Der Hals einer Arzneiflasche und homöopathisches Arzneimittel in Form von kleinen Kügelchen, sogenannten Globuli.
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Streichung als Kassenleistung Welche Rolle spielt Homöopathie in Deutschland?

Stand: 15.01.2024 10:08 Uhr

Die Wirkung von homöopathischen Mitteln gilt in der Wissenschaft als unbelegt. Dennoch werden in Deutschland jährlich mehrere 100 Millionen Euro für Globuli und Co. ausgegeben - aber nur ein Bruchteil davon von Krankenkassen.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder und Alina Leimbach, hr

"Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden", heißt es in einem Schreiben des von Karl Lauterbach geführten Gesundheitsministeriums an die anderen Ministerien. "Aus diesem Grund werden wir die Möglichkeit der Krankenkassen, in der Satzung auch homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen, streichen und damit unnötige Ausgaben der Krankenkassen vermeiden."

Doch was ist überhaupt über die Wirksamkeit von Homöopathie bekannt und wie viel Geld können die Gesetzlichen Krankenkassen durch seinen Vorstoß sparen?

Was ist Homöopathie?

Bei der Homöopathie gilt die Annahme, dass "Ähnliches durch Ähnliches" geheilt werden könne. Das bedeutet, dass Krankheiten durch Substanzen geheilt werden sollen, die bei Gesunden "ähnliche" Symptome hervorrufen. Dafür wird der Wirkstoff seriell verdünnt und rituell verschüttelt (sogenannte Potenzierung). Die Homöopathie geht davon aus, dass bei regelmäßiger Verdünnung und Verschüttelung die einzelnen Substanzen "schlafend gelegenen Kräfte bis zum Unglaublichen" entwickelten.

Es wird dabei unterschieden zwischen Hochpotenzen und Tiefpotenzen. Bei den Tiefpotenzen sind im Endprodukt chemische Bestandteile des Ausgangsstoffs noch nachweisbar, bei den Hochpotenzen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden.

Haben homöopathische Mittel eine Wirkung?

Für homöopathische Mittel ist eine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus nicht nachgewiesen. Die Qualität vieler Studien wird in größeren Metastudien, die die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen zusammenfassen, kritisiert. Seriöse Untersuchungen zeigten demnach keine belastbaren Belege für die Wirksamkeit homöopathischer Mittel, obwohl einzelne Studien für sich einen positiven Effekt nahelegten.

Es gilt jedoch als umstritten, ob überhaupt Studien zu der Wirkung von homöopathischen Mitteln sinnvoll sind. Da bei den Mitteln mit Hochpotenz kein Wirkstoff mehr vorhanden ist, ist eine Untersuchung der Wirksamkeit aus der Sicht von Christian Weymayr, Mitglied im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, obsolet.

"Wenn die sogenannte A-priori-Wahrscheinlichkeit gleich Null ist, ist das Ergebnis einer Studie irrelevant." Die A-priori-Wahrscheinlichkeit gibt bei klinischen Studien die Wahrscheinlichkeit an, dass die zu testende Behandlung effektiv ist, bevor das Ergebnis der Studie vorliegt. Je mehr Studien durchgeführt würden, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem gewissen Anteil der Studien auch fälschlich positive Ergebnisse herauskämen, so Weymayr.

Denn damit eine Studie in der Wissenschaft eine Hypothese stützt, muss der sogenannte p-Wert bei 0,05 oder weniger liegen. Das bedeutet grob vereinfacht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Studienergebnis durch Zufall zu erklären ist, bei maximal fünf Prozent liegt. Im Umkehrschluss ist es nach Angaben von Weymayr also möglich, dass bei sehr vielen durchgeführten Studien auch zufällig ein Ergebnis zustande kommen könnte, das aus wissenschaftlicher Sicht zwar die Qualitätskriterien erfüllt, dennoch jedoch kein belastbarer Beleg für eine Wirkung wäre.

Wie werden homöopathische Mittel zugelassen?

Das deutsche Arzneimittelgesetz zählt Homöopathie zu den "besonderen Therapierichtungen", daher gelten für homöopathische Mittel andere Regeln als für die Zulassung von pharmazeutischen Arzneimitteln. Es gibt dabei zwei verschiedene Möglichkeiten, homöopathische Mittel auf den Markt zu bringen. Homöopathika, die auf nur einem einzigen Wirkstoff beruhen, der mindestens um den Faktor 1:10.000 verdünnt ist, müssen nur registriert werden. Nachzuweisen ist lediglich gesundheitliche Unbedenklichkeit.

Für eine Zulassung müssen die Antragsteller dagegen laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) "Unterlagen zur Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels einreichen".

Dabei handele es sich jedoch nicht um einen wissenschaftlichen Wirknachweis, sagt Nikil Mukerji vom Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Das Zulassungsverfahren sei nicht mit den üblichen Zulassungsstudien für Medikamente zu vergleichen. Nötig sei lediglich ein Beschluss der Kommission D des BfArM. "Hierbei wird nach dem Prinzip des Binnenkonsenses nur festgestellt, dass die Beleglage nach homöopathischem Erkenntnismaterial ausreicht", so Mukerji.

