Jaroslaw Kaczynski auf einer Veranstaltung der PiS-Partei in Warschau (Polen)
europamagazin

Wahlkampf in Polen Per Referendum gegen den EU-Asylkompromiss

Stand: 24.06.2023 06:00 Uhr

Die Einigung über eine Reform des EU-Asylrechts wird in Polen zum Wahlkampfthema. Die regierende PiS-Partei lehnt den Kompromiss rundweg ab und will die Bevölkerung in einem Referendum über den Asylkompromiss entscheiden lassen.

Jarosław Kaczyński blickt entschlossen in die Runde. Der Sejm, das polnische Parlament, ist Mitte Juni zusammengekommen, um über den EU-Asylkompromiss zu beraten, und Kaczyński ruft vom Rednerpult aus: "Wir stimmen dem nicht zu! Die polnische Bevölkerung ist damit nicht einverstanden."

Der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei spricht zwar zu den Abgeordneten, sein eigentliches Publikum aber sind die polnischen Wählerinnen und Wähler. Sie sollen im Spätherbst über eine neue Regierung entscheiden, und die PiS gerät in den letzten Umfragen unter Druck.

Wählerfang mit Angst vor Migranten

Kaczyński aber hat die Angst vor Geflüchteten als Wahlkampfthema entdeckt und kündigt im Sejm an: "Wir werden dazu eine Volksabstimmung machen." Voraussichtlich am Tag der Parlamentswahl sollen die Wählerinnen und Wähler auch über den polnischen Umgang mit der europäischen Asylrechtsreform abstimmen.

Details sind noch nicht bekannt, und so bleibt auch offen, welche Optionen die Regierung ihrer Bevölkerung überhaupt anbieten kann. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass Warschau europäische Beschlüsse schlicht ignorieren möchte.

Kaum ein Thema dürfte so mobilisieren wie die Angst vor Geflüchteten, so das Kalkül der PiS. Schließlich war die Strategie bereits bei den Wahlen 2015 erfolgreich. Dass es bei Kaczyńskis Idee mehr um einen Angriff auf den politischen Gegner geht als um die Frage, ob und zu welchen Konditionen Geflüchtete nach Polen kommen, zeigt der Auftritt von Mateusz Morawiecki in derselben Parlamentssitzung.

Opposition als vermeintlich deutscher Handlanger

Der Premierminister spricht von "Horrorvierteln" in Paris, Marseille oder Rom, erwähnt "viele schöne Städte", in denen jetzt Autos brennen würden und Frauen bei abendlichen Spaziergängen Angst hätten. Die Migrationspolitik 2015 sei ein fataler Fehler gewesen, meint Morawiecki und liefert die Namen der Verantwortlichen gleich mit:

"Der Fehler trägt das Gesicht von Angela Merkel und ihrem treuen Handlanger und Verbündeten Donald Tusk." Man müsse auch mal "nein" und nicht immer nur "danke" sagen, fügt Morawiecki hinzu - wohlgemerkt auf Deutsch.

Auch PO bekennt sich nicht zu Asylkompromiss

Tusk ist der Vorsitzende der Partei PO, "Bürgerplattform", und damit der politische Gegner, der der PiS bei den Wahlen im Herbst am ehesten gefährlich werden kann. Im laufenden Wahlkampf fährt die PiS eine dezidiert Deutschland-kritische Kampagne.

Ihre Gleichung dabei lautet: Die EU-Kommission in Brüssel sei im Wesentlichen der verlängerte Arm der Bundesregierung in Berlin und Tusk eine Art Kollaborateur, ein Agent deutscher Interessen in Polen. Würde Tusk im Herbst gewählt, das ist die Botschaft, auf die Kaczyński und Morawiecki hinaus wollen, dann wäre das Land schutzlos einem Ansturm geflüchteter Menschen ausgesetzt.

Umgehend bemühen sich PO-Politiker klarzustellen, dass auch die Regierung unter Tusk in den Jahren 2007 bis 2015 stets gegen einen europäischen Umverteilungsmechanismus eingetreten sei. Zum EU-Asylkompromiss will sich niemand so richtig bekennen.

Polen womöglich kaum betroffen

Dabei sieht die Einigung auch Ausnahmen vor. Der Mechanismus, nach dem europäische Länder Geflüchtete aufnehmen oder Ausgleichszahlungen leisten müssten, würde unter Umständen im polnischen Fall gar nicht greifen.

Die Regierung in Warschau verweist auf fast 13 Millionen Menschen, die vor dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Polen geflüchtet sind. Etwa 1,4 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind dauerhaft in Polen untergekommen und haben unkompliziert Zugang zum Arbeitsmarkt und Sozialsystem erhalten. Mit diesem Argument, so die Einschätzung polnischer Experten, ließe sich womöglich auch die EU-Kommission von einer Ausnahmeregelung überzeugen.

Ohnehin dürfte die Zahl der Geflüchteten, die nach dem Asylkompromiss tatsächlich nach Polen kämen beziehungsweise für die Ausgleichszahlungen geleistet werden müssten, überschaubar sein. Polnische Medien sprechen von knapp 1900 Menschen, die theoretisch in diesem Jahr betroffen wären.

Unklar, wie viele Menschen nach Polen geflüchtet sind

Und auch der Plan, Asylzentren an den EU-Außengrenzen einzurichten, dürfte in Polen kaum jemanden schockieren. Denn de facto werden die wenigen Geflüchteten, die es über den elektronisch gesicherten Zaun an der polnisch-belarusischen Grenze schaffen, schon jetzt in Gefängnis-ähnlichen Einrichtungen untergebracht und warten dort auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge.

Der polnische Grenzschutz gibt an, dass seit Anfang des Jahres gut 12.000 Versuche registriert wurden, die streng gesicherte EU-Außengrenze zu Belarus zu überwinden. Wie viele Menschen es tatsächlich ins Land geschafft haben, ist allerdings unklar.

All das spielt derzeit in der polnischen Debatte zum Asylkompromiss allerdings kaum ein Rolle. Zu gut eignet sich das Thema als Wahlkampfmaterial. Konstruktive Absprachen mit der EU-Kommission dürften da kaum Platz haben.

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