Thomas Strobl
Interview

CDU-Parteitag "Die AfD ist eine Schande mit Parteistatut"

Stand: 05.12.2016 13:07 Uhr

Die CDU darf sich in der Flüchtlingskrise nicht zurücklehnen, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. Im Interview mit tagesschau.de spricht er über die neue Konkurrenz von rechts, Schwarz-Grün und die Nachfolge von Angela Merkel.

tagesschau.de: Auf dem CDU-Parteitag will Angela Merkel zum neunten Mal zur CDU-Parteivorsitzenden gewählt werden. Vor zwei Jahren statteten die Delegierten sie mit einem Traumergebnis von knapp 97 Prozent aus. Wieviel wird es diesmal?

Thomas Strobl: Das Problem bei so herausragenden Ergebnissen ist immer, dass man sie nicht mehr toppen kann. Ich bin aber ganz sicher, dass Angela Merkel auch diesmal ein sehr gutes Ergebnis bekommen wird. Denn in der Union haben alle verstanden, dass wir zusammenrücken müssen. Nicht nur wegen der anstehenden Bundestagswahl, sondern vor allem wegen der internationalen Krisen. Wir müssen uns jetzt unterhaken und die Reihen schließen. Denn Angela Merkel verkörpert Stabilität und Verlässlichkeit, wie keine zweite.

Thomas Strobl
Zur Person
Thomas Strobl ist Innenminister in Baden-Württemberg. Außerdem führt er die CDU im Südwesten und ist stellvertretender Bundesvorsitzender. Auf dem Parteitag in Essen stellt auch er sich zur Wiederwahl.

tagesschau.de: Bevor wir den Blick nach vorne richten, schauen wir doch kurz noch einmal zurück: Hinter der CDU liegt ein schwieriges Jahr. In fünf Bundesländern wurde 2016 gewählt, in nur einem davon gibt es heute einen CDU-Ministerpräsidenten. Die bundesweiten Umfragewerte liegen heute näher bei 30 als bei 40 Prozent. Haben die Delegierten da nicht allen Grund, erbost zu sein?

Strobl: Wir hatten kürzlich auf der CDU-Regionalkonferenz in Heidelberg eine sehr offene Aussprache mit der Parteibasis. Da gab es vereinzelt auch erboste Wortmeldungen, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Stimmung insgesamt außerordentlich positiv war. Angela Merkel hat viel und herzlichen Zuspruch für ihre Entscheidung bekommen, erneut für den CDU-Vorsitz und die Kanzlerschaft zu kandidieren. Diese Stimmung deckt sich auch mit meinen Erfahrungen, wenn ich mich täglich mit unseren Mitgliedern in Baden-Württemberg austausche.

"Nachfolgefrage erst am Ende des Jahrzehnts"

tagesschau.de: Merkel selbst zögerte nach eigenen Angaben lange, bevor sie sich  entschloss, erneut zur Wiederwahl anzutreten. Auch Sie sagten, Ihnen sei ein "Stein vom Herzen" gefallen, nachdem sie ihre Kandidatur verkündete. Warum hat die CDU heute niemanden, der Merkels Platz einnehmen könnte?

Strobl: Das ist ja nicht untypisch. In den Zeiten der großen Bundeskanzler gab es in den seltensten Fällen eine Heerschar an Nebenkanzlern und Kanzleraspiranten. Angela Merkel ist eine starke Regierungschefin. Sie hat im nächsten Jahr beste Chancen, für eine weitere Amtszeit, also bis 2021, gewählt zu werden. Die CDU muss sich also frühestens ungefähr am Ende dieses Jahrzehnts mit der Nachfolgefrage beschäftigen. Und bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. 

Kanzlerin Merkel (mi.) umringt von Ursula von der Leyen (von li. nach re.), Thomas Strobl, Peter Tauber und Volker Bouffier.

Angela Merkel und ihre Führungsriege. Von den Stellvertretern der CDU-Chefin hat nur Volker Bouffier eine Landtagswahl gewonnen.

tagesschau.de: Deutschland steht im kommenden Jahr ein harter Wahlkampf bevor. Die AfD steht vor dem Einzug in den Bundestag, zwischen SPD, Grünen und Linkspartei gibt es erste Annäherungsversuche. Auf welche Themen will die CDU setzen, um sich gegen die Angriffe aus zwei Richtungen zu behaupten?

Strobl: Wir müssen nach vorne schauen und Antworten auf die wichtigen Fragen der Zeit geben. Wie machen wir Deutschland fit für die Zukunft? Wie sichern wir Wohlstand und Arbeitsplätze in einer sich ändernden Welt? Wie nehmen wir die Menschen angesichts des schnellen Wandels mit - und zwar am besten so, dass sie Freude daran haben? Und als Innenminister füge ich hinzu: Wir müssen alles dafür tun, damit Deutschland ein sicheres Land bleibt. Wir müssen die Menschen in diesem Land vor Terrorismus und Kriminalität schützen – und zwar so gut wir es nur irgend können.

"Zuwanderung ist nationale Herausforderung"

tagesschau.de: Beim Thema Sicherheit haben Sie gerade erst neue Vorschläge präsentiert, die über den Leitantrag hinausgehen. Sie fordern mehr Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern, das Kürzen von Sozialleistungen und ein Rückführungszentrum in Ägypten, in das auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge gebracht werden sollen. Muss die CDU also wieder verstärkt rechts blinken, um sich zu behaupten?

