Die Bundespolizei kontrolliert an der deutsch-österreichischen Grenze.
Hintergrund

Seehofers Masterplan Zurückweisungen sind umstritten

Stand: 13.06.2018 17:49 Uhr

Der Masterplan von Innenminister Seehofer sieht vor, Migranten an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Möglich wäre das nur, wenn Österreich mitmacht. Die juristische Lage ist komplex.

Von Michael Stempfle, ARD Berlin

Der Masterplan von Bundesinnenminister Horst Seehofer hat vor allem eine Frage aufgeworfen: Darf Deutschland an der Grenze zurückweisen? Und falls ja, unter welchen Umständen?

Viele in der Unionsfraktion im Bundestag sprechen sich für eine solche Zurückweisung aus und verweisen dabei auf Frankreich. Das Nachbarland wies im vergangenen Jahr 87.000 Flüchtlinge an der Grenze zu Italien zurück. Zum Vergleich: Deutschland wies nach Angaben des Bundesinnenministeriums an der Grenze zu Österreich im gleichen Zeitraum etwa 7000 Menschen zurück.

Zurückweisungen widersprechen europäischem Recht

Für Constantin Hruschka, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, ist die Zurückweisung "europarechtswidrig". Vorab so viel: Eine Zurückweisung an der Grenze wäre nach europäischem Recht nur dann möglich, wenn Österreich zustimmt und die zurückgewiesene Person in Empfang nimmt. Andernfalls entstünde die Situation, dass sich die Person ohne Aufenthaltsrecht im Schengenraum aufhält, ohne dass ein Rückkehrverfahren durchgeführt wird, erklärt Hruschka.

Für alle Flüchtlinge, die um Asyl ersuchen, gilt nach europäischem Recht die viel zitierte Dublin-III-Verordnung: Sie erfordert die Durchführung eines sogenannten Dublin-Verfahrens in Deutschland, im Juristendeutsch auch "Zuständigkeits-Bestimmungsverfahren".

"Dublin ist immer anzuwenden, wenn die Person einen Asylantrag stellt oder in einem anderen Staat bereits gestellt hat." Es komme also darauf an, ob die Person bei der Polizei in Deutschland ein Asylgesuch stellt. "Wenn ja, ist Dublin anwendbar, andernfalls nicht", erläutert Hruschka.

Asylantrag im EU-Ankunftsland

Deutschland ist im sogenannten Dublin-Verfahren also gefordert herauszufinden, welches Land in der EU für die Aufnahme des Flüchtlings und die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dafür ist im Regelfall entscheidend, welches Land in der EU der Flüchtling legal oder illegal zuerst betreten hat.

Finden die deutschen Behörden dies per Datenbank Eurodac heraus und fragen sie den zuständigen Staat innerhalb von zwei Monaten an, soll der Flüchtling in das Land gebracht werden. Dafür hat Deutschland nach der Zustimmung des Staates ein halbes Jahr Zeit. Verstreicht diese halbjährige Frist, darf der Asylantragsteller in Deutschland bleiben. Dann wird das Asylverfahren hier durchgeführt.

Rechtfertigung für Asylantrag in Deutschland möglich

Bundesinnenminister Seehofer macht nun in seinem noch nicht veröffentlichten Masterplan einen Vorschlag: Eine Zurückweisung erfolgt an der Grenze, wenn sich aus der Eurodac-Datenbank ergibt, dass der Asylantragsteller in einem anderen EU-Land bereits Asyl beantragt hat.

Bei der Eurodac-Datenbank handelt es sich vereinfacht ausgedrückt um ein europäisches Fingerabdruck-Identifizierungssystem, bei dem die Fingerabdruckdaten etwa von Asylbewerbern abgeglichen werden. Dies wäre nach deutschem Aslyrecht durchaus möglich, nach geltendem EU-Recht allerdings nicht.

