Rohmilch wird in einen großen Bottich gefüllt.
Kontext

Werbung von Influencern Sollte man wirklich Rohmilch trinken?

Stand: 27.05.2024 16:36 Uhr

In den USA warnt die Gesundheitsbehörde wegen der Vogelgrippe vor dem Verzehr von Rohmilch. In vielen Ländern gibt es ohnehin strenge Vorschriften für den Vertrieb. Dennoch halten manche Rohmilch für besonders gesund.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Reinere Haut, ein gestärktes Immunsystem, bessere Verdauung: In den sozialen Netzwerken wird Rohmilch von Kühen, Schafen oder Ziegen gerne als Superfood angepriesen. Im Gegensatz zu erhitzter Milch soll sie demnach unter anderem mehr Nährstoffe enthalten. Einige Influencer raten daher selbst Schwangeren, Rohmilch zu trinken - entgegen allen ärztlichen Empfehlungen. Ist Rohmilch tatsächlich viel gesünder als "herkömmliche" Milch?

Was ist Rohmilch überhaupt?

Bei Rohmilch handelt es sich um unbehandelte Milch, die nicht erhitzt wurde. Milch, die es in Supermärkten zu kaufen gibt, wird in der Regel wärmebehandelt, um Krankheitserreger abzutöten. Dadurch wird die Milch auch länger haltbar gemacht. Die Haltbarkeit variiert dabei je nach Art des Erhitzungsverfahren.

Eine Möglichkeit ist die Pasteurisierung. Dabei wird die Milch für 15 bis 30 Sekunden auf etwa 75 Grad Celsius erhitzt. Dadurch werden krankmachende Mikroorganismen abgetötet und die Milch bleibt etwa bis zu zehn Tage haltbar. Durch eine Erhöhung der Temperatur, eine Mikrofiltrierung oder eine Doppelentkeimung kann die Frischmilch auch bis zu drei Wochen haltbar gemacht werden.

Sogenannte H-Milch wird für wenige Sekunden auf bis zu 150 Grad Celsius erhitzt. Dadurch sterben fast alle Mikroorganismen ab, weshalb die Milch ungeöffnet selbst ungekühlt monatelang haltbar ist.

Bei sterilisierter Milch ist die Erhitzungsphase deutlich länger und kann bis zu 30 Minuten dauern. Dadurch sterben sämtliche Keime ab und die Milch ist mindestens ein halbes Jahr haltbar.

Wie viele Nährstoffe gehen verloren?

Genau diese Erhitzungsverfahren werden von einigen Websites und Influencern jedoch als Argument für Rohmilch gesehen - denn durch die Erhitzung gingen auch wichtige Nährstoffe der Milch verloren. Das sei so pauschal jedoch nicht richtig, sagt Christina Hoffmann, Lehrerin für Diätassistenten an der Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

"Der Unterschied im Vergleich zur pasteurisierten Milch ist marginal", sagt Hoffmann. Wichtige Inhaltsstoffe wie Kalzium und weitere Mineralstoffe seien im gleichen Maße enthalten. Das gelte auch für die fettlöslichen Vitamine wie A, D und E. Der Proteingehalt ist ebenfalls gleich, wie die FDA, die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA, mit Verweis auf Studien schreibt.

Lediglich bei den wasserlöslichen Vitaminen, beispielsweise B1, B2 und B6, gingen durch das Erhitzen etwa fünf bis zehn Prozent verloren - bei H-Milch und sterilisierter Milch noch mehr, sagt Hoffmann. Dasselbe gelte für Folsäure. Bei Vitamin C ist der Verlust durchs Erhitzen noch etwas höher.

Auch sind laut der FDA in Rohmilch keine für die Magen-Darm-Gesundheit nützlichen Bakterien (Probiotika) enthalten, wie häufig beschrieben wird.

Dass Rohmilch somit deutlich gesünder sein soll als beispielsweise pasteurisierte Milch, sei falsch, so Hoffmann. Auch ein verbessertes Immunsystem durch den Konsum von Rohmilch ist wissenschaftlich nicht belegt.

Rohmilch kann Allergien vorbeugen

Ein nachgewiesener Vorteil von Rohmilch ist die Reduktion des Risikos für Asthma, Heuschnupfen und Allergien. So entwickeln Kinder, die im ländlichen Regionen aufwachsen und Rohmilch konsumieren, zum Beispiel seltener Asthma als Kinder, die verarbeitete Milch trinken und in der Stadt aufwachsen.

Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität München begründen das unter anderem mit dem höheren Gehalt von Omega-3-Fettsäuren in Rohmilch. Es wird davon ausgegangen, dass sie im Körper zu entzündungshemmenden Stoffen umgewandelt werden. Der Fettgehalt von Rohmilch ist etwas höher als der verarbeiteter Milch, was sich auch auf den Geschmack auswirkt.

"Es kommt natürlich trotzdem auch auf die genetische Disposition an", sagt Hoffmann. "Wenn die Eltern eines Kindes eine genetische Veranlagung für solche Krankheiten haben, ist die Wahrscheinlichkeit trotzdem relativ groß, dass auch das Kind sie bekommt." Auch ist Rohmilch für Allergiker nicht besser verträglich als pasteurisierte Milch.

Mögliche Risiken überwiegen

Trotz des positiven Effekts mit Blick auf Asthma und Allergien raten Experten von dem Verzehr von Rohmilch ab. Denn es gibt auch gesundheitliche Risiken, auf die unter anderem das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hinweist. Denn Rohmilch kann mit krankmachenden Keimen kontaminiert sein - durch Erreger, die direkt über die Milchdrüse ausgeschieden werden oder durch Hygienemängel beim Melken in die Milch gelangen.

