Eine überflutete Straße mit mehreren VW Käfer in einer ehemals zum VW-Konzern gehörende Farm in Brasilien.
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Volkswagen in Brasilien Ermittlungsverfahren wegen Sklavenarbeit

Stand: 29.05.2022 18:36 Uhr

Volkswagen muss sich in Brasilien einem neuen Ermittlungsverfahren stellen. Nach Informationen von NDR, SWR und "Süddeutscher Zeitung" werden dem Autobauer systematische Menschenrechtsverletzungen in Hunderten Fällen vorgeworfen.

NDR, SWR und "Süddeutscher Zeitung" liegen die mehr als 2000 Seiten starken Akten des Ermittlungsverfahrens vor. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum von 1974 bis 1986, in dem der Autobauer eine Farm am Rande des Amazonasbeckens betrieb. Die Verbrechen sollen auf dem Farmgelände an Leiharbeitern verübt worden sein, die für die Rodungsarbeiten eingesetzt wurden - wohl mit Wissen des VW-Vorstands in Wolfsburg.

Volkswagen Brasilien wurde den Recherchen zufolge in einer amtlichen Zustellung vom 19.05.2022 offiziell über das Verfahren in Kenntnis gesetzt und zu einer Anhörung am 14. Juni vor dem Arbeitsgericht in der Hauptstadt Brasilia vorgeladen. Auf Anfrage wollte sich das Unternehmen mit Verweis auf das mögliche juristische Verfahren in Brasilien nicht äußern, versicherte aber, dass man die Vorwürfe sehr ernst nehme.

Ermittlungsakten beschreiben Gewaltausbrüche

Ein 84-seitiger Abschlussbericht des Ermittlungsverfahrens führt die Beweisaufnahme und die Vorwürfe gegen den Autobauer im Einzelnen auf. Den Unterlagen zufolge sollen die Verbrechen von Arbeitsvermittlern verübt worden sein, die von der Farmleitung mit den Rodungen beauftragt wurden, sowie ihren bewaffneten Aufpassern. Bei missglückten Fluchtversuchen sollen Leiharbeiter angeschossen, verprügelt und gefesselt worden sein. Selbst Schwerkranke sollen mit vorgehaltener Waffe zur Arbeit gezwungen und erniedrigt worden sein.

Die Zeugenaussagen beschreiben unter anderem, wie Arbeiter die Waffe der Aufpasser in den Mund nehmen mussten, wie die Frau eines Arbeiters als Strafe für einen Fluchtversuch vergewaltigt wurde und wie auch Minderjährige auf der Farm gegen ihren Willen festgehalten wurden. Eine Mutter gab zu Protokoll, wie ihr Sohn den Verletzungen durch die Gewaltausbrüche erlegen sei, andere Arbeiter sollen verschwunden sein. "Das war eine Form moderner Sklaverei", so der zuständige Staatsanwalt Rafael Garcia in Rio de Janeiro.

Garcia spricht von unmenschlichen Arbeitsbedingungen, "in denen die Arbeiter Malaria bekamen, zum Teil starben, auf der Farm begraben wurden, ohne dass ihre Familien informiert wurden". In mehreren Fällen soll Kranken oder Verletzten die Behandlung verweigert worden sein. "VW hat diese Form von Versklavung offensichtlich nicht nur akzeptiert, sondern auch befördert - es war schlichtweg billige Arbeitskraft", so der Staatsanwalt.

Eine zum VW-Konzern gehörende Farm in Brasilien.

Eine Baracke der Arbeiter, die für die Rodung des Urwalds zuständig warten. Die Bedingungen waren katastrophal.

Schuldknechtschaft als System

Recherchen der drei Medien aus 2017 hatten bereits Dutzende Protokolle von Aussagen ehemaliger Leiharbeiter und historische Polizeiberichte ausgewertet sowie mit den ehemaligen Arbeitern und Verantwortlichen gesprochen. Demnach wurden die Leiharbeiter aus entlegenen Dörfern mit falschen Versprechungen auf die Farm gelockt. Dort angekommen berechneten die Arbeitsvermittler entgegen den Absprachen nachträglich unter anderem den Transport zur Farm und Verpflegung.

Unter dem Vorhalt der Abarbeitung dieser "Schulden" wurden die Leiharbeiter nach eigener Schilderung auf der Farm festgehalten und zur Arbeit gezwungen. Den Aussagen nach mussten die Leiharbeiter auch für Nahrungsmittel hohe Preise zahlen, so dass sie weiter verschuldet blieben. Die damals befragten ehemaligen Arbeiter sind nun Hauptzeugen in dem Ermittlungsverfahren.

Rinderzucht vom Autobauer

Volkswagen in Brasilien hatte für den Aufbau der Farm Rodungen von insgesamt 70.000 Hektar Wald bei Arbeitsvermittlern in Auftrag gegeben, die Hälfte der gesamten Fläche der Farm. Die "Companhia Vale do Rio Cristalino" im brasilianischen Bundesstaat Pará sollte der Einstieg des Autobauers in das Fleischgeschäft sein - auf Einladung der brasilianischen Militärdiktatur, die Steuererleichterungen anbot.

Der ehemalige Manager der Farm, der Schweizer Friedrich Brügger, weist jede Verantwortung von sich. Die Verantwortung habe bei den Arbeitsvermittlern gelegen, die mit den Rodungsarbeiten beauftragt wurden. Man müsse die Sache im Rahmen sehen. Wenn 1000 Leute auf einem Haufen seien, gehe es nicht immer ganz zart zu, "das liegt ja auf der Hand. Und vor allem mitten im Urwald".

Den systematischen Einsatz von Gewalt und Sklaverei streitet er aber ab und spricht von möglichen Einzelfällen "im Rahmen" des damals Üblichen. Die Verschuldungen habe es gegeben, seien aber mit hohem Konsum durch die Leiharbeiter gerechtfertigt gewesen. Brügger spreche nicht für die Volkswagen AG, heißt es aus Wolfsburg, seine Aussagen würden im Widerspruch zu den Werten von VW stehen.

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