"Serbien gegen Gewalt" steht auf einem Demonstrationsbanner.

Serbien vor Wahlen Vom Demoslogan zum Bündnis gegen Vucic

Stand: 06.12.2023 05:01 Uhr

"Serbien gegen Gewalt": Unter diesem Namen will die geeinte Opposition Präsident Vucic ablösen. Sie kritisiert, wie durchsetzt die Gesellschaft von Gewalt sei - was sich auch im Wahlkampf bemerkbar macht.

Wenige Tage vor den serbischen Parlaments- und Kommunalwahlen bringt sich die neuerdings geeinte pro-europäische Opposition in Stellung und liegt derzeit bei rund 25 Prozent. Viele hoffen auf eine politische Wende, auch wenn ein Sieg von Vucics Fortschrittspartei SNS wahrscheinlich scheint. Dem Präsidenten ist unterdessen jedes Mittel recht, um die Opposition mit gezielten Schmutzkampagnen zu schwächen.  

Die große Hoffnung der serbischen Opposition ist es, zumindest Belgrad für sich zu gewinnen, was ein herber Schlag für den amtierenden Präsidenten Aleksandar Vucic wäre und ein Zeichen dafür, dass seine Macht bröckelt. Die Stimmung im Land hat sich in den letzten Monaten geändert: Seit bei zwei Amokläufen im Mai 19 Menschen erschossen wurden, gingen wöchentlich Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die autokratische Politik Vucics zu demonstrieren und seinen Rücktritt zu fordern. Es waren die größten Antiregierungsproteste seit 20 Jahren, bei denen Protestierende das zunehmende Klima der Gewalt in Politik, Gesellschaft und staatlich kontrollierten Medien anprangerten. 

 

"Gesellschaft erstickt in Gewalt"

Das Oppositionsbündnis, das auch zu den Wahlen am 17. Dezember antritt, hat den Namen der Proteste - "Serbien gegen Gewalt" - übernommen. Es sei das erste Mal, dass sich in Serbien so ein breites Bündnis zur Wahl stelle, erklärt Aleksandra Tomanic, Direktorin des European Fund for the Balkans. Man habe dort Menschen mit Kinderwagen und Rollatoren, Professoren und Künstler gesehen. Es sei vor allem die Zivilgesellschaft, die die Proteste getragen habe, um ein Zeichen gegen die zunehmende Verrohung zu setzen: "Die serbische Gesellschaft erstickt in Gewalt, Hetzjagden finden statt. Wir haben gewalttätige Reality-TV-Shows, die dürften sonst nirgendwo gezeigt werden und laufen hier in der Primetime."

In der serbischen Version von "Big Brother" verwüsten hünenhafte Männer die Einrichtung, werfen mit Möbeln und drohen Frauen Gewalt an, die sich wiederum gegenseitig Getränke ins Gesicht schütten. Ein verurteilter Straftäter gibt Tipps, wie man im Gefängnis am besten jemanden umbringt, ohne Spuren zu hinterlassen.

Kaum Sendezeit für Oppositionelle

Laut Tomanic sei der Wahlkampf in Serbien einer der dreckigsten bisher. Die aufgeheizte Stimmung bekommen Oppositionspolitiker mehr denn je zu spüren, denn Vucic kontrolliert große Teile der Medienlandschaft. Nur ein Prozent der Sendezeit serbischer TV-Sender habe sich bei den letzten Wahlen 2022 mit den Anliegen von Oppositionskandidaten beschäftigt, so eine Studie der Belgrader Nichtregierungsorganisation BIRODI.

Die regierungstreuen TV-Sender Pink und Happy beteiligen sich an den Hetzkampagnen gegen die Opposition. So wurde dem Sozialdemokraten und ehemaligen Bürgermeister Belgrads, Dragan Dilas, vorgeworfen, 619 Millionen veruntreut zu haben und seine Kinder zu schlagen. Ein weiterer Politiker wurde mit der Veröffentlichung von pornographischem Material erpresst, einem anderen wurden auf seinem Grundstück Landmaschinen im Wert von 50.000 Euro angezündet.

Falsche Prioritätensetzung bei der EU?

Die gewalttätige Atmosphäre nehme zu, je weiter der Wahlkampf voranschreite, analysiert die unabhängige serbische Wahlbeobachtermission CRTA. Allein vom 20. bis 22. November habe man fünf Vorfälle verzeichnet. Die Organisation fordert angesichts der Taten Staatsbeamte und Politiker auf, "im Wahlkampf keine Atmosphäre der Angst zu schüren, um die Spannungen zu beruhigen". Um die Integrität der Wahlen zu schützen, solle der Staat der Öffentlichkeit vollständige Fakten und Informationen zur Verfügung stellen.

Politische Beobachter beklagen, dass ganz offensichtlich Wahlbetrug stattfinde: Menschen in öffentlichen Organisationen würden gezwungen, für Vucics Fortschrittspartei abzustimmen, die mit ihren 700.000 Mitgliedern eine der größten Parteien Europas ist. Entweder würden ihnen bereits ausgefüllte Stimmzettel vor dem Wahllokal in die Hand gedrückt, oder sie müssten ihre Stimmabgabe fotografieren, beschreibt Aleksandra Tomanic.  

Ihre Hauptkritik richtet sich allerdings an die Europäische Union: Dort pflege man einen zu laxen Umgang mit Serbien. Noch im Oktober hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Serbien als "eines der am weitesten fortgeschrittenen Länder auf dem Weg in die EU" bezeichnet. Statt auf Vucic müsse man laut Tomanic jedoch auf die Opposition setzen. Dass seit Jahren Stabilität statt Demokratie im Vordergrund stehe, sei ein Fehler. 

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