Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.

Feindbild Greta Thunberg Jung, weiblich, verhasst

Stand: 24.09.2019 16:04 Uhr

Greta Thunberg ist zum Gesicht einer neuen Bewegung geworden - und zum Hassobjekt. Nach ihrer jüngsten Rede wünschen ihr Nutzer sogar den Tod. Kein Einzelfall: Besonders junge Frauen werden massiv attackiert.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Die Rede der Klimaaktivistin Greta Thunberg vor dem UN-Klimagipfel hat für sehr gegensätzliche Reaktionen gesorgt: Während viele Kommentatoren ihre Abrechnung mit der Klimapolitik als mutig und notwendig loben, schlägt ihr von anderer Seite offener Hass entgegen.

Auf der Facebook-Seite der AfD-Wismar beispielsweise beleidigen Kommentatoren die 16-Jährige offen - und wünschen ihr sogar den Tod, um den CO2-Ausstoß zu senken. In einem weiteren Kommentar dazu heißt es, auch alle Klimaschützer sollten aufhören zu atmen - und dies solle auch gesetzlich festgelegt werden.

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Offener Hass gegen Thunberg und Klimaaktivisten...

Thunberg ist längst zu einem zentralen Feindbild im Netz geworden. Sie wird dabei nicht nur als Aktivistin, sondern auch als naives Kind und vermeintlich "Kranke" angegriffen - da bei ihr das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde. Auf der AfD-Seite Wismar steht beispielsweise an die 16-Jährige gerichtet: "Deine Zukunft liegt in der Psychiatrie, Greta."

Das Asperger-Syndrom
Das Asperger-Syndrom (benannt nach dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger, 1906-1980) ist eine leichte Form des Autismus, die häufig mit hoher Intelligenz einhergeht. Betroffene Kinder entwickeln sich zunächst meist unauffällig, die Sprachentwicklung muss nicht verzögert sein. Asperger-Autisten sind häufig motorisch ungeschickt, weisen große Probleme im sozialen Umgang auf und meiden den Kontakt zu anderen Menschen. Sie widmen sich oft ausgeprägten Spezialinteressen.

Anfeindung wegen Geschlecht, Hautfarbe oder Behinderung

Solche Kommentare sind keine Einzelfälle: Amnesty International veröffentlichte eine Studie über Anfeindungen im Netz. Zahlreiche Frauen berichteten darin, dass verbale Gewalt auf Twitter floriere und dies selten geahndet werde. Frauen erhalten demnach Androhungen körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Sie berichteten, dass sich Anfeindungen gegen unterschiedliche Aspekte ihrer Identität richten - also beispielsweise Geschlecht, Hautfarbe oder Behinderung. Ziel der Gewalt und Belästigung sei es, ein frauenfeindliches Klima zu schaffen.

Das Ziel der Attacken: Frauen sollen sich schämen, eingeschüchtert, abgewertet und herabgesetzt werden und letztlich verstummen. Ihr Recht, sich frei, gleich und ohne Angst zu äußern, werde dadurch stark beeinträchtigt. Ihre Stimmen werden laut Amnesty geschwächt, denn diese Erfahrungen führen zu Selbstzensur und dazu, dass Frauen ihre Online-Kommunikation einschränken oder Plattformen ganz verlassen.

"Sexismus wird sichtbarer"

Die Publizistin Ingrid Brodnig erklärte im Gespräch mit dem "Spiegel", zwar seien alle Geschlechter von Hass im Netz betroffen. Im Internet werde zudem generell schneller und härter gestritten als offline. Nur für Frauen werde es "online schnell besonders ekelhaft". Brodnig meint: "Der Sexismus in unserer Gesellschaft wird im Netz sichtbarer." Die Gefahr sei, "dass weibliche Stimmen weggemobbt werden und verstummen - und dann jene Männer den Diskurs bestimmen".

Dass die Strategie der Einschüchterung oft effektiv ist, zeigte eine Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen. "Ich habe zu große Angst meine Meinung online zu äußern", gab beispielsweise eine schwedische 15-Jährige auf die Frage nach ihrem Verhalten im digitalen Raum an. Junge Frauen ziehen sich demnach aus der Kommunikation in der digitalen Öffentlichkeit zurück, das politische Meinungsbild dadurch verzerrt.

Der Sozialpsychologe Rolf Pohl sagte in der "Stuttgarter Zeitung", der Hass entstehe oft auch aus Neid auf die, die es geschafft haben. "Viele Männer trauern dem Ideal der männlichen Vorherrschaft nach."

Kampf um Diskurshoheit

Genau um diese Diskurshoheit geht es offenkundig bei verschiedenen Themen. Sei es #metoo, Abtreibungen oder nun der Klimaschutz: Es sind insbesondere Frauen, die mit gewalttätiger Sprache attackiert werden. Zuletzt sorgte ein Urteil zu Schmähungen gegen Renate Künast für Schlagzeilen, Richter in Berlin urteilten, härteste Beleidigungen seien noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Greta Thunberg ist aber mit weiteren Angriffen konfrontiert. Wegen ihrer Zöpfe wird sie mit der NS-Zeit in Verbindung gebracht, dazu wird behauptet, sie wolle ein totalitäres System aufbauen. Zudem kursieren diverse Behauptungen über ihre Familie, die wahlweise als Strippenzieher aus einer Geheimloge, sozialistische Fanatiker oder geldgierig und skrupellos dargestellt werden. "Fox News" entschuldigte sich kürzlich, nachdem ein Studiogast sie als "psychisch krankes schwedisches Mädchen" bezeichnet hatte, das angeblich von ihren Eltern und der "internationalen Linken" manipuliert werde.

Spekulationen und Verschwörungstheorien

Diverse Zeitungen und Blogs haben bereits zahlreiche Beiträge über ein angebliches Imperium hinter Greta Thunberg veröffentlicht. Auch große deutsche Medien spekulierten, Thunberg werde lediglich für die Interessen eines Unternehmers benutzt. Belege dafür gibt es keine, wie verschiedene Faktenchecks zeigten.

Thunberg selbst wies solche Vorwürfe mehrfach zurück und kommentierte, es sei "sehr traurig, dass die Menschen so verzweifelt sind, dass sie sich etwas ausdenken. Es scheint, dass sie mehr Angst vor mir und den Demonstrationen junger Menschen haben als vor dem wirklichen Problemen."

Fake News

Über die Bewegung "Fridays for Future" wird ebenfalls immer wieder behauptet, sie sei gezielt aufgebaut worden und werde zentral gesteuert. Auch dafür gibt es keine Belege.

Durch gezielte Falschmeldungen wird zudem versucht, Aktionen von Klimaaktivisten zu diskreditieren. So kursiert derzeit erneut ein Foto im Netz, das einen vermüllte Grünfläche zeigt. Aufgenommen wurde das Bild angeblich nach einer Demonstration für Klimaschutz. Tatsächlich handelt es sich um eine ältere Aufnahme, die den Hyde Park in London nach einer Veranstaltung zeigt, die mit Klimaschutz gar nichts zu tun hatte.

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