Dietmar Woidke
analyse

Zahlen von infratest dimap Das sind die Gründe für den SPD-Endspurt-Sieg

Stand: 23.09.2024 00:12 Uhr

Bestes SPD-Landesergebnis seit fast zwei Jahren: Die Woidke-Partei hat ihren Platz eins gegen die AfD verteidigt - überraschend klar. Aber wie? Erkenntnisse aus den infratest-dimap-Zahlen.

Von Fabian Grabowsky, tagesschau.de

Die Stimmung war schlecht

Eigentlich schien die Ausgangslage in Brandenburg ähnlich gewesen zu sein wie vor drei Wochen in Thüringen und Sachsen. Auf den ersten Blick: Stimmung schlecht, Landesregierung unbeliebt. Die entsprechende Liste ist lang. Eine Auswahl:

  • Erstmals seit der Landtagswahl 2009 empfindet eine Mehrheit (52 Prozent) die wirtschaftliche Lage im Land als schlecht.
  • Auch die rot-schwarz-grüne Landesregierung kommt bei den Wahlberechtigten schlecht weg, wenngleich zwar 50 Prozent mit ihrer Arbeit unzufrieden sind, aber mit 47 Prozent fast ebenso viele zufrieden. Vor der Wahl sprachen sich aber 71 Prozent gegen eine Neuauflage der Koalition aus.
  • Mehr als drei von vier Befragten sind mit der Bundesregierung unzufrieden - 56 Prozent halten die Landtagswahl für eine gute Denkzettel-Gelegenheit in Richtung Bund. Die Landes-SPD verzichtete im Wahlkampf auf Bundes-Prominenz - wie den Kanzler, obwohl er in Potsdam wohnt.
  • Die Menschen machen sich immer mehr Sorgen - vor allem vor Kriminalität, zu starkem Einfluss des Islam, vor Rechtsextremismus und davor, dass Deutschland in den russischen Krieg gegen die Ukraine hineingezogen wird.

Aber trotzdem haben Dietmar Woidke und seine SPD die Wahl doch noch gewonnen. Warum?

Bild: Umfrage, Landtagswahl Brandenburg 2024, Umfrageergebnisse | Nov ’19 [SPD] 25,0 ([AfD] 22,0) | Nov ’20 [SPD] 26,0 ([AfD] 19,0) | Sep ’21 [SPD] 34,0 ([AfD] 17,0) | Sep ’22 [SPD] 24,0 ([AfD] 24,0) | Sep ’23 [SPD] 20,0 ([AfD] 32,0) | Jul ’24 [SPD] 19,0 ([AfD] 23,0) | Sep [SPD] 26,0 ([AfD] 27,0) | LTW [SPD] 30,9 ([AfD] 29,2) | Infratest-dimap. 22.09.2024, 23:25 Uhr

Bild: Umfrageergebnisse

Aber die Stimmung war nicht so schlecht

Eine erste Spur bringt der Vergleich mit Thüringen und Sachsen. Die Stimmung dort war vor den Wahlen schlechter:

  • In Sachsen fanden nur 39 Prozent die wirtschaftliche Lage gut, in Thüringen sogar nur 30 Prozent. In Brandenburg eben immerhin 44 Prozent. Und ihre eigene wirtschaftliche Lage fanden 86 Prozent der Brandenburger gut, mit großer Mehrheit quer in allen Anhängerschaften - tatsächlich war das Wachstum bundesweit 2023 mit 2,1 Prozent das zweithöchste.
  • Und während in Brandenburg eben immerhin noch fast die Hälfte der Befragten mit der Landesregierung zufrieden waren, sagten das in Sachsen 44 Prozent und in Thüringen 39 Prozent. Sie steht auch sonst im Vergleich nicht schlecht da: Bei den Landtagswahlen 2023/2024 hatte nur die bayerische einen - etwas - besseren Wert. Die Woidke-Regierung hat zudem zuletzt massiv aufgeholt: Im April übertraf der Anteil der Unzufriedenen den Anteil der Zufriedenen noch um 13 Punkte, ein Jahr davor waren es sogar 21 Punkte - unmittelbar vor der Wahl dann nur noch drei Punkte.
  • Ein vergleichbares Bild ergibt sich bei den Sorgen: Sie wachsen zwar - in Sachsen und Thüringen waren sie aber größer.

Die Stimmung hätte also noch schlechter sein können. Aber reichte das für den Endspurt-Sieg? Nein.

Woidke und dann ganz lange niemand

Entscheidend dürfte die Beliebtheit Dietmar Woidkes gewesen sein: 65 Prozent der Befragten halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten. Selbst bei CDU und BSW sehen das klare Mehrheiten so - und selbst bei der AfD-Anhängerschaft sagen das noch 28 Prozent.

Bild: Umfrage, Landtagswahl Brandenburg 2024, „Dietmar Woidke ist ein guter Ministerpräsident.“ | Alle 65,0 | SPD-Wählende 97,0 | CDU-Wählende 69,0 | BSW-Wählende 61,0 | AfD-Wählende 28,0 | Infratest-dimap. 22.09.2024, 23:25 Uhr

Bild: „Dietmar Woidke ist ein guter Ministerpräsident.“

Woidke erscheint kaum auf der bundespolitischen Bühne, die Bühne Brandenburg aber dominiert er: Während mit seiner Arbeit 61 Prozent zufrieden sind, sagen dies über CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann nur 21 Prozent, die anderen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten liegen noch weiter dahinter. Bei einer Direktwahl hätten sich 50 Prozent für Woidke entschieden - je neun Prozent für Redmann und den AfD-Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt. Woidke mobilisierte die eigene Parteinanhängerschaft bei dieser Wahl deutlich stärker als seine Mitbewerber.

