Video-Screenshot von Dashcam-Video, das auf Telegram geteilt wurde: Ein Hamas-Terrorist mit Gewehr
analyse

Angriff auf Israel Der bittere Erfolg der Hamas

Stand: 13.10.2023 12:25 Uhr

Viele Israelis fühlen sich in ihrem Land nicht mehr sicher, eine mögliche Bodenoffensive dürfte viele Leben kosten - auf beiden Seiten. Warum der Krieg aus Sicht der Hamas schon jetzt ein Erfolg ist.

Der Angriff der Hamas hat Israel überrascht. Mehr als 1.300 Menschen wurden beim brutalen Überfall von Hamas-Terroristen und durch den Beschuss auf Israel mit Tausenden Raketen getötet. Tausende wurden verletzt, rund 150 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Und so zynisch das klingt: Für die Hamas ist dieser Krieg schon jetzt ein Erfolg.

Die Terrororganisation hat Israel empfindlich getroffen und die Menschen im Land nachhaltig verstört. Nach dem massenhaften Mord rund um den Gazastreifen durch die Hamas fühlen sich viele Israelis im eigenen Land nicht mehr sicher.

Hamas zeigt Verwundbarkeit Israels

Die Hamas hat gezeigt, wie verwundbar Israel ist. Der Angriff wurde offenbar über Jahre vorbereitet. Offenbar weitgehend unbemerkt von den israelischen Geheimdiensten und der militärischen Aufklärung wurden große Waffenarsenale angelegt und konkrete Angriffsszenarien trainiert. Offenbar sind massenhaft Waffen und Material zum Bau von Raketen in den Gazastreifen geliefert worden - obwohl das Gebiet von Israel und auch von Ägypten in den letzten Jahren immer stärker abgeriegelt worden ist.

Die Hamas zieht mit ihrem Angriff Israel nun in einen Bodenkrieg, den man in den letzten Jahren stets vermeiden wollte. Doch Israels militärische Führung musste erkennen, dass es nicht mehr ausreicht, Ziele aus der Luft zu bombardieren, wenn man die Strukturen der Hamas zerschlagen will. So droht ein gefährlicher Häuserkampf in den Straßen des Gazastreifens, möglicherweise mit erbittertem Widerstand durch Kämpfer der Hamas und des Islamischen Dschihad.

Viele Probleme bei Bodenoffensive

Noch ist eine übergroße Mehrheit der Israelis dafür, dass Israel diesen Krieg mit aller Härte führt - doch wenn es bei einem Einsatz von Bodentruppen zahlreiche weitere Tote und Verletzte in den eigenen Reihen gibt, könnte sich das ändern.

Der Druck auf Israel verstärkt sich auch in dem Maße, in dem sich die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen verschärft. Israel steht bei der Bodenoffensive vor einem Dilemma: Einerseits ist es das Ziel, große Teile der Zivilbevölkerung zu schützen, weshalb nun Teile des Gazastreifens evakuiert werden sollen.

Politisches Überleben der Regierung fraglich

Andererseits verschärft sich dadurch die Krise. Bereits jetzt gibt es dort kaum Orte, an denen sich die Menschen in dem dicht besiedelten Gebiet schützen können. Die Versorgung mit Wasser, Strom und medizinischen Gütern ist großenteils zusammengebrochen. Die Strategie der Hamas, die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, scheint auch in diesem Fall aufzugehen. Dabei nimmt die Hamas auch eine große Zahl von Opfern in Kauf.

Die Hamas hat Israel zu einem Zeitpunkt angegriffen, in dem das Land innenpolitisch geschwächt war. Der monatelange Streit um die Justizreform hat die Spaltung der Gesellschaft vertieft und auch Israels Militär geschwächt. Viele Reservistinnen und Reservisten hatten sich an den Massenprotesten beteiligt und waren nicht mehr zum Dienst erschienen.

Die Regierung unter Premierminister Benjamin Netanyahu, der sich mit rechtsextremen und ultrareligiösen Kräften eingelassen hat, setzte von Beginn an offenbar die falschen Prioritäten: Die Schwächung des Rechtsstaates und der massive Ausbau der Siedlungen im besetzten Westjordanland wurden vorangetrieben, die Sicherheit des Landes wurde vernachlässigt. Diese Situation hat die Hamas für ihren Angriff genutzt. Ob die Regierung Netanyahu das politisch überleben kann, ist fraglich.

Hamas bleibt eine Bedrohung

Ziel des Krieges mit der Hamas im Gazastreifen ist es, die Strukturen der Terroristen zu vernichten. Die Terrororganisation selbst wird es jedoch weitergeben, sie bleibt eine Bedrohung für Israel. Teile ihrer Führungsriege leben im Ausland. Und auch im von Israel besetzten Westjordanland wächst die Unterstützung für die Hamas.

Dort haben sich in letzter Zeit immer mehr gewaltbereite junge Menschen der Hamas angeschlossen, die unter der israelischen Besatzung leiden und von der Regierung durch die schwache palästinensische Autonomiebehörde unter Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas enttäuscht sind. Es ist zu erwarten, dass die Hamas auch dort nach ihrem Angriff auf Israel mehr Zulauf bekommt - was die Bedrohung für Israel durch palästinensischen Terror nochmals erhöhen könnte.

Zukunft des Gazastreifens unklar

Unklar ist auch, was aus dem Gazastreifen wird, wenn dieser Krieg vorbei ist. Selbst wenn das Regime der Hamas dort beseitigt wird, braucht es eine Art von Regierung, und die mehr als 2,2 Millionen Menschen dort müssen versorgt werden. Israel kann das Gebiet schon aus humanitären und aus Sicherheitsgründen nicht sich selbst überlassen - zumindest braucht es ein Grenzregime, das die Versorgung der Bevölkerung sicherstellt und gleichzeitig den Aufbau neuer Terrorstrukturen verhindert. Die Zukunft des Gazastreifens ist ein Thema, mit dem sich Israel - zusammen mit Ägypten - schon bald beschäftigen muss - ob es will oder nicht.

Der Schaden durch den Angriff der Hamas ist auch mit Blick auf Israels Rolle im gesamten Nahen Osten immens. Dabei standen die Zeichen zuletzt auf Entspannung: Nach den so genannten Abraham Accords, den Normalisierungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein und Marokko, wurde zuletzt über ein solches Abkommen auch zwischen Israel und Saudi-Arabien verhandelt. Ein Abschluss war zuletzt immer wahrscheinlicher geworden.

Für Israel wäre das ein großer diplomatischer Erfolg gewesen, der das Gesicht des Nahen Ostens verändert hätte. Doch weil auch die USA Teil des Deals sind, gibt es dafür ein Zeitfenster bis ins Frühjahr 2024 - danach steht die Außenpolitik der USA immer mehr im Zeichen des Präsidentschaftswahlkampfes. Von dem Abkommen kann zur Zeit keine Rede sein - auch weil Saudi-Arabien Verbesserungen für die Palästinenser zur Bedingung gemacht hatte. Auf absehbare Zeit dürfte es vom Tisch sein. Mit ihrem Angriff hat die Hamas Israel also nicht nur innenpolitischen, sondern auch massiven außenpolitischen Schaden zugefügt.

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