert"-Rufe. Aiwanger lächelt und schüttelt viele Hände.

Im weißen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, legt er dann auf der Bühne los. Er kritisiert das Heizungsgesetz, die Grünen und die Ampelregierung im Allgemeinen. Er lobt Landwirte, Handwerker und überhaupt alle, die fleißig arbeiteten.

Welle der Solidarisierung statt Dämpfer

Das kommt gut an im bayerischen Bierzelt. Aiwanger setze sich für die Leute auf dem Land ein, auf die sonst keiner mehr schaue, loben Besucher. Und die Flugblatt-Affäre? Schließlich stand der Freie-Wähler-Chef tagelang wegen eines antisemitischen Pamphlets aus Schulzeiten unter Druck. Das sei 35 Jahre und damit viel zu lange her. "Es kann nicht sein, dass man für Kindheitssachen bestraft wird", sagt eine Frau im Dirndl. Eine "Sauerei" sei es und mehr als komisch, dass die Vorwürfe gegen den Freie-Wähler-Chef so kurz vor der Wahl laut geworden seien.

Zu den Vorwürfen äußert sich Aiwanger so wenig wie möglich. Stattdessen beklagt er weiterhin eine politische Kampagne, die ihn persönlich und politisch habe vernichten sollen.

Damit surft er auf einer Welle der Solidarisierung. In Umfragen zeigt sich: Die Flugblatt-Affäre hat den Freien Wählern nicht geschadet. Im ARD-BayernTrend zehn Tage vor der Wahl kommen die Freien Wähler auf 16 Prozent: Das bedeutet Platz zwei hinter der CSU. Die muss mit 36 Prozent den niedrigsten Umfragewert seit Langem hinnehmen.

Aiwanger als Galionsfigur

"Aiwanger konnte sich als Galionsfigur inszenieren", sagt der Politikwissenschaftler Alexander Straßner von der Universität Regensburg. "Für viele, keineswegs radikale Teile der Bevölkerung, ist der politische Stil einer Regierung und medialen Öffentlichkeit, die sich in deren Einschätzung allein dem urban-progressiven Milieu und ihrer höheren Moral verpflichtet sieht, unerträglich."

Bei seinen Bierzeltauftritten lobt Aiwanger nicht nur die Bauern, die "für unsere Lebensmittel sorgen". Er bekennt sich selbst geradezu offensiv zum Fleischkonsum. Wie CSU-Chef Markus Söder stellt er sich gern so vehement gegen ein Fleisch-Verbot, dass man meinen könnte, ein solches Verbot wäre tatsächlich im Anflug - was nicht der Fall ist.

Aiwanger fordert auch Steuerentlastungen, plädiert für die komplette Abschaffung der Erbschaftssteuer und sagt, man dürfe den Leuten auf dem Land das Autofahren nicht verbieten. Applaus erntet er vor allem für Kritik an den Grünen und dem Heizungsgesetz: "Schon die Neandertaler haben gewusst, dass die Höhle warm wird, wenn sie mit Holz einheizen. Aber die Ampel-Leute in Berlin wissen das bis heute nicht."

Volksheld oder Populist?

Aiwanger, der Mann des Volkes, ein Fürsprecher der "kleinen Leute": Ein Image, das nur deswegen funktioniert, weil er sich gerne als einer von ihnen präsentiert. Bis heute lebt der bayerische Vize-Regierungschef auf einem Hof in Rahstorf im niederbayerischen Landkreis Landshut. Da ist er aufgewachsen, hat schon als Kind im Stall geholfen. Er studierte Agrarwissenschaften und wurde Schweinebauer. Sieben Jahre lang war er Vorsitzender der Landjugend.

Gerne betont Aiwanger, dass er "schon mehr Bäume gepflanzt hat als alle Grünen zusammen", und dass die Bürger auf dem Land selbst am besten wüssten, was sie brauchen - ohne Bevormundung der Großstadt-Eliten. Es ist eine simple, aber wirkungsvolle Rhetorik, die Aiwanger bedient: die Großkopferten aus der Stadt gegen die kleinen Leute auf dem Land.

Die Kurzform lautet: die "da oben" - Aiwanger gebrauchte sie bei seiner umstrittenen Rede auf der Protestdemonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding. Eine Form der Elitenverachtung, die Experten als Definitionsmerkmal des Populismus sehen.

Scharfe Kritik nach Erding-Demo

Bei der Erdinger Demonstration zeigte Aiwanger, wie er polarisieren kann - und nach Ansicht vieler Kritiker auch Grenzen überschreitet. Vor rund 13.000 Menschen - darunter AfD-Anhänger - holte Aiwanger zum verbalen Rundumschlag aus. Es war vor allem ein Satz, der eine gewaltige Debatte entfachte: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen: Ihr habt's wohl den Arsch offen da oben."

Während die einen ihn für die "klaren Worte" überschwänglich lobten, kritisierten ihn andere scharf. Aiwanger nutze die Sprache der AfD, wiegle die Menschen auf und fische am rechten Rand.

Der Politiker selbst fühlt sich missverstanden. Er wolle mit einer "Politik nach gesundem Menschenverstand" enttäuschte Wähler, auch AfD-Wähler, zurückholen in die politische Mitte. "Durch die starken Grünen, durch die linke Meinungsmaschinerie, sagen die Menschen immer mehr: Ich will dagegen protestieren." Das müsse man ernst nehmen.