Rohmilch kann dem BfR zufolge deshalb mit krankmachenden Bakterien wie zum Beispiel Salmonellen, Campylobacter oder enterohämorragischen E. coli kontaminiert sein. "Diese Keime können zum Teil schwere Erkrankungen auslösen", heißt es auf der Website des BfR. Auch die WHO rät in ihren "Zehn Goldenen Regeln für die sichere Zubereitung von Lebensmitteln" zur Vermeidung von Rohmilch.

Vor allem bei vulnerablen Gruppen wie Kinder, Schwangere oder ältere und kranke Personen wird daher grundsätzlich vom Verzehr von nicht abgekochter Rohmilch abgeraten. "Aber auch für gesunde Erwachsene besteht beim Verzehr von nicht abgekochter Rohmilch ein erhöhtes Risiko einer Lebensmittelinfektion, die je nach Erregertyp zu leichteren bis schweren Erkrankungen führen kann", so das BfR.

"E. coli oder auch Campylobacter sind Durchfallerkrankungen, die bei vulnerablen Gruppen zu schweren Infektionen führen können", sagt Hoffmann. "Bei gesunden Menschen wären die Folgen nicht so gravierend, außer sie haben vielleicht bereits einen anderen Infekt im Körper."

Vorsicht bei Schwangeren

In den sozialen Netzwerken wird selbst Schwangeren dazu geraten, Rohmilch zu konsumieren. Experten raten davon jedoch explizit ab. Denn neben den bereits genannten Bakterien können auch Listerien in Rohmilch-Produkten vorhanden sein. Diese können zu Tot- und Fehlgeburten oder auch schweren Missbildungen und Erkrankungen bei Neugeborenen führen.

Strenge Vorschriften in Deutschland

Aufgrund der gesundheitlichen Risiken ist in Deutschland die Abgabe von Rohmilch an Verbraucher mit wenigen Ausnahmen verboten. Rohmilch darf von Milcherzeugungsbetrieben nur direkt am Hof verkauft werden. Zudem muss die Milch am Tag der Abgabe oder am Tag zuvor gewonnen worden sein. An der Abgabestelle muss gut sichtbar und lesbar der Hinweis "Rohmilch, vor dem Verzehr abkochen" angebracht sein. Außerdem muss die zuständige Behörde darüber informiert werden.

Abgepackt im Lebensmitteleinzelhandel darf Rohmilch nur als sogenannte Vorzugsmilch verkauft werden. Betriebe benötigen hierfür eine Genehmigung des Veterinäramts und unterliegen besonderen hygienischen Vorschriften und Kontrollen. Vorzugsmilch muss als solche deklariert werden und wird nicht mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum gekennzeichnet, sondern mit einem Verbrauchsdatum. Auch bei der Vorzugsmilch wird vor allem vulnerablen Gruppen geraten, sie vor dem Verzehr abzukochen, da das Vorkommen von Krankheitserregern nicht ausgeschlossen werden kann.

Auch Rohmilchkäse unterliegt bestimmten Vorschriften. So muss auf der Verpackung "Aus Rohmilch hergestellt" angegeben werden. Das gilt auch für lose verkaufte Produkte von der Käsetheke. Hartkäse aus Rohmilch ist bedingt durch die lange Reifezeit und den dadurch deutlich geringeren Wasseranteil auch für vulnerable Gruppen eher unproblematisch, vom Verzehr von Weichkäse und Frischkäse aus Rohmilch wird dagegen abgeraten.

Wie viel Rohmilch und Vorzugsmilch in Deutschland verkauft wird, ist unklar. Nach Angaben des Milchindustrie-Verbands ist der Anteil jedoch sehr gering. Auch dem Bundesverband der Milchdirektvermarkter und Vorzugsmilcherzeuger liegen keine genauen Zahlen vor. "Es gibt wohl schätzungsweise 20 Betriebe, die dieses Produkt noch vermarkten", heißt es auf Anfrage.

Zahl der Krankheitsausbrüche rückläufig

Die Zahl der erfassten Krankheitsausbrüche in Deutschland durch den Verzehr von Rohmilch ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wurden im Jahr 2017 noch 18 Fälle mit hoher Evidenz erfasst, im Jahr 2021 nur noch einer und seitdem bislang keiner mehr.

"Mitverantwortlich dafür sind zum einen zahlreiche Risikomanagementmaßnahmen bei den Rohmilchabgabestellen. Zum anderen hat das BfR seine Risikokommunikation zu den Gefahren des Rohmilchverzehrs verstärkt", teilt das BVL mit.

Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 im Auftrag des BVL fanden sich in bis zu fünf Prozent der rund 360 untersuchten Rohmilchproben potenziell gefährliche Keime wie Campylobacter. In etwa zehn Prozent der Proben wurden multiresistente Bakterien wie E. coli nachgewiesen.

Warnung in den USA wegen Vogelgrippe

In den USA hat die Gesundheitsbehörde CDC wegen der Vogelgrippe erneut vor dem Verzehr von Rohmilchprodukten gewarnt. In der Rohmilch infizierter Kühe wurde eine hohe Viruslast nachgewiesen, zwei Mitarbeiter von Milchviehbetrieben hatten sich mit dem H5N1-Virus infiziert. Von erhitzter Milch gehe jedoch keine Gefahr aus, da die Viren durch den Vorgang zerstört würden. Trotz der Warnungen stieg der Absatz von Rohmilch in den USA Medienberichten zufolge stark an.