Im Jahr 2011 serviert der Unternehmer und Restaurantbesitzer Jewgeni Prigoschin dem damaligen Ministerpräsidenten Putin in seinem Restaurant bei Moskau das Essen. (Archivbild)

Einflussnahme in Deutschland "Putins Koch" und sein langer Arm

Stand: 06.05.2021 06:00 Uhr

Russland versucht verdeckt, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Nach Recherchen von Kontraste und der "Zeit" führt eine Spur dabei zum russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten Prigoschin.

Von Andrea Becker, Georg Heil und Markus Pohl, rbb

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine unverdächtige Veranstaltung: Im Berliner Hilton-Hotel findet im Januar eine internationale Konferenz zu den Themen Umwelt und Digitalisierung im Ostseeraum statt. Offizielle Veranstalter sind eine Londoner PR-Agentur und der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA). Wegen der Pandemie findet die Konferenz größtenteils online statt.

Unter den Teilnehmern sind auch deutsche Politiker: die vier Bundestagsabgeordneten Stephan Albani (CDU), Marcus Held (SPD), Stefan Keuter (AfD) und Alexander Kulitz (FDP).

Stephan Albani

DerCDU-Abgeordnete Albani ...

Marcus Held

... und sein SPD-Kollege Held nahmen an der Konferenz teil.

Versuch einer verdeckten Einflussnahme

Abgeordnete, die möglicherweise zum Spielball russischer Interessen werden sollen. Zumindest sehen mehrere europäische Nachrichtendienste die Konferenz nach Informationen von Kontraste und der "Zeit" als Versuch einer verdeckten russischen Einflussnahme.

Auch Jörg Forbrig, Osteuropaexperte beim German Marshall Fund, erkennt eine Strategie: Mit unauffälligen Themen solle ein Netzwerk zu weniger prominenten Politikern geknüpft werden, um so von der politischen Peripherie aus unauffällig immer mehr Einfluss zu gewinnen. "Es ist ein Versuch einer ersten Kontaktaufnahme mit einem deutschen Partner, um die Beziehungen zu einem späteren Zeitpunkt für Einflussnahmen konkreter Natur ausnutzen zu können", so Forbrig.

Verbindung zu Kreml-nahem Finanzier der "Trollfabrik"

Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste und der "Zeit" pflegt der Lobby-Verband BWA, der die Konferenz "Baltic Sea Region Strategic Dialogue" mitorganisiert hat, Kontakte zu Personen und Organisationen, die in enger Verbindung zum russischen Oligarchen Jewgeni Prigoschin stehen. Dieser ist auch bekannt als "Putins Koch”. Mit seiner Catering-Agentur, Restaurants und Staatsaufträgen soll er es zum Milliardär gebracht haben.

Prigoschin gilt als Finanzier der sogenannten Trollfabrik, die sich mit Desinformationskampagnen unter anderem in den US-Wahlkampf 2016 eingemischt haben soll. Für Hinweise, die zu seiner Verhaftung führen, verspricht die US-Regierung eine Belohnung von 250.000 Dollar. Prigoschin wird zudem mit der Söldnerfirma "Wagner" in Verbindung gebracht, die im syrischen Bürgerkrieg, in vielen Ländern Afrikas und in der Ostukraine im Interesse Russlands agiert - und der schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Russin als Drahtzieherin?

Kontraste und der "Zeit" liegen interne E-Mails vor, in denen es um die Organisation der Konferenz in Berlin geht. Darin taucht immer wieder ein Name auf: Julia Berg, geborene Afanasjewa. Seit Oktober ist sie auch sogenannte Senatorin des BWA. Eine solche Mitgliedschaft kostet laut der Vereinssatzung mindestens 3000 Euro im Jahr. Offenbar ist Berg die Verbindung zwischen dem deutschen Wirtschaftsverband und Prigoschins Aktivitäten - und die eigentliche Drahtzieherin hinter der Berliner Konferenz.

Die Russin ist bereits früher bei Strukturen des russischen Oligarchen in Erscheinung getreten. So gilt sie als zentrale Figur der Vereinigung AFRIC - einer Prigoschin-nahen Organisation, mit der Russland versuchte, seinen Einfluss in Afrika auszuweiten. AFRIC schickte unter anderem sogenannte Wahlbeobachter in diverse afrikanische Staaten - darunter Madagaskar, Simbabwe und den Kongo - mutmaßlich mit dem Ziel, russische Interessen zu befördern und den Ausgang der dortigen Wahlen in Sinne Moskaus zu beeinflussen. Auf eine Anfrage von Kontraste und der "Zeit" reagierte Berg nicht.

