Menschen nach einem Bad im Yangtse vor der Skyline von Wuhan.
reportage

Mao-Kult in China Schwimmen für den "großen Steuermann"

Stand: 10.08.2024 08:48 Uhr

Die chinesische Metropole Wuhan erinnert mit einer Großveranstaltung an Maos legendäres Bad im Yangtse-Fluss. Die katastrophale Zeit, die darauf folgte, ist aber kein Thema.

Zhou Hanhua steht in Badehose am Flussufer in der chinesischen Millionen-Metropole Wuhan, sein muskulöser Körper goldfarben bemalt, eine rote Fahne in der Hand. "Auf geht’s, Leute!", ruft er in die Menschenmenge in Badekleidung und Neoprenanzügen. Der 48-jährige Fitnesstrainer aus Wuhan arbeitet beim jährlichen Schwimm-Event im Sommer als Rettungsschwimmer. Knapp 2.000 Chinesinnen und Chinesen wollen sich dieses Mal in den Yangtse stürzen - einen der längsten Flüsse der Welt - trotz seiner reißenden Strömung.

"Die ersten vierhundert Meter schwimmst Du geradeaus, aber wirst seitwärts getrieben", sagt Zhou. "Dann wird es einfacher. Warum wir das machen? Es ist eine Tradition in Wuhan, es macht Spaß und ist gut für Fitness und Gesundheit. Und Anlass ist, dass Mao 1966 im Yangtse geschwommen ist."

Zhou Hanhua hat sich beim Baden im Yangtse vor der Skyline von Wuhan ganz in Gold angemalt.

Zhou Hanhua hat sich für das Bad im Yangtse goldfarben bemalt.

"Ich bin treuer Fan von Mao"

Damals war Mao Zedong, der kommunistische Staatsgründer der Volksrepublik China, bereits 73 Jahre alt - und eigentlich auf seinem politischen Altenteil. Sein Sprung in den Yangtse, sorgsam dokumentiert von Fotografen, sollte zeigen, dass mit ihm noch immer zu rechnen ist. Ein alternder Politiker, der nicht loslassen will, so würde es mancher vielleicht heute beschreiben. Was folgte, war die Kulturrevolution - eine katastrophale Zeit für China. So hat es die kommunistische Partei einmal selbst beschrieben. 

In Wuhan ist aus Maos Bad im Fluss aber längst eine Volkssportveranstaltung geworden. Seit dem frühen Morgen formieren sich 27 Gruppen mit Teilnehmern unterschiedlicher Altersklassen. Es ist 8 Uhr morgens und das Thermometer zeigt bereits 37 Grad. Wasserkanonen sollen die Hitze für das Publikum erträglicher machen und zeichnen mit ihrem Sprühnebel Regenbögen in die Luft. Drachentänzer veranstalten ein Spektakel.

Einpeitscher auf der Bühne versuchen, gute Laune zu verbreiten, und rufen den Teilnehmern Parolen zu. "Lasst uns gemeinsam den Yangtse überwinden - auf Wuhan, Stadt der Helden." So wird Wuhan in China genannt, seitdem dort das Coronavirus heftig gewütet hat. Am Flussufer hängen unzählige Drohnen in der Luft, die für lokale Medien Bilder machen. Influencer reden auf ihr Handy ein. Der Fernsehkanal von Wuhan überträgt live.

Karte: Wuhan am Yangtse-Fluss, China

"Ich bin sehr gerührt und will mich hier weiterentwickeln - im Gleichschritt mit meinem Vaterland", sagt Rentner Liu Zhiping. "Ich bin ein treuer Fan von Mao."

"Mit 73 Jahren in so einem Fluss zu schwimmen", pflichtet ihm sein Teamkamerad bei, "das zeigt, dass Mao die richtige geistige Einstellung hatte, um Probleme zu meistern."

Als China im Chaos versank

Die Schwimmer steigen die Stufen zum Fluss hinab. Dann werfen sich die Körper auf ein Signal hin in die Fluten. Dutzende Rettungsboote kreuzen auf ihrer Route. Die Strömung ist so stark, dass die Gruppe in ihren gelben Bademützen sofort abgetrieben wird.

1.300 Meter Luftlinie sind es durchschnittlich von einem Ufer zum anderen. Die Strömung treibt die Schwimmer aber ziemlich schnell sechs Kilometer flussabwärts. 45 Minuten brauchen geübte Sportler dafür. Alle, die teilnehmen, mussten vorher Tests absolvieren - um sicherzugehen, dass sie den Wellen trotzen können.

Mao gab mit seinem Bad das Signal, dass er der innerparteilichen Konkurrenz den Kampf ansagen würde. Vertraute bauten einen Führerkult um ihn auf. "Der große Steuermann", wie er genannt wurde, rief die Jugend auf, sich in "Roten Garden" zusammenzuschließen und das Parteiestablishment anzugreifen. Das Land versank in bürgerkriegsähnlichem Chaos.

Fast jeder lief Gefahr, als "Kapitalist" oder "Rechtsabweichler" denunziert und auf Massenveranstaltungen verurteilt zu werden. Familienmitglieder schwärzten sich gegenseitig an. Schulen und Universitäten wurden geschlossen. Als es Mao zu viel wurde, schickte er die Jugend in ärmliche Regionen aufs Land. Einer ganzen Generation blieb der Zugang zu höherer Bildung zunächst verwehrt.

Mao Tse-tung durchschwimmt den Yangtse.

Mao Zedong durchschwimmt den Yangtse - und lässt sich fotografieren: 1966 ein effektvolles Signal an seine Konkurrenz.

Xi sieht sich in Maos Tradition

Selbst der heutige Präsident und Generalsekretär der kommunistischen Partei, Xi Jinping, hatte als Jugendlicher darunter zu leiden. Das hindert ihn nicht daran, die Erinnerung an Mao als Ikone der kommunistischen Partei Chinas hochzuhalten - und sich mit ihm in eine Reihe zu stellen.

"Ohne Mao kein neues China", hieß es früher. Heute proklamiert Xi Jinping nicht weniger als eine "neue Ära" für das Land und verspricht, China durch Investitionen in Hochtechnologie in ein neues Zeitalter zu katapultieren. Dafür hat er die Begrenzung der Amtszeiten abgeschafft - die der Staatslenker Deng Xiaoping als Konsequenz aus der Kulturrevolution eingeführt hatte.

Das alles ist in Wuhan an diesem Tag kein Thema. Viele jüngere Chinesen erwähnen allerdings auch Maos Schwimmleistung, an die erinnert werden soll, nur am Rande. "Ich mag einfach die Atmosphäre hier", sagt die Schwimmtrainerin Wang Ziyun. Und der 33-jährige Wang Yang hat schon immer davon geträumt, an so einer Veranstaltung teilzunehmen und dafür zu trainieren.

Begeistert ist auch Zhou Hanhua, der mit seiner Gruppe am anderen Ufer aus den Fluten steigt. Seine goldene Körperbemalung ist auch vom schlammigen Wasser des Yangtse nicht abgewaschen worden. "Das war ein wunderbares Erlebnis - ich bin etwas geschafft, fühle mich aber großartig", sagt er. Für viele scheint das sportliche Großereignis im Mittelpunkt zu stehen. Mit den Details der Geschichte setzt man sich - zumindest öffentlich - lieber nicht auseinander.

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