Eine schwangere Demonstrantin mit einer Botschaft auf ihrem Shirt protestiert gegen die Aufhebung des Abtreibungsrechts durch den Obersten Gerichtshof.
Kommentar

US-Abtreibungsurteil Unfähig zum Kompromiss

Stand: 25.06.2022 10:09 Uhr

Die USA sind ein Land der Extreme, das hat das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichts erneut gezeigt. Statt nach Kompromissen zu suchen, ficht die Politik ideologische Grabenkämpfe aus

Es ist zum Heulen: Da kippt der US-Supreme Court nach fast 50 Jahren das Grundrecht auf Abtreibung. Und das einzige, was dem Präsidenten und anderen Abtreibungs-Befürwortern einfällt, ist, das bisher geltende Recht jetzt eben einfach bundesweit gesetzlich festzuschreiben. Und das einzige, was die Abtreibungsgegner aus ihrem Sieg ableiten, ist, jetzt doch endlich alle Schwangerschaftsabbrüche komplett zu verbieten - und Verhütungsmittel am besten gleich mit. Extremisten, auf beiden Seiten.

Das bisherige Abtreibungsrecht, das die Richter 1973 per Grundsatzurteil verankerten, erlaubt Abbrüche bis das Baby auch außerhalb des Mutterleibes lebensfähig ist. Damals in der Regel in der 24., inzwischen in der 22. Schwangerschaftswoche. Extrem spät, oder? Und ein neues Gesetz in Oklahoma, das jetzt in Kraft treten kann, verbietet künftig Abbrüche schon ab dem Moment der Befruchtung. Extrem früh, oder?

Verleumdung statt Kompromiss

Ein Kompromiss, irgendwo dazwischen, so wie ihn selbst das erzkatholische Irland irgendwann finden konnte, wird in den USA nicht mal diskutiert. Eine breite gesellschaftliche und politische Debatte darüber, ob und ab wann das Selbstbestimmungsrecht einer Frau abgewogen werden muss gegen das Lebensrecht des noch ungeborenen Kindes? Fehlanzeige. Stattdessen Verleumdung: "Kindermörder" auf der einen Seite, "mittelalterliche Frauen-Unterdrücker" auf der anderen.

Und so ist es ja nicht nur beim Thema Abtreibung. Sondern beispielsweise auch beim anderen großen Reizthema Waffen: Ein Wunder, dass sich der Kongress just am Tag des neuen Abtreibungsurteils immerhin auf eine minimale Verschärfung der Waffenrechts verständigen konnte.

Aber leider kein Wunder, dass die meisten Republikaner sich nicht mal dazu durchringen konnte. Weil sie von den Extremisten in ihrer Partei - allen voran Ex-Präsident Donald Trump und seinen Anhängern - als unpatriotische Verräter verunglimpft werden, die den Amerikanern angeblich ein Grundrecht nehmen wollen.

Gewinnen oder verlieren, ganz oder gar nicht

Dabei sind die US-Bürger - zumindest laut Umfragen - doch längst viel weiter: Eine große Mehrheit ist für ein Recht auf Abtreibung. Mit Einschränkung: Die 22. Woche finden die meisten zu spät. Und eine große Mehrheit ist auch dafür, dem angeblich in der Verfassung verankerten Recht eines jeden Amerikaners eine Waffe zu tragen, engere Grenzen zu setzen. Waffen komplett verbieten wollen die meisten nicht. 

Aber in der US-Politik mit ihrem Zwei-Parteien-System und mit einem Obersten Gerichtshof, dessen Richter mittlerweile rein auf ideologischer Basis ausgesucht werden, gilt eben: rot oder blau, schwarz oder weiß, gewinnen oder verlieren, ganz oder gar nicht. Dazwischen gibt es weiter nichts - nur die Frauen, die für einen Abbruch künftig noch weiter reisen und noch mehr Geld ausgeben, Gesetze brechen und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen - oder ungewollte Kinder bekommen müssen.

 

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