Auf US-Sanktionsliste

Der russische Investigativ-Journalist Ilja Roschdestwenskij hat sich intensiv mit Jewgeni Prigoschins und Julia Bergs Engagement in Afrika beschäftigt und erklärt gegenüber Kontraste: "Sie hat sich um die Auswahl der Wahlbeobachter gekümmert und Strategien erstellt, wie die Strukturen von Prigoschin in Afrika agieren sollen." Die Russin ist laut Roschdestwenskij eine zentrale Figur in Prigoschins Einflussnetzwerk. Die USA haben Julia Berg Mitte April auf die Sanktionsliste gesetzt - Begründung: Zusammen mit anderen habe sie Prigoschins "bösartige Einflussoperationen in Europa und Afrika" unterstützt.

Auf die Verbindungen Bergs zu Prigoschin angesprochen, erklärt BWA-Vorstand Michael Schumann gegenüber Kontraste und der "Zeit" schriftlich, dass der Verband von diesen erst aus den Medien erfahren habe. Außerdem sei es dem BWA nicht möglich, die Verbindungen seiner Mitglieder nach und in Russland in jedem Einzelfall auf "transatlantische Akzeptanz" zu prüfen und einer Bewertung zu unterziehen. "Wir setzen uns seit mehr als 18 Jahren für gute Beziehungen zu Russland ein. Da ist es unumgänglich, dass Mitglieder Verbindungen dorthin unterhalten."

Weitere Verbindungen

Doch es gibt weitere Berührungspunkte: Zwei hochrangige Berater des BWA, Urs Unkauf und Volker Tschapke, waren mehrfach als Wahlbeobachter für AFRIC im Einsatz. Unkauf arbeitet zudem im Bundestag für den SPD-Abgeordneten Markus Held, einen der Teilnehmer an der Konferenz in Berlin.

Stefan Keuter

Der AfD-Abgeordnete Keuter erklärte, nichts von der Prigoschin-Verbindung gewusst zu haben...

Alexander Kulitz

... ebenso der FDP-Abgeordnete Kulitz.

Die Bundestagsabgeordneten Held (SPD), Keuter (AfD) und Kulitz (FDP) erklärten gegenüber Kontraste und der "Zeit", sie hätten nichts darüber gewusst, dass die Berliner Konferenz mit den Netzwerken Prigoschins in Verbindung stehen könnte. Zugleich behauptete Stefan Keuter, mit Berg in einem freundschaftlichen Verhältnis zu stehen. Kennengelernt habe man sich über einen Bekannten aus der russischen Präsidialadministration - was seine Freundin Julia Berg genau beruflich mache, wisse er nicht, so der AfD-Mann. Der Abgeordnete Stephan Albani (CDU), der auch Vizepräsident des BWA ist, hat trotz mehrmaliger Anfragen gar nicht geantwortet.

Kreml überlässt Einflussoperationen privaten Akteuren

Osteuropa-Experte Jörg Forbrig erwartet von Bundestagsabgeordneten mehr Vorsicht im Umgang mit derartigen Veranstaltungen. Solche Konferenzen seien eine Möglichkeit Einfluss zu gewinnen, ohne dass sich die Verbindung zu Russland eindeutig beweisen lässt. Es gehe in erster Linie darum, Akteure zu finden, die sich langfristig positiv über Russland äußern.

Die Trollfabrik, ein privates Militärunternehmen, russlandfreundliche Wahlbeobachter und vermeintlich unverdächtige Konferenzen lassen auf ein Muster schließen, nach dem Russland in letzter Zeit seine Einflussoperationen gestaltet: "Der Kreml überlässt hier das Experimentieren mit neuen Möglichkeiten der Einflussnahme privaten Akteuren, da sie besser aufgestellt und flexibler sind", sagt Russland-Kenner Forbrig. Zudem lasse sich damit für den Kreml einfacher und besser abstreiten, dass es hier wirklich um Einflussnahme des russischen Staates gehe.

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