Polizeibeamte untersuchen den Tatort in Berlin-Moabit.
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Getöteter Georgier Islamistischer Gefährder oder Patriot?

Stand: 28.08.2019 15:10 Uhr

Viel wird über die Motive des Mords an einem Georgier in Berlin spekuliert. Der russische Geheimdienst habe ihn immer wieder als Islamisten bezeichnet, heißt es. Aus Georgien kommen andere Einschätzungen.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Ein Mord am helllichten Tag mitten in Berlin - ausgeführt wie eine Hinrichtung und professionell vorbereitet, so bisherige Erkenntnisse über die Erschießung eines Georgiers am 23. August. Ein russischer Staatsbürger sitzt als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft.

Im Zusammenhang mit dem Mordopfer Zelimkhan Khangoshvili ist unter Bezugnahme auf deutsche Sicherheitsbehörden von einem tschetschenischen Islamisten die Rede. Nach seiner Einreise sei er 2017 als Gefährder mit islamistischen oder nationalistischen Motiven eingeschätzt worden, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Ab 2018 blieb er demnach wegen "Verbindungen ins kriminelle Milieu im Blick".

Ein Polizeiwagen steht hinter einer Absperrung in Berlin-Moabit.

Tatort Kleiner Tiergarten in Berlin - ein Polizeiwagen steht hinter einer Absperrung.

Der russische Geheimdienst FSB habe immer wieder Hinweise auf Kontakte Khangoshvilis zu Terroristen im Kaukasus gegeben. Untermauert wird dies mit Informationen, wonach Khangoshvili Anhänger des islamistischen "Kaukasischen Emirats" gewesen sei. 2012 sei er in eine Auseinandersetzung zwischen georgischen Sicherheitskräften und Islamisten in Georgien involviert gewesen.

Khangoshvili scheint das Bild eines potenziell gefährlichen Kämpfers oder eines in organisierte Kriminalität verwickelten Clanmitgliedes zu erfüllen. Deutsche Sicherheitsbehörden warnen seit Längerem vor tschetschenischen Banden, die Rockerbanden und andere Mafiagruppen mit ihrer Brutalität und Einbindung von Kämpfern mit Kriegserfahrung verdrängen würden.

Gräueltaten in zwei Tschetschenienkriegen

Kaum Berücksichtigung findet in der Öffentlichkeit jedoch, dass russische wie regierungsnahe Medien, Geheimdienste und Sicherheitskräfte auch Partei in einem Konflikt sind, der ab 1994 als erster Tschetschenienkrieg ausgetragen wurde. Die Tschetschenen kämpften damals um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Moskau sowie um Gerechtigkeit, nachdem sie von Stalin für lange Zeit aus ihrer Heimat im Kaukasus verbannt worden waren.

Angesichts von Gräueltaten radikalisierte sich der Kampf. Im zweiten Tschetschenienkrieg ab 1999 dominierten Kämpfer mit islamistischen Motiven. Die Auseinandersetzung wurde als Terror in andere Regionen und Städte Russlands getragen: Bei Geiselnahmen und Anschlägen wurden Hunderte Zivilisten getötet. 2003 übernahmen die Kadyrovs mit Unterstützung Moskaus die Führung in Tschetschenien. Der Kampf wurde beendet. Mit harter Hand wird heute jeder Widerstand unterdrückt. Kadyrovs Netzwerk reicht weit über Tschetschenien hinaus.

Der georgische Staatsbürger Khangoshvili kämpfte im zweiten Tschetschenienkrieg gegen die russischen Sicherheitskräfte. Er stammte aus dem georgischen Pankisi-Tal und gehört der muslimischen Minderheit der Kisten an, die mit den Tschetschenen in Russland verwandt sind.

Keine Aufklärung durch die georgische Regierung

Auffällig ist, dass die amtierende georgische Regierung praktisch nichts zur Aufklärung der Hintergründe bekannt gibt. Die Sicherheitsbehörden in Tiflis wollen auch auf Nachfrage nichts mitteilen.

Erklären lässt sich dies teils mit einem schwierigen Verhältnis zur muslimischen Minderheit in Georgien. So herrscht unter den Einwohnern des Pankisi-Tals große Verbitterung über einen Anti-Terror-Einsatz im Jahr 2018, bei dem ein 19-Jähriger schlafend in seinem Bett erschossen worden sei. Zudem galt Khangoshvili als loyal zum politischen Gegner der amtierenden Führung, der Vorgängerregierung unter Michail Saakaschwili.

