Thomas Haldenwang (Archiv)
analyse

Haldenwang und die AfD Was treibt den Verfassungsschutzchef an?

Stand: 19.08.2023 16:05 Uhr

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang und die AfD befinden sich in einer Art Dauerfehde. Immer wieder erklärt er die Partei zur Gefahr für die Demokratie. Die wehrt sich juristisch dagegen - mitunter mit Erfolg.

Von Michael Götschenberg, ARD-Hauptstadtstudio

Thomas Haldenwang ist ein besonnener Mann. Wer dem 63-jährigen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz begegnet, erlebt einen freundlichen, unaufgeregten Herrn, der nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Doch Haldenwang ist auch jemand, der die öffentliche Auseinandersetzung nicht scheut. Insbesondere wenn es um die AfD geht.

Seitdem er Präsident des Bundesamts ist, wurde die Partei zum Beobachtungsobjekt des Inlandsgeheimdienstes - zunächst als sogenannter Prüffall, dann als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Nach Überzeugung des Verfassungsschutzes radikalisiert sich die AfD zunehmend. Je erfolgreicher die AfD in Meinungsumfragen abschneidet, desto häufiger und deutlicher warnt der Verfassungsschutzchef vor der Partei.

Stillhaltezusage und erneute Warnung

Während des Europa-Parteitag der AfD Anfang August meldete sich Haldenwang zu Wort und wies darauf hin, dass auf dem Parteitag "rechtsextremistische Verschwörungstheorien" verbreitet würden, wie das Narrativ vom "großen Bevölkerungsaustausch". Die AfD ließ sich das nicht gefallen und erwirkte beim Verwaltungsgericht Köln per Eilantrag eine Unterlassung. Haldenwang lenkte ein und gab daraufhin dem Gericht gegenüber eine "Stillhaltezusage" für die Dauer der AfD-Europawahlversammlung ab.

AfD-Chef Tino Chrupalla warf dem Verfassungsschutzchef vor, nicht die AfD stehe außerhalb des Grundgesetzes, sondern vielmehr Haldenwang selbst. Nach Abschluss des Europa-Parteitags wiederholte Haldenwang seine Einschätzung öffentlich in einem Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Nicht die erste juristische Auseinandersetzung

Die Auseinandersetzung reiht sich ein in eine ganze Kette von Gefechten, die sich Verfassungsschutz und AfD liefern. Bereits als das Bundesamt Anfang Januar 2019 öffentlich machte, dass die AfD als rechtsextremistischer Prüffall geführt werde, ging die Partei dagegen vor und erhielt vor dem Kölner Verwaltungsgericht Recht. Seitdem durfte das Bundesamt dies nicht mehr öffentlich sagen.

Auch gegen die Heraufstufung zum rechtsextremistischen Verdachtsfall ging die AfD vor, holte sich in diesem Fall allerdings eine blutige Nase. Seit März 2022 darf das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, allerdings steht eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster, der nächsthöheren Instanz, noch aus.

Die Pflicht, zu warnen

Ob bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts oder in Interviews - Haldenwang lässt keine Gelegenheit aus, vor der Gefahr zu warnen, die von der AfD für die Demokratie ausgehe, und an die Wählerinnen und Wähler zu appellieren, dies "bei ihrer Entscheidung mit im Hinterkopf" zu haben. Dass dieser Kurs ihm auch juristische Niederlagen beschert, ficht Haldenwang erkennbar nicht an. Was treibt ihn an?

Dass er 63 Jahre alt und damit in der Schlussphase seiner Karriere angekommen ist, dürfte seinen Teil dazu beitragen, dass er tut, was er für richtig hält. Haldenwang sei schlichtweg überzeugt davon, das Richtige zu tun, heißt es in Sicherheitskreisen. Er sehe es als seine Pflicht an, die Bevölkerung davor zu warnen, eine Partei zu wählen, die nach seiner Überzeugung - und der des Verfassungsschutzes - in weiten Teilen rechtsextremistisch und damit verfassungsfeindlich ist. Haldenwang sehe dies als zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes, vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Deutschland in der Weimarer Republik mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus gemacht habe.

Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem, das nur funktionieren kann, wenn er die Bevölkerung auch warnt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser stellte sich dieser Tage hinter ihren Verfassungsschutzchef. Das sei seine Aufgabe, erklärte Faeser. Doch wie weit darf der Verfassungsschutz gehen?

Appell auch an die Parteien

Für Irritationen sorgte beispielsweise ein Satz, den Haldenwang in einem Interview im Juni mit dem ZDF sagte: "Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, Umfragewerte der AfD zu senken." Dafür ist der Verfassungsschutz in der Tat nicht zuständig, sondern die politischen Gegner der AfD. Offensichtlich ist, dass das Etikett "rechtsextremistisch" der Verfassungsschutzbehörden die Wählerinnen und Wähler insbesondere im Osten nicht mehr abschreckt, wie die guten Umfragewerte der AfD deutlich machen.

Dass der Verfassungsschutzchef sich so oft und so deutlich zum Thema AfD äußert, dürfen deshalb getrost nicht nur die Wählerinnen und Wähler, sondern auch die im Bundestag vertretenen Parteien als Appell verstehen. Die haben sich nämlich zu lange darauf verlassen, dass der Verfassungsschutz ihr Problem mit der AfD schon lösen werde.

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