Ein Passagierflugzeug zieht Kondensstreifen am Himmel

Kritik von Umweltschützern Warum "klimaneutrales" Fliegen umstritten ist

Stand: 14.07.2024 16:23 Uhr

Mit gutem Gewissen zur Abflughalle: Airlines bieten ihren Passagieren nachhaltige Tarife an, mit denen sie ihren CO2-Fußabdruck kompensieren können. Umweltschützer sehen die gesponserten Klimaprojekte skeptisch.

Von Susanne Mayer, HR

Wer in der Urlaubszeit bei Lufthansa einen Economy-Flug von Frankfurt nach Barcelona und zurück buchen will, kann zwischen dem Tarif Economy-Classic und dem Tarif Economy Green wählen. Für einen Direktflug im Juli fallen dann zum Beispiel 265,98 Euro statt 240,98 Euro an: 25 Euro mehr für ein gutes Gewissen.

Denn bei Lufthansa und Swiss Airlines können Passagiere die CO2-Emissionen ihrer Reise berechnen lassen und während oder nach der Buchung kompensieren, wie Elisabeth Schnell, die Pressesprecherin des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), erklärt. Auch Eurowings biete eine Kohlenstoffdioxid-Kompensation an. 

"Die Kompensation kann durch das Pflanzen von Bäumen oder den Einsatz von CO2-neutralen, synthetischen Kraftstoffen erfolgen", erklärt Schnell. Bei den typischen Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern wird zum Beispiel auch in Solarkocher oder effiziente Heizöfen investiert.

Vor allem junge Fluggäste kompensieren

Besonders gut angenommen werden die Angebote allerdings noch nicht. Bei einer Ipsos-Verbraucherumfrage aus dem Juni 2023 gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, noch nie eine Kompensationszahlung geleistet zu haben. Die meisten Befragten sehen beim Klimaausgleich die Fluggesellschaften in der Pflicht.

Jüngere Fluggäste sind am ehesten bereit dazu, etwas für ihre Klimabilanz zu tun, wie die Befragung im Auftrag des BDL ergab: Bei der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen haben 29 Prozent bereits ihren CO2-Ausstoß kompensiert. 

Fliegen ist das klimaschädlichste Verkehrsmittel

Einer, der seine Flüge schon öfters kompensiert hat, ist der Atmosphärenforscher Joachim Curtius von der Frankfurter Goethe-Universität. "Das Fliegen ist wirklich das mit Abstand klimaschädlichste Verkehrsmittel", sagt er. Anders als bei der Stromerzeugung oder bei der Wärmegewinnung mangelt es laut Curtius in der stark wachsenden Flugindustrie an guten Konzepten: "Es gibt keine Elektroflugzeuge oder Wasserstoffflugzeuge."

Die CO2-Kompensation hält er momentan "für das Beste, was machbar ist", wenn Flüge unvermeidbar seien. Passagiere investieren dabei auch in nachhaltige Flugkraftstoffe - eine Alternative zu fossilen Kraftstoffen. Das sei sinnvoll, um CO2-Emissionen zu reduzieren, so Curtius. 

Bei den sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAFs) handelt es sich um Kraftstoffe, die unter anderem aus Biomasse hergestellt werden oder um synthetische Kraftstoffe, die aus Erneuerbaren Energien und CO2 erzeugt werden. 

Nachhaltige Kraftstoffe nicht ausreichend verfügbar

"Das Problem ist allerdings, dass E-Fuels oder SAFs nicht in genügend großer Menge zur Verfügung stehen - im Moment noch nicht mal im Promillebereich dessen, was gebraucht werden würde", sagt der Wissenschaftler. Da müsse viel mehr bereitgestellt werden, im Moment sei das aber nicht absehbar. 