"Kein Islamist"

Hochrangige Mitarbeiter der damaligen Regierung zeichnen auf Anfrage von tagesschau.de ein konkreteres Bild von Khangoshvili als bislang bekannt - wobei auch sie im Konflikt mit der russischen Führung eine Partei sind. Giga Bokeria, ehemaliger Chef des Nationalen Sicherheitsrates, antwortete, Khangoshvili sei kein Islamist, sondern ein separatistischer Gegner der russischen Führung im Geiste des ersten Tschetschenienkrieges gewesen.

Unterstützt wird diese Einschätzung durch Aussagen georgischer Menschenrechtler über eine enge Verbindung Khangoshvilis zu Aslan Maschadov. Der Ex-Offizier der Sowjetarmee und gewählte Präsident Tschetscheniens galt als moderat und auch noch während des zweiten Tschetschenienkrieges verhandlungsbereit mit der russischen Führung.

Khangoshvilis Bündnis mit Maschadov lässt es fragwürdig erscheinen, ob er mit berüchtigten Islamisten wie Shamil Bassayev und Doku Umarov, dem Chef des "Kaukasus-Emirats", gemeinsame Sache machte. Beide sahen Terror als legitim an und waren für Geiselnahmen und Anschläge verantwortlich.

Der georgische Ex-Ombudsmann Ucha Nanuachvili und Shota Utiashvili, ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Innenministeriums in Tiflis, sehen dafür keine Anhaltspunkte. Beide waren mit Khangoshvili befasst in Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung in der georgischen Lopota-Schlucht zwischen georgischen Sicherheitskräften und Kämpfern mit mehreren Toten im Jahr 2012.

Vermittler in einer bewaffneten Auseinandersetzung

Die Beteiligung Khangoshvilis wird als wichtiger Aspekt für seine Beobachtung durch den russischen Geheimdienst FSB genannt. Der Ablauf des Geschehens ist bis heute unaufgeklärt und hoch umstritten. Eine Theorie lautet, der Zwischenfall habe der Destabilisierung Georgiens dienen sollen, einer anderen zufolge sollten die Kämpfer nach Russland gebracht werden.

Khangoshvili selbst erklärte in einem Interview 2013, er sei als Verhandler hinzugerufen worden. So beschreibt es auch Utiashvili: "Wir versuchten ihn als Vermittler einzubinden", bevor die Dinge aus dem Ruder gelaufen seien. Darüber hinaus habe Khangoshvili in dem Fall keine Rolle gespielt.

Nanuashvili, der eine Untersuchung zum Lopota-Fall durchführte und der damaligen Führung sehr kritisch gegenübersteht, fand keine Bestätigung für Behauptungen, dass Khangoshvili Mitarbeiter der georgischen Sicherheitsbehörden war. Aber Khangoshvili habe gute Verbindungen zur Regierung gehabt und sie in einigen Fällen unterstützt.

Kein Schutz für Khangoshvili

Utiashvili sieht in Khangoshvili einen Patrioten Georgiens und der Tschetschenen. Umso verärgerter waren er und seine Mitstreiter, dass ein Anschlagsversuch auf Khangoshvili im Jahr 2015 nicht aufgeklärt wurde. Aufnahmen von Überwachungskameras seien verschwunden. Es gebe starke Hinweise auf eine Täterschaft russischer Geheimdienste. Doch Schutz wurde Khangoshvili von der amtierenden Regierung nicht gewährt.

Auch in Deutschland erhielt Khangoshvili trotz seiner Hinweise auf eine Gefährdung kein Asyl. Er sollte abgeschoben werden. Sein Tod verstärkt den Ärger und Ängste vor der Reichweite russischer Geheimdienste in der tschetschenischen Exilgemeinde und im Pankisi-Tal. Dort galt Khangoshvili als hoch angesehen. Er habe sich dafür eingesetzt, dass sich junge Männer nicht dem "Islamischen Staat" in Syrien anschlossen.

Khangoshvili sei ein kluger Führer gewesen, sagt der Menschenrechtler Simon Papuashvili. Das Leben Tausender Menschen besonders in seiner Generation sei zerstört worden durch das, was Putin und seine Leute angerichtet hätten. Beim Gedanken an ihre Heimat fühlten sie Wut, aber nicht nur das. Auch der Gedanke der Vergeltung liege nicht fern. Putin sehe sie daher als potenzielle Gefahr.

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