Reaktionen auf Brexit "Niemand gewinnt etwas, alle verlieren"
Die EU lässt Großbritannien ziehen: Kanzlerin Merkel nannte den Austritt "tragisch", EU-Kommissionschef Juncker sprach von einem traurigen Tag. Die DUP - ein wichtiger Verbündeter von May - drohte der Premierministerin.
Nach 45 gemeinsamen Jahren nimmt die Europäische Union mit Bedauern Abschied von ihrem Mitglied Großbritannien. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sprach von einem traurigen Tag. Es gebe keinen Grund für Applaus oder Champagner. Den Vertrag nannte Juncker "zufriedenstellend".
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem historischen Tag. Sie habe sehr zwiespältige Gefühle. Den EU-Austritt Großbritanniens nannte sie "tragisch". Merkel sprach von einem "diplomatischen Kunststück", das den Unterhändlern gelungen sei.
Nach 17-monatigen Verhandlungen hatten zuvor die 27 verbleibenden EU-Staaten dem Austritt Großbritanniens zugestimmt. EU-Unterhändler Michel Barnier betonte, die Brexit-Verhandlungen hätten sich "niemals gegen das Vereinigte Königreich" gerichtet. "Wir werden Verbündete, Partner und Freunde bleiben", sagte er.
DUP lehnt Zustimmung ab
Britische Politiker kritisierten den Vertrag scharf. Die Chefin der nordirischen Partei DUP, Arlene Foster, lehnte eine Zustimmung zu dem Papier ab. In der entscheidende Abstimmung im britischen Unterhaus ist Premierministerin Theresa May auf ihre Unterstützung angewiesen. In der BBC forderte sie neue Gespräche für einen "anderen und besseren Weg".
Der britische Außenminister Jeremy Hunt sagt der BBC, es werde eine Herausforderung, den Deal mit der EU durchs Parlament zu bekommen. Dem stimmte auch der frühere Chefs der Konservativen Partei, Iain Duncan Smith, zu. Es sei "viel zu viel an die EU gegeben worden", sagte er dem Sender Sky News. Ex-Außenminister Boris Johnson hatte zuvor kritisiert, dass das Abkommen Großbritannien zu einem "Vasallenstaat der EU" mache.
Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar bedauerte den Brexit. "Das beste Ergebnis für Irland, das Königreich und EU wäre es, wenn das Königreich in der EU, im Binnenmarkt und der Zollunion bleiben würde."
Der niederländische Ministerpräsident Rutte glaubt, dass alle Beteiligten am Brexit verlieren.
Rutte hasst den Brexit
Ähnlich äußerten sich viele EU-Politiker, etwa der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. Er bezeichnet den EU-Austritt Großbritanniens als negativ. "Niemand gewinnt etwas, wir verlieren alle", sagt er vor dem EU-Gipfel. Der ausgehandelte Ausstiegsvertrag sei akzeptabel und ausgewogen für beide Seiten, aber er hasse den Brexit.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wertete den bevorstehenden Austritt Großbritanniens als Zeichen für die "Zerbrechlichkeit" der EU. "Dies ist ein ernsthafter Moment", sagte er.
Anfang Dezember: Das britische Parlament beginnt mit der Ratifizierung des Austrittsvertrags. Derzeit gibt es massive Widerstände. Laut May wird eine Abstimmung noch vor Weihnachten stattfinden.
Januar 2019: Sollte der Brexit-Vertrag in Großbritannien doch angenommen werden, würde das Europaparlament mit Beratungen beginnen.
Februar/März 2019: Nach dem EU-Parlament müssten die anderen EU-Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Nötig sind dafür mindestens 20 der 27 verbleibenden EU-Länder, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.
29. März 2019: Die britische EU-Mitgliedschaft endet um Mitternacht. Es beginnt eine Übergangsphase bis Ende 2020, in der Großbritannien noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion bleibt.
April 2019: Die Verhandlungen der EU mit Großbritannien über die künftigen Beziehungen beginnen.
23. bis 26. Mai 2019: Wahl des neuen Europaparlaments, in dem es bisher 73 Abgeordnete aus Großbritannien gab. Es soll fortan 705 statt bisher 751 Mitglieder haben. Ein Teil der durch den Brexit frei werdenden Sitze wird auf andere EU-Mitglieder verteilt.
1. Juli 2020: Bis zu diesem Datum müssen beide Seiten entscheiden, ob die Übergangsphase einmal verlängert wird. Möglich wäre das um bis zu zwei Jahre bis spätestens Ende 2022.
31. Dezember 2020: Die Pflicht Großbritanniens zur Zahlung von EU-Mitgliedsbeiträgen unter dem laufenden mehrjährigen Finanzrahmen der Union endet. Ohne Verlängerung würde auch die Übergangsphase auslaufen.
Sorgen in der Wirtschaft
In der Wirtschaft wachsen die Sorgen vor einem ungeregelten Brexit. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sprach angesichts des Abkommens von einem "fairen Angebot an Großbritannien, den harten Brexit zu verhindern und eine enge Partnerschaft mit dem Kontinent aufzubauen". Nun erwarte der Verband, dass dem Abkommen in Großbritannien zugestimmt werde. Trotzdem rate er seinen Unternehmen, "sich weiter auf einen chaotischen Brexit vorzubereiten".
Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) erklärte, die Zustimmung in Brüssel sei "ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem geregelten Brexit". Nun stehe die finale Ratifizierung durch das EU-Parlament und das britische Unterhaus an und bis dahin gebe es "keine Entwarnung". Wichtige Weichen für die chemisch-pharmazeutische Industrie könnten erst nach der Ratifizierung des Austrittsabkommens gestellt werden. "Entscheidend ist die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen."
"Ganz Europa schaut nun mit Spannung auf das britische Unterhaus: Wenn das Abkommen dort keine Mehrheit finden sollte, wäre dies ein kapitaler Rückschlag für unseren Kontinent und für das Vereinigte Königreich", sagte Hauptgeschäftsführer Andreas Krautscheid vom deutschen Bankenverband BdB. "Eindringlich appellieren wir an die britischen Parlamentarier, dieses Abkommen nicht in den Wind zu schlagen. Etwas Besseres wird es nicht geben."