Ein Wahlbanner des tunesischen Präsidenten und Kandidaten für die Wiederwahl, Kais Saied, hängt im Vorfeld der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen an einer Wand in der Hauptstadt Tunis.
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Tunesien Ein schwieriger Partner will die Wiederwahl

Stand: 06.10.2024 07:30 Uhr

Für die EU ist Tunesiens Präsident Saied nicht nur in Sachen Migration ein wichtiger Partner. Doch Saied regiert daheim mit harter Hand. Das bekamen vor der heutigen Präsidentenwahl viele mögliche Bewerber zu spüren.

Vier junge Männer um die 20 schlendern am Nachmittag durch eine belebte Straße in einem Vorort von Tunis. Sie kommen von der harten Arbeit auf einer nahen Baustelle, könnten jetzt ihren Feierabend genießen. Aber tatsächlich ist in ihrem Leben kein Platz für Genuss. "Sie mögen keine Menschen mit dunkler Haut hier", sagt Ismael aus Mali. Sie würden benutzt wie Sklaven. Er und seine Freunde müssten immer vorsichtig sein, auch auf dem Heimweg von der Arbeit. Häufig komme einfach so die Polizei.

Für alle vier ist Tunesien eine Zwischenstation, eigentlich wollen sie nach Europa, wollen dort arbeiten und Geld verdienen, um ihre Familien in Mali, Kamerun oder Elfenbeinküste aus Armut und Krieg zu holen.

Dass die tunesische Küstenwache Schlepperboote Richtung Europa streng kontrolliert, Menschen wieder zurück über die Grenze, etwa nach Libyen, schickt wissen sie. Auch, dass tunesische Sicherheitskräfte Migranten aus den Ländern südlich der Sahara immer wieder in der Wüste aussetzen. Das hält sie nicht ab. "Ich riskiere mein Leben für meinen Vater und meine Mutter", sagt Ismael, er wolle sie nicht weiter leiden sehen.

Weniger Einreisen übers zentrale Mittelmeer

Von der tunesischen Küstenstadt Sfax sind es nur 180 Kilometer bis zur italienischen Insel Lampedusa. Diese Route war im vergangenen Jahr eine der Hauptrouten für Einwanderer aus Afrika und Asien nach Europa. Bis Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Beziehungen zu Tunesien intensivierte und im Juli 2023 gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Tunis einen Deal vereinbarte: 150 Millionen Euro stellte die EU in Aussicht für besseren Grenzschutz an der Küste. Und noch mehr, falls Tunesien sich an ökonomische Vorgaben des Internationalen Währungsfonds hielte, was bisher nicht geschehen ist.

Tunesien intensiviert den Küstenschutz seitdem erheblich - aus europäischer Sicht mit Erfolg: Die Einreisen gingen auf der zentralen Mittelmeerroute deutlich zurück. Die europäische Grenzschutzagentur bilanzierte jüngst für die Monate Januar bis Juli 2024 ein Minus von 64 Prozent bei den Ankünften von Migrantinnen und Migranten in Italien über die sogenannte "Zentrale Mittelmeerroute".

Tunesiens Wirtschaft weiter instabil

Doch im Memorandum, das die Europäer und der zunehmend autokratisch regierende tunesische Präsident Kais Saied damals ausgehandelt haben, ist der Grenzschutz nur ein Teil. In vier von fünf Punkten geht es um Wirtschaftsförderung, um den Ausbau erneuerbarer Energien und um berufliche Bildung. Eigentlich müsste dieser Teil des Abkommens für Tunesien essenziell sein, denn die Wirtschaftsdaten des Landes sind schwach.

Zwar kam aus Tunesien die Initialzündung für den "arabischen Frühling", in den Folgejahren galt das Land als mustergültig im Aufbau demokratischer Strukturen. Aber keine der demokratisch gewählten Regierungen schaffte es, die Wirtschaft zu stabilisieren und Tunesiens Potential, etwa für erneuerbare Energien, zu nutzen.

Scharfe Kritik am Abkommen

"Tunesien ist eines der wenigen Länder in der Region, das nicht zu seinem wirtschaftlichen Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist, mit null Wachstum, ohne Erfolge und mit einem Staat, der nicht mehr investieren kann", analysiert Ghazi Ben Ahmed, Leiter der Denkfabrik "Mediterranean Development Initiative" gegenüber tagesschau.de ernüchtert die Wirtschaftslage des Landes.

Von der Vereinbarung der EU mit Tunesien hält er wenig. Für Meloni und von der Leyen sei es um eine "kurzfristige Show" gegangen, um "zu sagen, dass es uns gelungen ist, die Einwanderung zu stoppen". Für Tunesien sei das Abkommen "katastrophal".

Es helfe einem Diktator dabei, mehr Macht und Geld zu bekommen, während er selbst nicht in der Lage sei, die wirtschaftliche Situation des Landes zu verbessern. "Das wird dazu führen, dass immer mehr Tunesier das Land verlassen wollen."

Proteste nur in der Hauptstadt

Trotzdem trauen die Anhänger von Präsident Saied nur ihm zu, das Land in eine gute Zukunft zu führen. Wenige Tage vor der Wahl bekunden um die 50 Symphatisanten auf den Straßen von Tunis lautstark ihre Unterstützung für den Präsidenten, auch weil er es gewesen sei, der die alten Eliten entmachtet habe.

Dass bei der Wahl nur zwei von vielen Gegenkandidatinnen und Gegenkandidaten zugelassen wurden und dass Oppositionelle, Anwälte und NGO-Vertreterinnen und -Vertreter derzeit reihenweise im Gefängnis landen, mobilisiert zwar deutlich größere Demonstrationszüge auf den Straßen der tunesischen Hauptstadt, aber entfacht keine Massenproteste im ganzen Land.

"Klima der Angst" vor der Wahl

Menschenrechtsorganisationen wie das "Tunisian Forum for Economic and Social Rights" haben derzeit Schwierigkeiten, ihre Arbeit so fortzusetzen, wie sie es bisher getan haben. Romdane Ben Amor, Sprecher der Organisation, spricht von einem "Klima der Angst", berichtet von Kollegen, insbesondere aus Hilfsorganisationen für Migrantinnen und Migranten, die jetzt in Haft sind. "Wir werden nicht aufhören. Wir sind weiter da, um Migranten zu unterstützen, die in die Wüste vertrieben werden, denen jegliche Hilfe zur medizinischen Versorgung vorenthalten wird, um Hilfe zu leisten."

Die EU kennt diese Schattenseiten ihres Umgangs mit Tunesien. Die französische Zeitung Le Monde zitiert einen internen Vermerk vom 7. Juli 2024 des europäischen diplomatischen Dienstes: Die Behandlung von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen in Tunesien sei zunehmend besorgniserregend.

Derweil haben sich die Routen für die Migration übers Mittelmeer verlagert. Laut Frontex stiegen die Ankünfte über die sogenannte Westafrikanische Route auf den Kanaren von Januar bis Juli um 154 Prozent. Wegen der Nähe zu Italien dürften es Menschen wie Ismael und seine Freunde wohl dennoch weiter versuchen, von Tunesien aus gen Europa abzulegen.

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