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Pharmaskandal "Arzneimittel sind das neue Kokain für Kriminelle"

Stand: 09.10.2024 13:52 Uhr

Eigentlich müsste sich Mohamed H. vor Gericht verantworten. Er gilt als ein mutmaßlicher Drahtzieher in einem der größten Krebsmittelskandale der letzten Jahre. Doch er soll verhandlungsunfähig sein. Daran gibt es laut Fakt-Recherchen Zweifel.

Von Caroline Walter, MDR

Mohamed H. sitzt im Konferenzraum eines Frankfurter Hotels und gibt sich selbstbewusst. Er habe sehr gute Kontakte in viele Länder - Kanada, USA und vor allem in die Golf-Region. Der Deutsch-Ägypter bietet bei diesem Geschäftstreffen zahlreiche teure verschreibungspflichtige Medikamente an. Über seine Bestseller sagt er: "Krebsmedikamente - ich liebe sie einfach sehr. Ich bin ein Profi in Sachen Krebsmedikamente." Er könne sie im Ausland besorgen.

H. nennt ein neues Brustkrebsmedikament, das er in der Regel innerhalb von drei bis fünf Werktagen liefern könne. "Ich habe ein super exzellentes Netzwerk, um das zu machen", so Mohamed H. Gerade habe er 450 Packungen von einem anderen Krebsmedikament bestellt.

Was Mohamed H. nicht weiß: Die vermeintlichen Pharmahändler, mit denen er hier zu tun hat, sind Undercover-Reporter von Fakt. Per WhatsApp schickt er seinen neuen "Kunden" viele Nachrichten und Fotos von zahlreichen Krebsmedikamenten, die er anbieten will, darunter solche gegen Darm- und Brustkrebs. Die Marktpreise für solche Arzneien liegen zwischen 1500 und 5000 Euro pro Packung.

Der 76-Jährige Mohamed H. ist mit dem Bus zu dem Hoteltreffen gefahren und macht einen durchaus gesunden Eindruck, während er zwei Stunden lang sein raffiniertes Geschäftsmodell ausbreitet. Aber wie kann das sein, denn angeblich ist er laut Justiz verhandlungsunfähig?

Der Lunapharm-Prozess und das Attest

Oktober 2023 - Prozessauftakt am Landgericht Potsdam. Mohamed H. und der Geschäftsführerin von Lunapharm, Susanne K., wird vorgeworfen, gefälschte Krebsmedikamente aus Griechenland vertrieben zu haben. Gefälscht, weil die Angeklagten die Herkunft und Lieferwege der Arzneimittel verschleiert haben sollen.

Im Mai 2018 verhaftete die griechische Polizei 21 Verdächtige in Athen, darunter auch Mohamed H. als mutmaßlichen Drahtzieher. Über Jahre soll das kriminelle Netzwerk teure Krebsmedikamente vor allem aus Kliniken abgezweigt haben, um sie illegal nach Deutschland zu exportieren.

Deutsche Hauptabnehmerin der von Mohamed H. gelieferten Ware soll Lunapharm gewesen sein, der Pharmahandel von Susanne K. in Brandenburg. Sie verkaufte die Medikamente an deutsche Apotheken weiter, die wiederum Arztpraxen damit versorgten. Tausende Patienten in Deutschland waren von diesem Fall betroffen. Damals brachten Recherchen des ARD-Magazins Kontraste das Versagen der Kontrollbehörden ans Licht und die Ermittlungen der Justiz ins Laufen.

Gesundheitsamt bescheinigt Verhandlungsunfähigkeit

Doch zum Prozessbeginn am Landgericht Potsdam fehlte der Hauptangeklagte Mohamed H. Er sei reise- und verhandlungsunfähig. In einem Attest, ausgestellt von einem hessischen Gesundheitsamts, wird er als gebrechlich beschrieben.

Mohamed H. habe mehrere Krankheiten und leide unter Kurzatmigkeit und Schmerzen im Brustkorb bei geringer Belastung. Er könne nur kleine Schritte machen und brauche massive Unterstützung bei einer Wegstrecke mit dem Rollator. Eine Kommunikation mit ihm sei nicht möglich, er könne einfache Anweisungen nicht befolgen. Mohamed H. sei ein Prozess nicht zuzumuten.

Doch verdeckte Fakt-Recherchen begründen nun den Verdacht, dass Mohamed H. die Justiz über seinen Gesundheitszustand täuscht. Und nicht nur das: Er handelt offenbar weiter mit Krebsmedikamenten, ohne dass die Behörden etwas davon ahnen. In den WhatsApp-Nachrichten an seine vermeintlich neuen Kunden, also die Undercover-Fakt-Reporter, geht es zu wie auf einem digitalen Marktplatz.

Auf den Fotos, die Mohamed H. verschickt, sieht man teuerste, verschreibungspflichtige Krebsmedikamente auf dem heimischen Wohnzimmertisch präsentiert und gestapelt. Manche noch in Einkaufstüten mit arabischer Aufschrift, andere haben Kaffeeflecken auf der Packung oder sind bereits geöffnet worden.

Geöffnete und verschmutzte Verpackungen

"Dieser Handel ist hochkriminell. Allein, dass Packungen aufgerissen sind, führt schon dazu, dass es sich um ein illegales Arzneimittel handelt", so die Einschätzung von Arndt Sinn, Strafrechtsexperte an der Universität Osnabrück. Der Fall Mohamed H. sei ein Beispiel dafür, dass der illegale Arzneimittelhandel weiter wachse, bei geringem Risiko erwischt zu werden.

"Abnehmspritzen wie Ozempic sind derzeit heiß begehrt und deshalb Mangelware auf dem Pharmamarkt. Aber das scheint offenbar kein Problem für Mohamed H. zu sein. Bei dem "Undercover-Geschäftstreffen" bietet er auch Ozempic in großer Menge an."

Nach dem "Lunapharm"-Skandal hatten die Arzneimittelkontrollbehörden bundesweit angekündigt, deutsche Pharmahändler strenger zu kontrollieren. Doch Mohamed H. fällt offenbar erneut durch das Raster. Seine früheren Firmen hat er einfach leicht umbenannt und sich neue Geschäftspartner gesucht.

"Sorry, ich bin der Kopf des Ganzen. Ich liebe, was ich tue. Warum aufhören?", so brüstet sich Mohamed H. stolz gegenüber den Undercover-Reportern. Die Arzneimittelaufsicht in Hessen, zuständig für Mohamed H., teilt gegenüber Fakt mit, dass ihr seine neuen Tätigkeiten und Firmen bisher nicht bekannt seien.

Hoher Profit - geringes Risiko

Auch die Justiz gebe kein gutes Bild ab, so Strafrechtsexperte Sinn. "Es wundert mich, dass das Gericht gerade in diesem Fall ein Jahr lang das Attest nicht überprüft hat." Der Fall sei typisch, denn Arzneimittelkriminalität werde von den Behörden nicht ernst genug genommen, obwohl von ihr hohe Gesundheitsgefahren ausgingen. "Arzneimittel sind das neue Kokain für Kriminelle. Man kann sehr viel Geld verdienen und der Kontrolldruck und das Strafverfolgungsrisiko sind extrem gering auf diesem Markt", kritisiert Sinn.

Das Landgericht Potsdam kündigte auf Fakt-Anfrage an, den Gesundheitszustand von Mohamed H. nach Abschluss des laufenden Verfahrens gegen die Lunapharm-Geschäftsführerin erneut überprüfen zu wollen, "um weitere prozessuale Schritte zu erwägen."

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