Zuspruch aus den eigenen Reihen

In der eigenen Partei genießt Aiwanger Rückendeckung. Die Freien Wähler schauen mit Respekt auf die Karriere ihres Spitzenmannes: 2008 der Einzug in den Landtag, 2018 Regierungsbeteiligung. Aiwanger als stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, zugleich Landes- und Bundesvorsitzender.

Aiwanger hebe sich ab "von den aalglatten Politikern anderer Parteien", sagt Fabian Mehring, der parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler. Das "Zugpferd" nennt ihn Fraktionschef Florian Streibl. Aiwanger spreche eine Sprache, die die Leute verstünden. Der Letzte, der so geredet habe, sei Franz Josef Strauß gewesen.

CSU unter Druck

Dass so ein Satz bei der CSU, die ihren Strauß bis heute verehrt, nicht gut ankommt, versteht sich von selbst. Beide Parteien kämpfen um dieselben Wählerstimmen: die Bürgerlich-Konservativen. In den Gemeinden und Landkreisen sind die Freien Wähler längst eine ernstzunehmende Konkurrenz zur CSU geworden. Sie stellen in Bayern 14 von 71 Landräten. Dutzende Freie-Wähler-Bürgermeister sitzen in den Rathäusern. Anders als die CSU zählen die Freien Wähler für viele aber nicht zu den etablierten Parteien.

Das ist ein Vorteil, denn gerade auf dem Land fühlten sich die Menschen sehr von der Politik generell im Stich gelassen, sagt Politikwissenschaftler Straßner. Der Grund: Themen wie Klimaschutz oder Gender Pay Gap seien aus Sicht der Landbevölkerung für deren Lebensumstände bedeutungslos. Die für sie relevanten Themen, wie Mobilität oder wirtschaftliche Probleme kommen laut Straßner auf der politischen Agenda nur indirekt vor.

Aiwangers Gespür für Themen

Aiwanger schafft es, die Menschen genau da zu packen. Er nimmt die Landwirte in den Fokus, die Mittelständler und überhaupt alle Menschen, die im ländlichen Raum leben. Er spricht über die Erbschaftssteuer, die Energiewende, Mobilität und Gesundheitsversorgung auf dem Land.

Dass Aiwanger ein besonderes Gespür für Themen hat, hat er in der Vergangenheit oft bewiesen. Beispiele sind die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums oder die Abschaffung der Studiengebühren in Bayern.

Angespanntes Verhältnis zu Söder

Immer wieder scheint es, als treibe Aiwanger Ministerpräsident Söder vor sich her. Zum Beispiel während der Corona-Pandemie, als Aiwanger Lockerungen forderte und sich zunächst nicht impfen lassen wollte. Es war der erste größere Koalitionsstreit zwischen CSU und Freien Wählern. Das Verhältnis zwischen Söder und Aiwanger gilt spätestens seit diesem Zeitpunkt als angespannt.

Wer die beiden bei öffentlichen Terminen beobachtet, erkennt das schnell. Söder reißt gerne Witze auf Kosten seines Stellvertreters. Der beißt dann gequält die Zähne zusammen und fühlt sich gegängelt. Mittlerweile kritisiert Aiwanger Söders Paraden gegen ihn offen und schießt auch mal zurück.

Besonders zimperlich ist er im Umgang mit dem Koalitionspartner ohnehin nicht. "Jeder kämpft natürlich in dieser Zeit für sich", sagte der bayerische Wirtschaftsminister dem TV-Sender "Welt" auf die Frage, ob er Mitleid mit der schwächelnden CSU habe.

Die Flugblatt-Affäre und Söders Zwickmühle

Zurückpfeifen kann Söder seinen Stellvertreter kaum, denn schon vor gut einem Jahr hat er sich auf eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern nach der Landtagswahl festgelegt. Eine Zwickmühle für Söder, die in der Flugblatt-Affäre offensichtlich wurde. Der Zuspruch aus der Bevölkerung und die enge Bindung an den Koalitionspartner: Beides hat dazu geführt, dass Söder quasi gar nicht anders konnte, als an Aiwanger festzuhalten - trotz aller Vorwürfe.

Politikexperte Straßner spricht von einer "Zweckgemeinschaft". Für Söder seien die Zeiten der absoluten Mehrheiten auch in Bayern passé und eine Koalition mit den Grünen unmöglich. Da der CSU-Wählerschaft eine Zusammenarbeit mit der SPD ebenfalls schwer vermittelbar wäre und die FDP womöglich am Wiedereinzug in den Landtag scheitert, bleibt Söder laut Straßner nur eine Fortsetzung der schwarz-orangenen Koalition.

Freie Wähler stellen Forderungen

Die Freien Wähler sehen sich folglich schon in einer guten Verhandlungsposition für die Koalitionsgespräche nach der Landtagswahl am 8. Oktober. Sie melden Anspruch auf ein viertes Ministerium an - möglicherweise das Landwirtschaftsministerium.

Aiwanger, der selbst Landwirt und Jäger ist, sagt dazu: "Landwirtschaft und Wirtschaft passen gut zusammen." Er wolle jedoch Wirtschaftsminister bleiben.

Dass die CSU das Landwirtschaftsressort hergeben wird, gilt ohnehin als unwahrscheinlich. Söder hat schon mal klargestellt: Das Landwirtschaftsministerium bleibt in CSU-Hand.

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