Strobl: Die Bundeskanzlerin hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass es sich bei der großen Zuwanderung im vergangenen Jahr um eine nationale Herausforderung handelt. Um diese Herausforderung zu bewältigen, habe ich in meiner Funktion als stellvertretender Bundesvorsitzender jetzt Vorschläge vorgelegt. Die Fachleute sind sich einig, dass es sich um notwendige Maßnahmen handelt und nicht um etwas, das aus politischen Kalkulationen erdacht worden wäre. Ich bin deshalb ganz sicher, dass diese Vorschläge auch umsetzen werden.

Flüchtlingskinder spielen in der Unterkunft im alten Flughafen Tempelhof Fußball.

Die Zahl der Flüchtlinge ist im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen.

tagesschau.de: Wie stellen Sie sich das vor? SPD und Grüne - Ihre Koalitionspartner in Bund und Land - haben Ihren Vorschlägen bereits eine Absage erteilt. Sogar der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Ihr Parteifreund Klaus Bouillon, ging auf Distanz…

Strobl: Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz hat mir mehrfach bestätigt, dass er meine Vorschläge für richtig hält. Sie standen bei unserem letzten Treffen in Saarbrücken nur nicht auf der Tagesordnung. Das war aber auch nicht meine Absicht. Meine Innenministerkollegen und ich haben jedoch am Rande viel über das Thema gesprochen - und ich habe über die Parteigrenzen hinweg viel Zustimmung erfahren.

"Vielleicht haben wir zu wenig erklärt"

tagesschau.de: Zeigt dieser Fokus auf das Thema Sicherheit nicht, dass die Partei sich in den Vergangenheit zu wenig um die Menschen gekümmert hat, die beim Thema Zuwanderung skeptisch sind?

Strobl: Nichts ist so gut, als dass wir es nicht jeden Tag noch ein bisschen besser machen könnten. Vielleicht haben wir uns zu sehr um die Lösung der Probleme gekümmert und zu wenig erklärt, was wir eigentlich tun, warum wir es tun und was wir damit erreichen. Die CDU hat vor ziemlich genau einem Jahr beschlossen, die Zuwanderung zu begrenzen und niedrig zu halten. Das ist gelungen. In den vergangenen Monaten kamen noch etwa ein Zehntel der Flüchtlinge nach Deutschland im Vergleich zum jeweiligen Vorjahresmonat. Das ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Wir müssen die Weichen für das Jahr 2017 stellen. Wir müssen die riesige Integrationsaufgabe stemmen. Und wir müssen dafür sorgen, dass Menschen ohne Bleiberecht konsequent in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.

tagesschau.de:  Auch wenn die Flüchtlingszahlen deutlich gesunken sind: Die AfD ist in Umfragen weiter zweistellig. Wie wichtig ist es für Sie, die neue Konkurrenz von rechts aus dem Bundestag zu halten?

Strobl: Das ist nicht das Motiv, das uns bei unseren Überlegungen zur Bundestagswahl leitet. Viel wichtiger ist die Frage, dass wir die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit geben. Darüber machen wir uns, immer gemeinsam mit der CSU, Gedanken.

tagesschau.de: Das heißt, Sie können sich eine demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union vorstellen?

Strobl: Unser Ziel ist es, zu integrieren und zusammenzuführen. Wir müssen immer versuchen, die Menschen, zur Mitte hin zu integrieren. Dabei bleiben wir aber ganz fest auf unserer Grundlage stehen - und das ist das christliche Menschenbild. Um es auch ganz klar zu benennen: Die AfD ist eine Schande mit Parteistatut.

tagesschau.de: Sie regieren in Baden-Württemberg mit den Grünen. Ein Modell auch für den Bund?

Strobl: Unser Koalition in Baden-Württemberg ist aus der Verantwortung für Baden-Württemberg entstanden. Die Zusammenarbeit läuft gut. Wenn man in einem Jahr von Berlin aus auf uns schaut und zu dem Ergebnis kommt: Das ist ja ganz erfolgreich, dann habe ich nichts dagegen. Stand heute stelle ich fest: Wir haben in dieser grün-schwarzen Koalition viele Dinge auf den Weg gebracht, die in einer anderen Farbenkonstellation nicht, zumindest aber nur schwer denkbar gewesen wären.

"Erfreuliche Signale aus München"

tagesschau.de: Könnten auch Beobachter aus München zu diesem Ergebnis kommen? Schließlich sehen viele in der CSU die Grünen mehr als Gegner denn als potenziellen Partner.

Strobl: In den Zeitungen ist zumindest immer wieder von einer guten Zusammenarbeit zwischen den Ministerpräsidenten Seehofer und Kretschmann zu lesen. Eine Kooperation zwischen Grünen und CSU ist denkbar. Wir haben ja auch nach der letzten Bundestagswahl Sondierungsgespräche mit den Grünen geführt. Die sind nicht an der Union gescheitert, sondern an den Grünen. Klar ist aber auch: Der Parteitag der Grünen in Münster hat eine schwarz-grüne Koalition zumindest nicht leichter gemacht. 

tagesschau.de: Der Streit zwischen CDU und CSU ist in den vergangenen Wochen spürbar abgeflaut. Wann folgt auch öffentlich die große Versöhnung?

Strobl: Es gibt sehr erfreuliche Signale aus München, aber vor der Versöhnung steht Arbeit. Wir treffen uns im Januar zu einer gemeinsamen Sitzung in der bayerischen Hauptstadt. Da werden wir noch einmal die Köpfe zusammenstecken und uns über die Themen beugen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es uns gelingt, in weit über 90 Prozent der entscheidenden Fragen eine völlige Übereinstimmung zu erreichen. 

Das Interview führte Julian Heißler, ARD-aktuell

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