EU-Kommissionspräsident Juncker und EU-Ratspräsident Tusk bei einer Pressekonferenz
Kommentar

EU-Gipfel Ein Partner für alle Brexit-Fälle

Stand: 22.03.2019 06:51 Uhr

Mit den Auflagen für den Brexit-Aufschubs erhöht die EU den Druck auf die Briten und ködert sie zugleich. Um dem Unterhaus das Ja zum Brexit-Deal zu erleichtern, sollte May ihren Rücktritt anbieten.

Ein Kommentar von Ralph Sina, ARD Brüssel

Wir machen alles möglich, aber ihr müsst Euch jetzt entscheiden - und zwar bald. So lautet die Botschaft der EU an die Briten, und zwar gleichermaßen an das Unterhaus wie an die May-Regierung.

Die EU agiert wie ein flexibler Partner für alle Brexit-Fälle: Wenn die Briten einen Chaos-Brexit ohne Scheidungsvertrag wollen, bitte schön, dann bekommen sie ihn. Aber nicht irgendwann, sondern bereits im April.

EU erhöht den Druck

Damit erhöhen die Staats- und Regierungschefs der EU, allen voran Angela Merkel und Emmanuel Macron, den Entscheidungsdruck in London. Wenn das britische Unterhaus die wirtschaftlich und politisch schlechteste Brexit-Variante für das Vereinigte Königreich doch noch abwenden will, dann bitte schön bald, sehr bald. So lautet das unmissverständliche Signal aus Brüssel.

Vielleicht gelingt Theresa May mit diesem Brüsseler Rückenwind ja wider Erwarten bereits in der nächsten Woche ein hauchdünner Abstimmungserfolg im britischen Parlament. Denn wenn der von ihr unterschriebene Deal im nächsten oder übernächsten oder überübernächsten Anlauf doch noch eine Mehrheit erhalten sollte, dann haben die Briten noch zwei Monate Zeit, sich auf die Einzelheiten des Scheidungsvertrages einzustellen, Gesetze anzupassen und Details zu regeln.

Köder für die Briten

Die EU versucht London zu ködern. Sie schenkt den Briten eine etwas längere Atempause als eigentlich vorgesehen, wenn das Parlament dem mühsam mit May ausgehandelten Deal zustimmt.

Die britische Premierministerin sollte die Abgeordneten mit einem Zusatzangebot ködern und ihren Rücktritt für den Fall anbieten, dass das Unterhaus endlich seine Blockadepolitik aufgibt und dem Ausstiegsvertrag mit der EU zustimmt. Dann könnte May als Regierungschefin in die Geschichtsbücher eingehen, die den Mehrheitswillen des Volkes umgesetzt hat: Brexit ja, aber geordnet und mit einem Vertrag. Zuzüglich der Aussicht, ziemlich beste Freunde zu bleiben in einer neuen britischen Partnerschaft mit der EU.

Steilvorlage für May

Wie immer diese Handelspartnerschaft vertraglich geregelt wird: Die Europäische Union gibt May also die Chance, sich aus dem Tiefpunkt ihrer Karriere herauszukatapultieren und Größe zu zeigen - durch die Bereitschaft zurückzutreten, nachdem das Unterhaus dem Brexit-Vertrag zugestimmt hat. Über die zukünftige Beziehung zur EU können sich dann die Großmäuler Boris Johnson und Co. Gedanken machen.

May aber hätte das für Unmöglich gehaltene geschafft: Sie hätte das quälende Brexit-Chaos doch noch geregelt. Die EU hat ihr auf diesem Gipfel eine Steilvorlage geliefert, Größe zu zeigen. May muss jetzt liefern. Und das Unterhaus in London auch. Oder beide gehen als vereinigte Dilettanten in die britische Nachkriegsgeschichte ein.

Die Europäische Union jedenfalls hat seltene Größe gezeigt und macht jede Brexit-Variante möglich. Nur eines geht auf britischer Seite nicht mehr: auf Zeit zu spielen. London ist jetzt am Zug. Die EU hat geliefert.

Redaktioneller Hinweis
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

über Am Programm: Class="sendungsbezug Thema Title">dieses Dieses