Menschen stehen an einem Wahllokal in Loitz an
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Bundestagswahl 2021 Wie nah waren die Umfragen am Ergebnis?

Stand: 30.09.2021 07:41 Uhr

Oft stand die Demoskopie nach Wahlen in der Kritik. Bei der Bundestagswahl liegen die tatsächlichen Ergebnisse aber nahe an den Werten aus Umfragen. Wieso ist das so? Und können Umfragen die Ergebnisse beeinflussen?

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Umfragen sind keine Prognosen - sondern jeweils aktuelle Stimmungsbilder: Das betonen die Institute zur Meinungsforschung immer wieder. Doch diese Stimmungsbilder vor der Bundestagswahl lagen bemerkenswert nahe an dem tatsächlichen Ergebnis.

So hatten die verschiedenen Institute einen knappen Vorsprung für die SPD vor der Union gemessen, der kurz vor dem Wahltag kleiner geworden sei. Zudem lagen die Werte für AfD, FDP und die Grünen nahe bei den Endergebnissen. Nur der Absturz der Linkspartei war noch drastischer, als es in den Umfragen erschien.

Umfragen mit Datum und das Ergebnis
Institut / Datum Union SPD Grüne FDP AfD Die Linke
Infratest dimap (16.09.) 22% 26% 15% 11% 11% 6%
INSA (20.09.) 22% 25% 15% 12% 11% 6,5%
Kantar (23.09.) 21% 25% 16% 11% 11% 7%
Forsch. Wahlen (23.09.) 23% 25% 16,5% 11% 10% 6%
Allensbach (24.09.) 25% 26% 16% 10,5% 10% 5%
Ergebnis 24,1% 25,7% 14,8% 11,5% 10,3% 4,9%

Streit um Briefstimmen

Der Sozialwissenschaftler Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Die Institute waren dieses Mal bemerkenswert gut." Thomas Wind vom Institut für Zielgruppenkommunikation zeigte sich im Gespräch mit tagesschau.de erstaunt darüber, wie nahe die Umfragen an den Ergebnissen lagen. Die geringeren Abweichungen könnten seiner Einschätzung nach unter anderem daran liegen, dass in den Umfragen auch viele Briefwählerinnen und Briefwähler erfasst wurden, die dann nicht ihre Wahlabsicht bezogen auf die hypothetische Sonntagsfrage äußerten, sondern ihre tatsächliche Wahlentscheidung bekanntgaben.

Genau um diese Frage hatte es einen juristischen Streit zwischen Bundeswahlleiter Georg Thiel und dem Meinungsforschungsinstitut Forsa gegeben. Der Bundeswahlleiter argumentierte, die Veröffentlichung von Umfragen vor Ablauf der Wahlzeit stelle einen Verstoß gegen das Bundeswahlgesetz dar, "wenn Briefwählerinnen und Briefwähler nicht nur nach ihrer Wahlabsicht, sondern nach ihrer Wahlentscheidung gefragt werden". Ein Gericht entschied aber zu Gunsten von Forsa. Ein Veröffentlichungsverbot beeinträchtige die Freiheit der Berichterstattung. Die Veröffentlichung von Wählerumfragen gehöre zum politischen und demokratischen Prozess.

Thiel sagte nach der Entscheidung, der Gesetzgeber müsse hier gegebenenfalls klarstellend tätig werden. Auch Allensbach-Chefin Renate Köcher regte nach der Wahl eine Diskussion über die Briefwahl an. Das Thema müsse debattiert werden, sagte sie bei einer Pressekonferenz verschiedener Institute.

Wissenschaftliche Regeln entscheidend

Die Diskussion zeigt, wie die Meinungsforschung mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert wird. Insgesamt sei die Situation für die Institute aber komplexer geworden, meint Forscher Wind, da jüngere Menschen kaum noch über Festnetztelefon zu erreichen seien und Online-Umfragen verschiedene Schwächen haben könnten. Daher versuchten verschiedene Institute nun, einen "Mixed Mode" zu entwickeln. Dabei sei aber immer entscheidend, eine repräsentative Basis zu finden.

ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn erklärt dazu, ob eine Umfrage repräsentativ sei, hänge "nicht in erster Linie davon ab, auf welchem technischen Weg sie durchgeführt wurde, sondern wie die Teilnehmer für diese Umfrage ausgewählt werden und ob diese Auswahl und die Durchführung nach den wissenschaftlichen Regeln der empirischen Sozialforschung erfolgt". Für die politischen Stimmungsmessungen der ARD würden "schon seit langer Zeit die Umfragen sowohl per Festnetz als auch mobil durchgeführt. Seit Kurzem wird ein Teil der Interviews auch online durchgeführt", erklärt Schönenborn weiter. Allerdings könnten sich "Teilnahmewillige nicht eigenständig in die Umfrage einklinken. Diese Vermeidung einer sogenannten Selbstrekrutierung ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal, das bei den allermeisten Online-Umfragen missachtet wird."

tagesschau.de veröffentlicht zu jedem DeutschlandTrend zudem die Datengrundlage für die Umfragen. Und in den jeweiligen Beiträgen dazu wird stets betont, dass es sich um keine Prognose, sondern um die politische Stimmung in der laufenden Woche handele.

Sonntagsfrage zur Bundestagswahl

Sonntagsfrage zur Bundestagswahl

Beeinflussen Umfragen die Ergebnisse?

Zu der Frage, inwieweit Umfragen das tatsächliche Ergebnis beeinflussen, erklärt Forscher Wind, es sei bisher nicht gelungen, die Wirkung von Umfragen isoliert zu analysieren: "Der Austausch im jeweiligen sozialen Umfeld ist vermutlich einflussreicher auf den Wahlentscheidungsprozess als die Rezeption von Umfrageergebnissen."

Es seien es vor allem Männer im Alter von über 50 Jahren und mit höherer Schulbildung , die sich überproportional oft für Ergebnisse der Demoskopie interessierten, sagt Wind. Qualitative Forschungen hätten zudem gezeigt, dass viele Menschen lediglich Überschriften zu Umfragen wahrnehmen - und sich weniger ausführlich mit Diagrammen und Details beschäftigen. Entscheidender sei daher die Schwerpunktsetzung durch die Medien bei den Meldungen zu den jeweiligen Umfragen.

Demoskopie besser als ihr Ruf?

Insbesondere nach der US-Wahl 2016 hatte es breite Kritik an der Meinungsforschung gegeben, da diese nicht den Wahlsieg von Donald Trump vorhergesagt habe. Tatsächlich stimmten viele Umfragen aber mit dem späteren Ergebnis überein: So holte Hillary Clinton damals auf nationaler Ebene die meisten Stimmen, so wie es Umfragen zuvor gemessen hatten.

Das Gallup-Institut räumte allerdings ein, dass es bei Kopf-an-Kopf-Rennen in einzelnen Staaten besonders schwierig sei, wirklich repräsentative Umfragen zu erheben, da es teilweise extrem große Unterschiede innerhalb der Staaten gibt - beispielsweise zwischen Stadt und Land. Es sei daher entscheidend zu verstehen, was Umfragen leisten könnten - und was nicht.

Mathematische Modelle für die Prognose

ARD-Experte Schönenborn sieht in einem höheren Anteil von Briefwählern auf jeden Fall kein Problem für die Umfragen an sich: "Bei der Messung der politischen Stimmung im Vorfeld einer Wahl ist ein hoher Briefwahlanteil kein besonderes methodisches Problem." Anders sehe das bei der Exit Poll am Wahltag aus, die unter den Wählerinnen und Wählern in den Wahllokalen durchgeführt wird: "Für die 18-Uhr-Prognose muss aber auch das Wahlverhalten der Briefwähler mitberücksichtigt werden."

Die Wahlforscher von Infratest dimap greifen dafür auf Erfahrungswerte von früheren Wahlen und auf Vorwahlerhebungen zurück. Außerdem ermitteln sie im Verlauf des Wahlsonntags, wie sich die Briefwählerinnen und Briefwähler im Land verteilen. Das ist regional sehr unterschiedlich. Mit all diesen Informationen fütterten die Fachleute ihre mathematischen Modelle und versuchten so, das Gesamtergebnis der Wahl um 18 Uhr zu prognostizieren.

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