Christian Lindner gibt Unterstützern ein Autogramm.
Analyse

Corona und Digitalisierung Warum viele junge Leute die FDP wählen

Stand: 27.09.2021 15:10 Uhr

Die FDP hat besonders stark bei jungen Leuten abgeschnitten: Fast ein Viertel der Erstwählenden stimmte für die Liberalen. Hintergrund dürften die Corona-Krise und das Thema Digitalisierung sein.

Eine Analyse von Andrej Reisin, NDR und Patrick Gensing, ARD-aktuell

Je jünger die Altersgruppe, umso höher ihr Wahlergebnis: Die FDP hat bei der Bundestagswahl bei den Erstwählenden 23 Prozent der Stimmen geholt. Keine andere Partei schnitt hier besser ab.

In der Altersgruppe der 18-24-Jährigen kommt die FDP auf 21 Prozent der Stimmen, neun Prozentpunkte mehr als 2017. Nur die Grünen konnten in dieser Gruppe noch mehr Stimmen holen, nämlich 23 Prozent. Es folgen die SPD mit 15 Prozent, die Union mit zehn, die Linke mit acht und die AfD mit sieben Prozent.

Und auch in Berlin, das als eher linke Hochburg gilt, war die FDP bei den 18-24-Jährigen relativ stark, kam auf immerhin zwölf Prozent. Bei der vorherigen Abgeordnetenhauswahl waren es lediglich fünf Prozent gewesen.

Bild: FDP-Stimmanteile nach Altersgruppen im Vergleich zu 2016

Digitalisierung und Corona-Krise

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Konstantin Kuhle sagte im Gespräch mit tagesschau.de, zwar lägen ihm noch keine konkreten Zahlen zu den Gründen vor, warum viele junge Menschen ihr Kreuz bei den Liberalen machten. Im Wahlkampf sei es aber immer wieder um Digitalisierung und die Corona-Krise gegangen.

FDP-Parlamentarier Konstantin Kuhle

Betont die Opfer, die junge Leute in der Pandemie erbracht hätten: Konstantin Kuhle

Es werde oft so getan, "als hätten junge Menschen während Corona nur gechillt, während sie in Wirklichkeit die größten Opfer erbracht haben", betont Kuhle. "Sie haben unmittelbar erlebt, wie marode das Bildungswesen und die öffentliche Verwaltung sind, und dass Deutschland in Bezug auf Digitalisierung ein Entwicklungsland ist. Und sie haben erlebt, wie schnell ihre Freiheitsrechte im Zweifelsfall entzogen werden. Viele haben enorme Verluste erlitten, im Hinblick auf ihre Bildungschancen, aber auch im persönlichen Bereich." Kuhle kritisiert, "alle Räume, die für junge Menschen wichtig sind, Schulen, Universitäten, aber auch Sportvereine und Clubs waren geschlossen, viele sind vereinsamt, manche sogar psychisch erkrankt".

Die FDP habe diese Themen "wieder und wieder adressiert - und sich nicht einfach darüber hinweggesetzt", sagt Kuhle. Dafür wurden die Liberalen aus seiner Sicht an der Wahlurne belohnt. Auch die Zahlen weisen in diese Richtung: Viele Bürgerinnen und Bürger lobten die Partei dafür, sich in der Pandemie für die Freiheitsrechte eingesetzt zu haben.

Bild: Ansichten über die FDP

Wissenschaftler sieht vier Gründe

Für den Politikwissenschaftler Uwe Jun gibt es vier Gründe, warum junge Menschen FDP wählen: Freiheitsrechte, Digitalisierung, Bildungsgerechtigkeit und die Präsenz in Sozialen Medien. Im Gespräch mit tagesschau.de sagt Jun: "Während andere Parteien in der Corona-Krise Lockdowns befürwortet und umgesetzt haben, war die FDP die einzige Partei jenseits der AfD, die immer wieder ihre Stimme für individuelle Freiheitsrechte erhoben hat. Das spricht junge Wähler genauso an wie andere Positionen, zum Beispiel eine Liberalisierung der Drogenpolitik. Digitalisierung haben sich jetzt alle auf die Fahnen geschrieben, aber die Liberalen besetzten diese Position schon länger und sind dadurch auch glaubwürdig. Zudem haben sie mit Christian Lindner einen Spitzenkandidaten, der in den Sozialen Medien präsenter ist als viele andere."

Die Corona-Krise habe die Schwächen in den Bereichen Bildung und Digitalisierung gnadenlos offengelegt - davon profitiere die FDP nun. Zudem seien die Gemeinsamkeiten mit den Grünen in diesen Bereichen recht hoch, so dass die Chancen auf eine Umsetzung in den bevorstehenden Sondierungs- und Koalitionsgesprächen laut Jun gar nicht so schlecht stünden.

Kuhle betont Gemeinsamkeiten mit den Grünen

Auch FDP-Innenexperte Kuhle betont im Gespräch mit tagesschau.de, es gebe bestimmte gemeinsame Punkte mit den Grünen: "Wir kämpfen beide für ein Wahlrecht mit 16, wir wollen die ersatzlose Streichung des §219a, wir sind für eine liberale Drogenpolitik."

Kuhle kritisierte zudem abfällige Kommentare in sozialen Netzwerken zu dem guten Abschneiden der FDP bei jungen Leuten: "Man kann sich doch nicht hinstellen und sagen, junge Menschen haben ein politisches Bewusstsein, wenn sie die Grünen wählen, aber sie sind irgendwie blöd oder verblendet, wenn sie FDP wählen. Da müssen einige mal von ihrem hohen Ross steigen." Richtig sei allerdings, dass bei den Parteieintritten die Zahl junger Männer höher sei als der Frauenanteil, da müsse die Partei noch besser werden.

Jetzt richtig regieren?

Der Wahlerfolg bringt die FDP auf jeden Fall in eine komfortable Situation - ohne sie dürfte eine Regierungsbildung schwierig werden, da eine Koalition aus Union und SPD derzeit unrealistisch erscheint. Gemeinsam mit den Grünen können die Liberalen nun bestimmen, wer Deutschland künftig regiert.

Nach der Wahl 2017 hatte die FDP die Koalitionsverhandlungen mit Union und Grünen abgebrochen. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", sagte Parteichef Lindner damals. Damit dürfte sich die Anhängerschaft nicht erneut zufrieden geben: Nun muss die Partei wohl beweisen, ob sie die ihr zugeschriebenen Kompetenzen auch in der Praxis umsetzen kann.

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