Bankentürme in Frankfurt
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Cum-Cum-Aktiendeals Aufklärung stockt - trotz Milliardenschaden

Stand: 14.10.2022 05:00 Uhr

Häufig ist vom Steuerraub durch Cum-Ex-Deals die Rede, seltener von Cum-Cum-Geschäften. Dabei ist der Schaden immens: Fast 30 Milliarden Euro dürften dem Fiskus dadurch entgangen sein. Die Aufarbeitung geht nach BR-Informationen nur schleppend voran.

Von Pia Dangelmayer und Arne Meyer-Fünffinger, BR

Beim Thema Cum-Cum-Aktiengeschäfte kann sich Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende e.V., schnell in Rage reden. "Mein Eindruck ist, dass der politische Wille völlig fehlt, die illegalen Gewinne von den Instituten, die beteiligt waren, zurückzufordern. Und dass deswegen auch die juristische Aufarbeitung nicht in Gang kommt."

Mit dieser Meinung steht Schick nicht alleine da. Christoph Spengel, Finanzwissenschaftler von der Universität Mannheim, hält es für "schockierend", dass beim Thema Cum-Cum in den vergangenen Jahren "überhaupt nichts" passiert ist. "Wir wissen heute sehr viel über Cum-Cum-Geschäfte, wie die abgelaufen sind, wer beteiligt gewesen sein kann, und wo man ansetzen muss mit einer Betriebsprüfung und auch mit Strafverfolgung", sagt er im Interview mit dem BR.

Stark vereinfacht dargestellt werden bei Cum-Cum-Deals Wertpapiere ausländischer Aktionäre aus Gründen der Steuerersparnis kurzzeitig über den Dividendenstichtag an Geschäftspartner in Deutschland verliehen, da diese die Kapitalertragsteuer erstattet bekommen können. Das Geld vom Fiskus teilen sich die Akteure - der Staat geht leer aus.

Bisher nur wenige Urteile

BR Recherche hat in den vergangenen Wochen die Finanzgerichte sowie die Finanzressorts der Bundesländer zum Stand der Aufarbeitung von Cum-Cum-Aktiengeschäften befragt. Danach haben bis heute lediglich die Finanzgerichte in München, Nürnberg und Kassel einen Beschluss beziehungsweise Urteile dazu gefällt.

Was mögliche Rückforderungen von entgangenen Steuereinnahmen angeht, vermeldeten nur Hessen und Rheinland-Pfalz Ergebnisse. Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen lehnten mit dem Verweis auf das Steuergeheimnis jegliche Stellungnahme ab.

Mindestens 30 Milliarden Euro Schaden für den Staat

Cum-Cum-Aktiengeschäfte waren weit verbreitet - in einer Umfrage der Finanzaufsicht BaFin im Jahr 2017 gaben 85 Institute an, sich an solchen Geschäften beteiligt zu haben.

Den Schaden, der alleine dem deutschen Staat seit 2001 entstanden ist, beziffert der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel auf etwa 30 Milliarden Euro. "Das ist eine konservative Schätzung", betont er. Die Große Koalition hatte Cum-Cum-Deals per Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2016 erheblich erschwert. Der Staat hätte die Möglichkeit, das Geld aus den illegalen Steuererstattungen zurückzuholen.

Finanzgericht Hessen mit wegweisenden Urteilen

Bereits 2015 hat der Bundesfinanzhof in einem Urteil Cum-Cum-Geschäfte als illegal eingestuft. Als bahnbrechend schätzen Experten zwei inzwischen rechtskräftige Cum-Cum-Entscheidungen des Finanzgerichts Kassel aus den Jahren 2020 (4 K 890/17) und 2021 (4 K 646/20) ein.

In beiden Fällen war das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass sich die beteiligten Banken wegen mehrerer Verstöße gegen die Abgabenordnung zu Unrecht vom Staat Kapitalertragsteuer haben erstatten lassen. Gerhard Schick, bis zu seinem Ausscheiden 2018 aus dem Deutschen Bundestag finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht in diesen beiden Entscheidungen einen ersten "Spalt in dieser Mauer der Nichtaufklärung bei Cum-Cum".

Mittlerweile hat sich auch das Bundesfinanzministerium dieser Argumentation angeschlossen und in einem Schreiben an die obersten Finanzbehörden der Länder klargestellt, dass es in der kurzen Aktien-Leihe von ausländischen Investoren an deutsche Geschäftspartner über den Dividendenstichtag einen Gestaltungsmissbrauch sieht.

Rückforderungen aus Hessen und Rheinland-Pfalz

Nach Angaben des hessischen Finanzministeriums werden in dem Bundesland aktuell 76 Cum-Cum-Verdachtsfälle steuerrechtlich geprüft. Bei 70 dieser Fälle stehe schon fest, dass es sich um Cum-Cum-Gestaltungen gehandelt hat, antwortet das Ministerium auf die BR-Umfrage. Stand heute haben die Akteure bislang rund eine Milliarde Euro an den Fiskus zurückgezahlt.

Hessen geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die Gesamtsumme der zu Unrecht erstatteten Kapitalertragsteuer allein dort am Ende bei knapp vier Milliarden Euro liegen dürfte. In Rheinland-Pfalz sind nach Angaben des dortigen Finanzministeriums fünf Steuerfälle mit Bezug zu Cum-Cum-Gestaltungen bekannt geworden. Bislang hat das Bundesland nach eigenen Angaben 36,4 Millionen Euro zurückgefordert.

Damit diese Summe noch deutlich steigt, setzt Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende e.V. jetzt auf die Europäische Union. Schick hat Anfang Oktober bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt, weil der Staat das Geld nicht konsequent genug wieder eintreibe. Darin sieht er eine "rechtswidrige staatliche Beihilfe" und eine "Subventionierung der Banken, die Cum-Cum gemacht haben, wenn sie diese illegalen Gewinne behalten dürfen".

2016 erstmals international Schlagzeilen

Im Mai 2016 hatte das Thema Cum-Cum-Geschäfte erstmals größere Schlagzeilen gemacht. BR Recherche und report München enthüllten gemeinsam mit der Investigativ-Plattform "Pro Publica" aus den USA, dass ausgerechnet die im Zuge der Finanzkrise vom Staat gestützte Commerzbank den Fiskus mit Hilfe dieser Deals um Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe gebracht hat.

Die Bank kündigte nach der Berichterstattung an, aus diesen Geschäften auszusteigen. Auf eine aktuelle Anfrage teilte die Commerzbank dem BR mit, dass sie zudem bereits entsprechende Nachforderungen der Finanzverwaltung beglichen habe: "Eine abschließende Entscheidung über die Berechtigung dieser Forderungen steht aber noch aus."

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Commerzbank-Deals

Nach Informationen von BR Recherche ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Köln - nicht nur, wie bisher bekannt, wegen Cum-Ex-Geschäften, sondern auch wegen der Cum-Cum-Deals der Commerzbank. Äußern will sich die Behörde dazu nicht. Auch die Commerzbank kommentiert die Ermittlungen nicht. Sie betont allerdings, ihr sei nicht bekannt, "dass die Ermittlungsbehörden neben Cum-Ex-Aktiengeschäften auch Cum-Cum-Geschäfte als strafbar bewerten".