Ein Demonstrant zwischen den Flaggen der EU und Großbritannien
Hintergrund

Nach Bitte um Aufschub Die vier Brexit-Szenarien

Stand: 22.03.2019 05:44 Uhr

Die britische Premierministerin Theresa May will den EU-Austritt ihres Landes um drei Monate aufschieben. Mit ihrem Vorschlag dürfte sie in Brüssel eine Abfuhr kassieren. Denkbar sind nun mindestens vier Szenarien und eine Fülle unterschiedlicher Entwicklungen innerhalb dieser möglichen Fälle. Ein Überblick.

Keine Verlängerung

Einer Verschiebung des für den 29. März geplanten Austritts müssen alle 27 EU-Partner zustimmen. Am Donnerstag und Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs der EU über den britischen Antrag. Eigentlich wollte May den größtmöglichen Druck aufbauen, um in letzter Minute doch noch eine Zustimmung zu dem ausgehandelten Austrittsvertrag mit der EU zu bekommen. Parlamentspräsident John Bercow verbaute ihr aber die Möglichkeit, denselben Vertrag erneut zur Abstimmung zu stellen.

In London ist seitdem vieles ungewiss. Selbst ein Sturz Mays und politisches Chaos in Großbritannien werden für möglich gehalten.

Der britische Parlamentspräsident John Bercow

Der britische Parlamentspräsident Bercow hat es Premierministerin May untersagt, den Brexit-Vertrag erneut zur Abstimmung zu stellen.

Einige EU-Partner planen offenbar, eine Verlängerung der Frist abzulehnen. Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen verwies darauf, dass in mehreren Staaten der Unmut über das Vorgehen der Briten wachse. Kritisiert wird vor allem, dass die britische Seite immer noch nicht genau sagen kann, was sie eigentlich will. Das wird aber als Voraussetzung für eine Verschiebung angesehen.

Ein ungeregelter Brexit oder ein No-Deal dürfte nach Einschätzung vieler Volkswirte für Großbritannien dramatische Folgen haben und auch für die EU schmerzhaft ausfallen. Der No-Deal gilt mittlerweile allerdings als unwahrscheinlich, weil sich das Unterhaus dagegen ausgesprochen hatte. Glühende Brexit-Verfechter innerhalb der konservativen Tory-Partei von May hoffen trotzdem darauf.

Kurze Verlängerung

Aus einer internen EU-Bewertung, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, geht hervor, dass eine Brexit-Verschiebung ohne Teilnahme an der Europawahl nur bis zum 23. Mai möglich ist. Aus Sicht der Kommission sind demzufolge nur zwei Optionen für den Aufschub sinnvoll: eine kurze, "technische Verlängerung" bis 23. Mai ohne Teilnahme an der Europawahl oder eine "lange Verlängerung" bis mindestens Ende 2019 mit der Option einer Verkürzung, falls vorher eine Lösung gefunden wird.

Eine kurze Verschiebung gilt als relativ einfach zu stemmen. Das Problem: Kaum jemand in der EU geht davon aus, dass ein kurzes Hinauszögern die politische Blockade auf der Insel lösen würde. Die Zeit könnte aber genutzt werden, um die Vorbereitungen für einen "No Deal"-Ausstieg voranzutreiben.

Ein Stimmzettel für die Europawahl

Am 23. Mai findet die Europawahl statt. Eine Nichtteilnahme der Briten könnte schwere Folgen haben, wenn sie dann noch in der EU sind.

Die von May nun beantragte Verlängerung bis Ende Juni ist schon heikler, denn der Termin liegt nach der Europawahl Ende Mai. Zwar sagen einige Juristen, dass der entscheidende Tag das Zusammentreten des neuen Europäischen Parlaments am 2. Juli sei, aber andere Juristen sehen dies anders. Schlimmstenfalls könnte die Konstituierung des neuen Parlaments rechtswidrig werden und nach der Wahl die Bestimmung der neuen EU-Kommission und des EU-Haushaltsrahmens gefährden, heißt es in dem Kommissionspapier.

Die EU-Regierungen müssten bei einer solchen Verlängerung also das Risiko einer Anfechtung der Europawahl eingehen. EU-Bürger in Großbritannien oder Briten im Rest der EU könnten auf Teilnahme klagen. Zudem würde der gesamte Europa-Wahlkampf durch das britische Problem belastet.

Deutliche Verlängerung

EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte wegen der schwierigen Meinungsbildung auf der Insel eine viel längere Verschiebung ins Gespräch gebracht - um mindestens ein Jahr oder womöglich noch länger. Auch andere EU-Politiker fordern, dass sich das Königreich ausreichend Zeit nehmen sollte, um seine Brexit-Strategie zu überdenken. May hingegen lehnt das ab: "Als Premierministerin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschieben", sagte sie im Unterhaus. Die Äußerung wurde von britischen Medien als Hinweis auf ihren möglichen Rücktritt gedeutet, sollte eine längere Verzögerung des EU-Austritts unumgänglich sein.

Donald Tusk

Für EU-Ratspräsident Tusk hält eine lange Verschiebung für denkbar.

Denkbar wäre bei einer deutlichen Verlängerung, dass die Regierung in London in dieser Zeit ein zweites Referendum oder Neuwahlen abhalten könnte. Allerdings hat das Unterhaus ein zweites Referendum wie den ungeregelten Brexit ebenfalls in einem rechtlich nicht verbindlichen Votum abgelehnt. Die Labour-Opposition will den Verbleib des Landes in der Zollunion und darüber hinaus eine enge Ausrichtung an der EU. Viele Diplomaten in Brüssel halten diesen Vorschlag für eine Idealvorstellung der künftigen Beziehungen zu Großbritannien.

Problemlos durchzusetzen wäre die deutliche Verlängerung aus mehreren Gründen nicht. Die britische Regierung gibt zu bedenken, dass während einer langen Verschiebung das Land noch vollwertiges EU-Mitglied wäre und mit der EU keine Verhandlungen über die künftigen Beziehungen führen könnte. Zudem könnte Großbritannien keine Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen, das Recht hat nur die EU-Kommission.

Für die EU wäre diese Lösung auch problematisch, weil das Königreich bei einem längeren Verbleib an den Europawahlen teilnehmen müsste. Möglicherweise würden die Briten sogar über den nächsten EU-Kommissionspräsidenten mitbestimmen können, obwohl das Land doch austreten will.

Kein Brexit

Die britische Regierung könnte den Artikel 50 am Ende zurückziehen - auch noch beispielsweise am 28. März. Denn das ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes jederzeit möglich und bedarf keiner Zustimmung der EU-27. Danach müsste die Regierung entscheiden, ob sie ein Austrittsverfahren wieder beginnt oder möglicherweise auf einen EU-Austritt verzichtet. Denkbare Vorstufen dazu wären in diesem Szenario die erwähnten Neuwahlen oder ein zweites Referendum.

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