SPD: Solide Werte, spektakulärer Sieg

Und von ihrem populären Chef profitiert natürlich die SPD: Nicht weniger als 52 Prozent sagten vor der Wahl, sie würden ohne Woidke nicht für sie stimmen. Über die Partei selbst war das Urteil weniger enthusiastisch, aber solide:

  • Ihre Kompetenzwerte sind sogar zum Teil etwas besser als vor fünf Jahren: Bei der Wirtschaftskompetenz ist sie Nummer eins - vor der CDU, die hier auf Platz zwei abrutschte. Auch beim Thema soziale Gerechtigkeit liegt sie mit 32 Prozent sehr klar vor AfD und BSW (je 13 Prozent) - und schneidet zwei Punkte besser ab als 2019. Beides ist auch deshalb bemerkenswert, weil soziale Gerechtigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung am häufigsten als wahlentscheidende Themen von den Wahlberechtigten genannt wurden. Das wiederum knüpft direkt an die Sorge der Hälfte der Bevölkerung an, den eigenen Lebensstandard künftig nicht mehr halten zu können.
  • Von den drei Regierungsparteien schneidet die SPD mit Abstand am besten ab, wenn auch auf glanzlosem Niveau: 44 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden, nur 28 Prozent mit der CDU-Arbeit und nur 16 Prozent mit derjenigen der Grünen.
  • Ebenfalls 43 Prozent sagen, sie solle die nächste Regierung führen – Bestwert im Land, aber nur eine relative Mehrheit.

AfD mobilisiert - andere aber auch

Und was ist mit der AfD? Ihre heutige Erfolgsliste ist lang und zum Teil historisch: rund sechs Punkte gewonnen, zweitstärkste Kraft im Land, Sperrminorität im Parlament, drittbestes Landtagswahlergebnis überhaupt. Nur jüngst in Sachsen und vor allem Thüringen war sie erfolgreicher.

Von fast allen Parteien hat sie Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen - darunter laut Berechnung von infratest dimap fast 80.000 Nichtwähler. Ein negatives Saldo bei der Wählerwanderung gibt es nur mit dem BSW.

Aber: In den infratest-dimap-Umfragen hatte die AfD monatelang und bis kurz vor der Wahl vor der SPD auf Platz eins gelegen. Jetzt bleibt ihr nur Platz zwei. Warum? Einige Hinweise:

  • Im Gegensatz zu Sachsen und Thüringen lag die Brandenburger AfD nur bei einem Kompetenzwert vorn: der Zuwanderung. In den zentralen Themenfeldern wie Asyl/Zuwanderung, Kriminalitätsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit liegen ihre Werte beispielsweise hinter denen der sächsischen AfD, zum Teil deutlich.
  • Die AfD mobilisierte zwar viele Wählerinnen und Wähler - aber die anderen Parteien auch. Die Wahlbeteiligung liegt bei in Brandenburg bislang unerreichten 72,9 Prozent. Die SPD überzeugte 15.000 Nichtwähler, die CDU trotz historisch schlechtem Ergebnis 12.000 und das BSW sogar 41.000. Die müssen nicht mehrheitlich zur Wahl gegangen sein, um einen AfD-Sieg zu verhindern.

Aber es gibt weitere Hinweise:

  • 38 Prozent sagen, sie fänden eine AfD-Regierungsbeteiligung gut - gegenüber 59 Prozent, die das schlecht fänden. Bei allen Parteien außer der AfD ist die Ablehnung deutlich, bei Grünen-, Linken- und SPD-Wählenden sogar größer als 90 Prozent.
  • 62 Prozent sagen, die AfD sei eine Gefahr für die Demokratie und Rechtsstaat.
  • 75 Prozent der SPD-Wählerinnen und -Wähler sind mit ihrer Partei zwar nicht zufrieden, wählen sie aber, um die AfD zu verhindern; bei den CDU-Anhängern sagen das noch 59 Prozent.
Bild: Umfrage, Landtagswahl Brandenburg 2024, Wie fänden Sie eine Beteiligung der AfD an der nächsten Landesregierung? | AfD-Wählende [nicht gut] 3,0 ([gut] 95,0) | BSW-Wählende [nicht gut] 63,0 ([gut] 32,0) | BVB/FW-Wählende [nicht gut] 74,0 ([gut] 22,0) | CDU-Wählende [nicht gut] 76,0 ([gut] 21,0) | SPD-Wählende [nicht gut] 93,0 ([gut] 5,0) | Linke-Wählende [nicht gut] 96,0 ([gut] 4,0) | Grünen-Wählende [nicht gut] 98,0 ([gut] 1,0) | Infratest-dimap. 22.09.2024, 23:36 Uhr

Auffällig ist auch, dass die AfD in einigen Bevölkerungsgruppen sehr stark ist, in anderen dagegen weitaus weniger Rückhalt hat. Sie ist klar stärkste Kraft in kleinen Gemeinden sowie bei Bevölkerungsgruppen in schlechter wirtschaftlicher Situation, aber auch bei Männern und bei Erstwählern und anderen jüngeren Wählerschichten. Weit hinter der SPD liegt sie dagegen unter anderem bei Wählerinnen, in Großstädten und bei den Über-60-Jährigen.

Und jetzt?

Zwei Dinge dürften sicher sein: Die SPD führt auch die nächste Landesregierung, und Dietmar Woidke bleibt Ministerpräsident. So wie es zumindest eine relative Mehrheit im Land will. Die Koalitionsbildung aber dürfte schwierig werden.

über Um 23:00 Die Thema 22 Am Berichteten dieses Class="sendungsbezug Tagesthemen Thema