Wie groß ist die Homöopathiebranche in Deutschland?

Im Ursprungsland der Homöopathie finden sich gleich diverse weltweit agierende Hersteller dieser Produkte. Beispielsweise die Deutsche Homöopathie Union (DHU), Heel oder auch Pflüger. Die DHU sagt, ihr Gründer Willmar Schwabe sei bereits Ende des 19. Jahrhunderts in die industrielle Großproduktion eingestiegen. Allerdings ist der Marktanteil homöopathischer Produkte im Vergleich zu herkömmlichen Arzneimitteln gering. Nach Daten des Medizin-Forschungsunternehmens IQVIA liegt der Anteil der Homöopathika am gesamten Arzneimittelmarkt im Bereich von 1,3 bis 1,5 Prozent.

Eine Mitarbeiterzahl der Branche ist dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller nicht bekannt. Nach eigenen Angaben beschäftigt die DHU, eines der größten Unternehmen auf dem Markt, aktuell 300 Mitarbeiter, Konkurrent Heel berichtet auf seiner Website von 1.300 Beschäftigten. Zum Vergleich: Deutschlands größtes Pharmaunternehmen, die Bayer AG, beschäftigt allein in Deutschland etwa 22.000 Menschen.

Wie hat sich die Nachfrage entwickelt?

Die Nachfrage nach homöopathischen Produkten ist in den vergangenen Jahren rückläufig. Nach vorläufigen Hochrechnungen des IQVIA Pharmascopes wurden 2023 etwa 41 Millionen Packungen abgegeben, 2019 waren es noch rund 56 Millionen. Demgegenüber stehen insgesamt steigende Arzneimittelverkäufe. 2022 verzeichnete die gesamte Arzneibranche laut IQVIA ein Absatzplus von 2,3 Prozent. Die homöopathischen Produkte profitierten von dieser stärkeren Nachfrage nach Medikamenten nicht.

Wie viel Geld wird mit den Produkten verdient?

Der IQVIA Pharmascope rechnet für homöopathische Mittel für das vergangene Jahr in einer vorläufigen Hochrechnung mit Umsätzen in Höhe 710 Millionen Euro in deutschen Apotheken. Allerdings gibt es hier sehr verschiedene Daten. Sie hängen unter anderem davon ab, welche Produkte man zu den homöopathischen Mitteln zählt. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände kommt für das Jahr 2022 auf Umsätze von 300 Millionen Euro.

Wie viel geben die gesetzlichen Krankenkassen für homöopathische Produkte und Dienstleistungen aus?

Dem GKV-Spitzenverband zufolge haben die Krankenkassen im Jahr 2021 für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel rund 22 Millionen Euro ausgegeben. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller stellt dem entgegen, dass die Ausgaben für homöopathische Produkte bei den gesetzlichen Kassen weniger als 0,1 Prozent der Gesamtausgaben für Arzneimittel ausmachten. Zu den Kosten für Medikamente kommen allerdings noch Honorarausgaben für homöopathisch behandelnde Ärzte. Die Summe der Kosten ist hier aber schwer herauszufinden, da die Krankenkassenlandschaft in Deutschland sehr zersplittert ist.

Wie gravierend sind die geplanten Änderungen für Apotheken und Hersteller?

Die meisten homöopathischen Produkte werden von den Kundinnen und Kunden selbst bezahlt. Laut IQVIA Pharmascope wurden zuletzt nur rund zwei Prozent aller Mittel mit einem Kassenrezept in Apotheken erworben. Eine Sprecherin der DHU sagte auf tagesschau.de-Anfrage zu den möglichen Folgen von Lauterbachs Reform auf das Unternehmen, dass der "Umsatzanteil der von der GKV im Rahmen der Satzungsleistungen erstatteten homöopathischen Arzneimittel sehr niedrig ist".

Dennoch lehne die DHU den Vorstoß des Gesundheitsministers ab, "weil er die Patientenautonomie und den freien Wettbewerb der Kassen willkürlich einschränke". Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller, in dem auch homöopathische Unternehmen vertreten sind, warnte trotz der geringen Einsparungen für die Kassen vor negativen Auswirkungen für kleine und mittelständische Hersteller in Deutschland.

Hans-Werner Bertelsen, Mitglied des kürzlich aufgelösten Münsteraner Kreises, gehen Lauterbachs Pläne nicht weit genug. Denn der Entwurf sieht vor, dass die Gesetzlichen Krankenkassen private Zusatzversicherungen zu homöopathischen Leistungen vermittelnd anbieten können. "Dadurch wird Homöopathie mit anderen, evidenzbasierten Leistungen beispielsweise aus Zahnzusatzversicherungen, gleichgestellt", sagt Bertelsen. "Homöopathie ist aber eine Pseudowissenschaft und Krankenkassen sollten nicht unterstützen, dass kranken Menschen dadurch Geld aus den Taschen gezogen wird."

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