Rote Schleifen

Welt-Aids-Tag Die unbeachtete Epidemie

Stand: 01.12.2022 04:39 Uhr

Durch die Corona-Pandemie ist Aids aus dem Blick geraten. Dabei sterben weiterhin Hunderttausende Menschen jedes Jahr. Wie ist die Lage in Deutschland? Und welche neuen Behandlungmöglichkeiten gibt es?

Von Ulrike Till und Ralf Kölbel, SWR

Wie viele Menschen sind von HIV betroffen?

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind derzeit mehr als 38 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert; jedes Jahr stecken sich weltweit rund 1,5 Millionen Personen neu an.

In Deutschland haben sich laut Robert Koch-Institut (RKI) im vergangenen Jahr etwa 1800 Menschen mit dem HI-Virus infiziert, das sind genauso viele wie 2020. Interessant ist ein Blick auf die Details: Bei schwulen und bisexuellen Männern gehen die Ansteckungen weiter zurück - eine erfreuliche Entwicklung. Allerdings infizieren sich seit 2010 immer mehr Drogenabhängige. Inzwischen stagnieren die Zahlen aber auch hier. Hauptübertragungsweg sind laut RKI aber nach wie vor ungeschützte Sexualkontakte.

Die Deutsche Aidshilfe ist dennoch besorgt, weil gerade unter Drogenabhängigen vermutlich eine Reihe von Betroffenen gar nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind. Sie können besonders leicht andere anstecken. Insgesamt lebten Ende 2021 laut RKI rund 90.800 HIV-positive Menschen in Deutschland, Hochrechnungen zufolge sind etwa 8600 Infektionen noch nicht diagnostiziert.

Warum ist Aids so gefährlich?

Wer Aids hat, leidet unter einem Immundefekt. Die Ursache dafür ist eine Infektion mit dem HI-Virus - kurz HIV. Die Viren dringen im Körper in die T-Helferzellen ein, eine Untergruppe weißer Blutkörperchen. Diese werden dadurch beschädigt oder komplett zerstört. Je weniger T-Helferzellen wir haben, desto schlechter funktioniert unser Immunsystem.

Menschen mit HIV werden (unbehandelt) deshalb häufig krank. Eine Aids-Diagnose gibt es vor allem in ärmeren Ländern oftmals erst, wenn sogenannte Aids-definierende Erkrankungen auftreten. Dazu gehören zum Beispiel Tuberkulose, Gehirnentzündungen und Tumore. Unbehandelt endet Aids in aller Regel tödlich. Als eigenständige Krankheit ist Aids seit 1981 anerkannt. Für viele beginnt die Geschichte von Aids Anfang der 1980er-Jahre. Tatsächlich ist das HI-Virus aber wahrscheinlich schon 100 Jahre alt.

Was ist das Besondere an HI-Viren?

Die Oberfläche des HI-Virus ist anders aufgebaut als die Oberfläche zum Beispiel des Coronavirus: Es gibt weniger "Andockstellen" für Antikörper. Dazu kommt noch eine sehr hohe Mutationsrate, die dazu führt, dass diese Andockstellen sich auch noch ständig verändern. Antikörper, die gegen Oberflächenproteine des HI-Virus gebildet werden, sind also bereits nach wenigen Virus-Generationen wirkungslos.

Sogenannte Fluchtmutationen des HI-Virus stellen die Forschenden vor große Herausforderungen: Denn allein im Organismus einer Patientin oder eines Patienten kann HIV im Laufe der Behandlung mehrere Millionen Mutationen bilden. Zudem entwickelt das Virus immer wieder Resistenzen. Dadurch erhöht sich die Viruslast, und Therapien müssen wieder angepasst werden - ein Wettlauf gegen die Zeit. HI-Viren können nämlich in "Schläferzellen" lange Zeit unbemerkt überleben, zum Beispiel in Lymphknoten oder im Knochenmark. Mit Antikörpertests lassen sich diese tückischen Reservoirs nicht erfassen.

Welche Therapien gibt es gegen Aids?

Heilbar ist HIV zwar nach wie vor nicht - aber behandelbar. Zum Beispiel mit Medikamenten, die verhindern, dass sich die HI-Viren weiter ausbreiten. So können HIV-positive Menschen oft ohne größere Einschränkungen leben - und sie sind nicht ansteckend. Laut Hanna Mathews, Infektiologin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, geben sie das Virus sogar unter Geburt nicht an ihre Kinder weiter. Allerdings sind regelmäßige Arztbesuche nötig, damit die Medikamente richtig eingestellt sind. Denn ihre Wirkung kann nachlassen, oder es können sich Unverträglichkeiten entwickeln.

Zudem gibt es präventive Maßnahmen wie die PrEP, die sogenannte Prä-Expositions-Therapie. Diese Tablettentherapie mit dem Mittel Truvada hat einen ähnlichen Effekt wie eine Impfung, allerdings nicht dauerhaft. HIV-negative Menschen können die Pillen nehmen, wenn sie wissen, dass sie einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Wenn man die Pillen konsequent einnimmt, sinkt die Infektionsgefahr deutlich.

Knochenmarktransplantationen, die bereits bei mehreren Patienten zu einer seltenen Heilung geführt haben, kommen nur in Ausnahmefällen in Frage. Und eine HIV-Immunität mit der Genschere CRISPR/Cas in Embryonen einzubauen, wie es ein chinesischer Wissenschaftler getan haben soll, ist für viele aus ethischen Gründen ausgeschlossen.

Gibt es Impfstoffe gegen HIV/Aids?

Das HI-Virus ist sehr viel wandelbarer als Coronaviren. Deshalb ist die Suche nach einem Impfstoff auch viel komplizierter und dauert nun schon fast vierzig Jahre. Bei den klassischen Impfstoffen fällt die Bilanz im Moment gemischt aus: Die meisten bislang entwickelten Impfstoffe zeigten keine große Wirksamkeit.

Vorsichtige Hoffnung liegt nun auf mRNA-Impfstoffen: Moderna hat im Januar 2022 erste Testreihen gestartet. Auch BioNTech entwickelt einen Impfstoff gegen den Aids-Erreger. Die Hoffnungen sind groß, aber ob sich das Virus mit Hilfe von mRNA-Technologie eines Tages tatsächlich besiegen lässt, ist noch offen.

Eine anderen vielversprechenden Ansatz hat der Mediziner Philipp Schommers von der Uniklinik Köln entdeckt. Er hat bei einzelnen Infizierten einen universellen Antikörper entdeckt, der die Mutation des Virus gut verhindern konnte - ein möglicher erster Schritt hin zu einer Impfung. Für seine Forschung ist Schommers 2021 mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet worden.

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