Screenshot eines Twitter-Accounts
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Nahost-Konflikt Alte Fotos schüren neuen Hass

Stand: 20.05.2021 14:40 Uhr

Der Schlagabtausch zwischen der Hamas und Israel wird durch Propaganda im Netz begleitet. Ein Sprecher von Premier Netanyahu teilte ein irreführendes Video, palästinensische Aktivisten schüren mit alten Fotos neuen Hass.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Rund um den Konflikt zwischen der Hamas und dem israelischen Militär kursieren im Netz zahlreiche manipulierte Fotos und Videos.

Ein Sprecher von Premierminister Benjamin Netanyahu fiel gleich durch zwei irreführende Postings auf. So twitterte er ein Video, das Raketenangriffe aus Gaza auf Israel zeigen sollte. Tatsächlich handelte es sich um ältere Aufnahmen aus Syrien. Mittlerweile wurde der Tweet gelöscht.

Zudem teilte der Sprecher ein Video, das angeblich zeigt, wie die Hamas Opfer von Angriffen inszeniert. Junge Männer sollen darin Todesopfer spielen, behauptet Ofir Gendelman. Das Video stammt von TikTok, ein Zusammenhang mit der Hamas ist nicht zu erkennen. Zudem erscheint es vollkommen unklar, warum Aufnahmen einer angeblichen Inszenierung anschließend auf einer besonders populären Plattform veröffentlicht worden sein sollten.

Screenshot eines Twitter-Accounts

Hier inszeniere die Hamas Todesopfer, behauptet der Sprecher. Belege dafür gibt es nicht.

Grausame Fotos von getöteten oder verletzten Kindern

Massenhaft kursieren in sozialen Medien Fotos, die Kinder zeigen sollen, die durch die aktuellen Angriffe auf den Gazastreifen schwer verletzt oder sogar getötet worden seien. Tatsächlich sind die Bilder aber entweder nicht aktuell oder stammen nicht aus den Palästinensergebieten.

So verbreiten pro-palästinensische Aktivisten beispielsweise ein Foto eines Kindes, das schwer am Kopf verletzt wurde, offenbar verlor es ein Auge. Dennoch lächelt das Kind auf dem Bild. Dieses Foto kursiert bereits seit Jahren im Netz, wie Rückwärtssuchen mit verschiedenen Suchmaschinen zeigen. So war es beispielsweise bereits 2016 von pro-palästinensischen Aktivisten aus Indonesien gepostet worden. Vor zwei Jahren tauchte es in TikTok-Videos auf, in denen es hieß, Israel sei ein Apartheidsregime - eine Behauptung, die auf Demonstrationen und in Kampagnen immer wieder auftaucht.

Screenshot eines Twitter-Accounts

Bilder von schwer verletzten Kindern werden immer wieder verbreitet. Dieses Foto kursiert seit Jahren im Netz (hier ein Beispiel von 2016) - derzeit wird es von antiisraelischen Aktivisten wieder als aktuell ausgegeben, um Hass zu schüren.

Andere Fotos von zivilen Opfern stammen zwar aus dem Gazastreifen, allerdings aus dem Krieg im Jahr 2014. Auch damals hatte die Hamas Israel mit Raketen angegriffen, das israelische Militär antwortete mit Luftangriffen. Zahlreiche Fotos von diesem Konflikt werden derzeit als angeblich aktuelle Aufnahmen verbreitet - mit Parolen wie "Kindermörder Israel", die auch auf Demonstrationen in Deutschland zu sehen und zu hören sind.

Alte Fotos in neuem, falschen Kontext

Ebenfalls manipuliert wurden Aufnahmen, die einen weinenden Fotografen in Jerusalem zeigen sollen. Angeblich sei dieser an der Al-Aksa-Moschee in Tränen ausgebrochen angesichts der Ausschreitungen dort. Tatsächlich stammt das Bild aber vom Fußball-Asien-Cup 2019. Der Fotograf aus dem Irak verfolgte durch die Kamera das Achtelfinale zwischen seinem Heimatland und Katar, das am Ende mit 0:1 verloren ging.

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Ein Fotograf sei angesichts der Krawalle an der Al-Aksa-Moschee in Tränen ausgebrochen...

Das Lösen von Fotos aus ihrem Kontext taucht immer wieder auf. Ob bei Bränden im Amazonas, Machtkämpfen in Venezuela, Protesten von Gelbwesten in Frankreich, Corona-Demonstrationen in Berlin oder Markus Söder bei angeblich inszenierten Impfungen - die Irreführung mit Bildern ist ein einfaches und effektives Instrument zur Desinformation.

"Treibende Kraft" bei Radikalisierung

Zu den manipulierten Fotos im aktuellen Konflikt zwischen der Hamas und dem israelischen Militär erklärt die Forscherin Juliane Wetzel im faktenfinder-Podcast, Fake News spielten im Zusammenhang mit antisemitischen Zuschreibungen immer eine große Rolle. Besonders wirksam seien dabei Bilder, die Kinder zeigten. Das Motiv vom "Kindermörder Israel" geht laut Wetzel auch zurück auf die sogenannte Ritualmord-Legende, nämlich auf die Behauptung, Juden würden Kinder entführen und sie dann umbringen, um deren Blut zu Brot für das Pessach-Fest zu verarbeiten.

Der Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn ergänzt im Gespräch mit Anja Reschke, natürlich entstehe "eine Empörung, wenn man tote Kinder sieht". Das löse bei allen Menschen eine entsprechende Emotion aus. Der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Berlin verweist dabei auf den Bedeutungszuwachs von sozialen Medien: Diese Darstellungen könnten durch einen Klick auf dem Smartphone weiter verbreitet werden. Solche manipulierten Bilder seien deswegen besonders effektiv, weil sie eine scheinbare Klarheit bringen. Sie "simplifizieren und emotionalisieren" - und seien eine "treibende Kraft" bei einer Radikalisierung, die zu Gewaltbereitschaft führen könne. "Genau das erleben wir bei den Demonstrationen", sagt Salzborn.