Der Grund: In einem Asylverfahren in Deutschland könnte sich theoretisch herausstellen, dass es juristische Gründe gibt, den Antragsteller doch in Deutschland zu behalten, obwohl ein anderes Land als Ersteintrittsland gilt - etwa wenn die Familie des Asylsuchenden schon in Deutschland lebt. Die Daten aus der Eurodac-Datenbank gelten - juristisch gesehen - zudem  nur als Indizien, aber nicht als Beweis.

Hürden für Abschiebungen

Eine Rückführung ist also nur möglich, wenn ein Migrant keinen Asylantrag stellt. "Die Schengen-Regeln sehen vor, jeden illegalen Aufenthalt zu beenden. Dazu muss aber eine gerichtlich anfechtbare Entscheidung erlassen werden", so Hruschka.

Dabei müsse auch geprüft werden, ob die Person im Heimatland oder dem Zielland der Abschiebung der Gefahr einer Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Dann wäre eine Abschiebung verboten.

"Grundsätzlich ist nur der Staat der Staatsangehörigkeit zur Rückübernahme verpflichtet, so dass im Regelfall auch in diesen abzuschieben wäre. Das europäische Recht lässt aber auch Abschiebungen in aufnahmebereite Drittstaaten zu, wenn diese möglich und praktisch durchführbar sind und dort keine Gefährdung besteht", so Hruschka weiter.

Identitätsklärung ist Routineaufgabe

In der Praxis wirft diese Regelung viele Fragen auf. Oft kommen die Flüchtlinge ohne Pässe an der Grenze an. Für deutsche Behörden ist es dann schwer herauszufinden, welches Land das Herkunftsland ist. Wenn diese Information dann vorliegt, müssen die deutschen Behörden Passersatzpapiere organisieren. Auch das kann Monate dauern.

Hruschka hält die Identitätsklärung und die Papierbeschaffung für eine Rückführung für eine "Routineaufgabe, die die Bundespolizei häufig übernimmt". Dazu gebe es unterschiedliche Methoden, wie beispielsweise Sprachgutachten. Wenn die Fragen wirklich nicht zu klären wären, würde die Person im Regelfall eine negative Entscheidung und danach entweder eine Duldung oder eine GÜB, eine Grenzübertrittsbescheinigung, erhalten.

Vereinbarung mit Österreich nötig

Rückführung von Flüchtlingen bedeutet aber nicht Zurückweisung an der Grenze, wie die CSU dies aktuell fordert. Deutschland dürfe den Antragsteller innerhalb des Schengenraums nur unter einer Voraussetzung in ein anderes Schengenland wie Österreich zurückweisen: Und zwar dann, wenn Österreich den zurückgewiesenen Asylsuchenden freiwillig aufnimmt. Sollte Innenminister Seehofer also an der Grenze zu Österreich zurückweisen wollen, müsste er eine Vereinbarung zwischen Deutschland und Österreich getroffen werden.

Sebastian Kurz und Angela Merkel

Nur wenn Österreich zustimmt, sind Zurückweisungen möglich.

Deutschland könne eine "Verwaltungsvereinbarung nach Art. 36 Dublin-III-Verordnung" mit Österreich treffen, so Hruschka. Er verweist auf Art. 36 Abs. 1 Satz 1: "Die Mitgliedstaaten können untereinander bilaterale Verwaltungsvereinbarungen bezüglich der praktischen Modalitäten der Durchführung dieser Verordnung treffen, um deren Anwendung zu erleichtern und die Effizienz zu erhöhen."

Allerdings: Eine solche Vereinbarung müsse nach Angaben Hruschkas von der EU-Kommission auf ihre Vereinbarkeit mit dem Dublin-Regelwerk geprüft werden. Er geht davon aus, dass eine solche Vereinbarung, die Zurückweisungen an der Grenze beinhaltet, nur dann mit der Dublin-III-Verordnung vereinbar wäre, wenn Österreich die Durchführung eines Dublin-Verfahrens in allen Fällen garantiert.

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