02.07.2020, GrossŸbritannien, Birmingham: Die National Crime Agency (NCA) und die Polizei beteiligen sich an einer Razzia, in der mehr als 100 mutmassliche Straftäter in mehreren Ländern festgenommen worden.
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Encrochat-Kryptohandys Durften die das?

Stand: 18.02.2022 06:01 Uhr

Über Kryptohandys von Encrochat haben zahlreiche Kriminelle ihre Geschäfte abgewickelt. Dann gelang es französischen Behörden das System zu knacken. Doch war die Beteiligung des Bundeskriminalamts rechtens?

Von Florian Flade, WDR, und Reiko Pinkert, NDR

Es war ein riesiger Schlag gegen das Organisierte Verbrechen. Im Frühjahr 2020 gelang es französischen Behörden, das verschlüsselte Kommunikationssystem Encrochat zu knacken. Damit hatten sich zahlreiche Kriminelle mit eigens dafür modifizierten Handys ausgetauscht. Dabei ging es vor allem um Drogen- und Waffenhandel. Den riesigen Datensatz teilten die Franzosen mit europäischen Ermittlern - auch mit dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA).

Seitdem stapeln sich bei den hiesigen Staatsanwaltschaften die Akten im Komplex Encrochat. Vielerorts machen die Ankläger Überstunden, einige Justizbehörden mussten sogar neues Personal einstellen. Bundesweit gab es Razzien, Festnahmen und inzwischen auch Verurteilungen von Nutzern der Kryptohandys.

Doch es gibt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung. Ein Zusammenschluss von europäischen Anwälten hat nun einen offenen Brief verfasst. Der größte Streitpunkt darin ist die Frage, ab wann die deutschen Ermittler vom Hack der verschlüsselten Handys wussten - und ob sie einer massenhaften Überwachung von Nutzern in Deutschland durch französische Behörden vorab zugestimmt haben. Die Anwälte fordern, dass die Ermittler offenlegen, wie genau das Encrochat-System geknackt wurde, wie die Datenerhebung durchgeführt wurde und welche Behörden daran beteiligt waren.

Richterliche Anordnung in Deutschland unabdingbar

In Deutschland muss eine richterliche Anordnung vorliegen, um Telefone abhören zu dürfen. Eine solche sei allerdings in keinem Encrochat-Fall ergangen, so die Kritik der Anwälte. Die beiden deutschen Rechtsanwälte Christian Lödden und Maximilian Rakow unterstellen dem BKA, dass die Ermittler somit an einer rechtswidrigen Datenerhebung beteiligt gewesen seien und sie anschließend die Umstände verschwiegen haben. 

Nach bisheriger Darstellung des BKA habe man die Daten aus Frankreich zu deutschen Nutzern der Krypto-Telefone ohne vorheriges Wissen übermittelt bekommen. Offenbar aber waren das BKA und die federführende Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vorab informiert worden. Das legt zumindest eine dienstliche Stellungnahme der damals zuständigen Staatsanwältin nahe, die NDR und WDR vorliegt.

Geheime Videokonferenz

Demnach habe die Juristin gemeinsam mit zwei Vertretern des BKA am 9. März 2020 an einer geheimen Videokonferenz von Eurojust, der EU-Plattform für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, teilgenommen - also noch vor dem Hack von Encrochat. Bei dem virtuellen Treffen mehrerer europäischer Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden sei von französischer Seite angekündigt worden, dass man zeitnah ein Krypto-System knacken und die Daten anschließend an die Partnerbehörden übermitteln werde.

Der Name Encrochat soll dabei gemäß eines BKA-Vermerks allerdings nicht explizit genannt worden sein, lediglich der Name der französischen Operation: "Emma". Ein BKA-Ermittler, der in dieser Woche als Zeuge im Landgericht in Bonn auftrat, erklärte allerdings auf Nachfrage, es sei den Beteiligten damals durchaus klar gewesen, um welchen Anbieter es gehe. In einem Urteil eines norwegischen Gerichts in einem Encrochat-Verfahren wird zudem darauf verwiesen, dass schon bei der Einladung zu dem virtuellen Treffen von Encrochat die Rede gewesen sei.

Bei der Videokonferenz Anfang März 2020 hatten die französischen Ermittler den europäischen Partnern erklärt, sie würden aus Sicherheitsgründen nicht offenlegen, wie das verschlüsselte Kommunikationssystem geknackt würde.

Französische Behörden baten um juristische Prüfung

Die französischen Behörden baten die beteiligten Stellen außerdem darum, ihre Zustimmung zu der Aktion zu erteilen und zu prüfen, ob die Daten nach der jeweiligen nationalen Gesetzgebung auch verwertet werden dürfen. Das geht aus einem Eurojust-Schreiben hervor, das Ende März 2020, einige Wochen nach der besagten Videokonferenz, verschickt wurde. 

Das BKA soll daraufhin seine Zustimmung erteilt haben. Kurz darauf erhielten die deutschen Ermittler erste Datensätze aus Frankreich. Ob die Beweismittel nun verwertet werden dürfen, werden Gerichte klären müssen. Dann müssen auch weitere Kritikpunkte der Anwälte geklärt werden - wie der Vorwurf, dass die Angeklagten keine Möglichkeit gehabt hätten, die Authentizität der Beweise zu prüfen. Auch gäbe es keine vollständige Akteneinsicht.

Viele Unschuldige betroffen

Außerdem kritisieren die Juristen, dass von der Überwachungsaktion wahrscheinlich zahlreiche Unschuldige betroffen waren. Laut einem Beschluss des Landgerichtes Berlin waren nur 67 Prozent der Nutzer mutmaßliche Kriminelle.

Das BKA bestätigte auf Anfrage, dass Angehörige der Behörde an einem Eurojust-Treffen teilgenommen haben. Zum Inhalt der Gespräche machte das BKA mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Sitzung keine Angaben. Weiter teilte das BKA mit, "dass die den deutschen Behörden übermittelten Encrochat-Daten zu einem späteren Zeitpunkt per Europäischer Ermittlungsanordnung (EEA) zwecks gerichtlicher Verwendung angefordert wurden. Dies wurde Mitte Juni 2020 genehmigt."

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