Nach einer EU-Verordnung müssen SAFs ab 2025 beim Betanken von Flugzeugen beigemischt werden. Der Anteil startet entsprechend gering bei zwei Prozent. Bis 2050 sollen dann 70 Prozent der auf EU-Flughäfen bereitgestellten Treibstoffe umweltfreundlicher sein. 

Zusammenarbeit mit Kompensationsanbietern

Zurück in die Gegenwart: Nicht nur bei Airlines, sondern auch bei Anbietern wie Atmosfair, KlimaKollekte oder myclimate können Passagiere Geld spenden, um die hohen Klimabelastungen durch Flugreisen auszugleichen. Denn der Flugverkehr verursacht derzeit rund fünf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Swiss Airlines arbeiten bei der Kompensation laut Sprecherin Schnell unter anderem mit der Schweizer Klimaschutzstiftung myclimate und der Plattform Compensaid zusammen. Für die Qualität der Projekte stehe der sogenannte Gold-Standard.

Umweltschützer für Kerosinsteuer im Flugverkehr

Marte van der Graaf, Referentin für Luftfahrtpolitik bei Transport & Environment (T&E) Deutschland, hält wenig von den Kompensationsangeboten der Airlines: "Im Moment ist der einzige grüne Flug der, der am Boden bleibt." Dem Dachverband für sauberen Verkehr und Energie gehören 59 Umweltorganisationen aus 24 europäischen Ländern an. 

Die Klimaprojekte sieht sie skeptisch: Beim Waldschutz oder beim Verteilen von Solarkochern in Entwicklungsländern sei schwer nachzuvollziehen, was dort genau passiert. "Fluggesellschaften sollten aufhören, das vorzuschieben", so van der Graaf. 

Die Lösungsansätze der Umweltschützer von T&E: eine Kerosin-Steuer im Flugverkehr erheben, die Luftfahrt in den europäischen Emissionshandel integrieren und auf E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, setzen.

Kritik an "Waldkompensation"

Auch Anja Köhne, Flugverkehrsexpertin bei der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch, meint, es fehle in der Luftfahrtbranche an Steuergerechtigkeit. "Eine freiwillige Kompensation ersetzt nicht die gesetzlichen Rahmenbedingungen", sagt sie.

Fluggäste, die ihren CO2-Fußabdruck durch Spenden reduzieren wollen, sollten genau hinschauen, wofür das Geld in Entwicklungsländern verwendet wird. "Lasst die Hände von Waldkompensation", rät Köhne. Diese Projekte seien oftmals nicht nachhaltig, Wälder könnten abbrennen. Zudem müsse man sich fragen, ob eine Wiederaufforstung den Menschen vor Ort überhaupt nutze.

Kritik übt Köhne auch an den grünen Angeboten von Airlines. Diese würden etwa klimaschädliche Nicht-CO2-Effekte, wie Kondensstreifen, die aus Abgasen entstehen, außen vor lassen. Diese trügen allerdings viel stärker zur globalen Erderwärmung bei als der CO2-Ausstoß der Flugzeuge. "Das ist Augenwischerei", so Kühne.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte gegen die Lufthansa wegen des Verdachts auf Greenwashing bereits Ende April eine Unterlassungsklage am Landgericht Köln eingereicht. Lufthansa signalisiere, dass Flüge durch einen CO2-Ausgleich keine klimaschädlichen Auswirkungen hätten, so die Umwelthilfe. 

Europäische Kommission: Verdacht auf Greenwashing

Nicht nur Umweltschutzorganisationen nehmen die CO2-Versprechen von Airlines unter die Lupe. Die Europäische Kommission und Verbraucherschutzbehörden prüfen seit Mai 20 Fluggesellschaften wegen des Verdachts auf Greenwashing. Darunter befinden sich fast alle Airlines der Lufthansa-Gruppe und andere Anbieter wie Air France-KLM und Ryanair. 

Die Unternehmen sollen ihre Behauptungen belegen, dass die Kohlenstoff-Emissionen ihrer Flüge ausgeglichen werden können. 

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