Sergej Lawrow und Wladimir Putin (Archivbild: 15.10.2019)

Krieg gegen die Ukraine Putin vor Gericht?

Stand: 16.01.2023 08:45 Uhr

Außenministerin Baerbock lotet am Internationalen Strafgerichtshof aus, ob und wie der russische Präsident Putin für den Krieg zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ex-UN-Richter Schomburg hält das für möglich.

Von Kristin Becker und Markus Sambale, ARD Berlin

Wolfgang Schomburg hat viel erlebt: "In der Regel waren es sehr angenehm auftretende Menschen." Kriegsverbrechern sehe man ihre Taten selten an, sagt er. Schomburg hat als erster deutscher Richter bei internationalen Strafgerichten mitgewirkt. Sieben Jahre lang arbeitete er bei den UN-Sondertribunalen, die sich mit Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda auseinander setzten.

Am Ende seien auch hochrangige Verantwortliche - etwa der ehemalige serbische Präsident Slobodan Milošević - vor Gericht gekommen, auch wenn man am Anfang nicht unbedingt erwartet habe, dass das klappe, so Schomburg,

Hohe Erwartung bei Ukrainern

Deshalb hält es der ehemalige UN-Richter im Gespräch mit dem tagesschau Zukunftspodcast mal angenommen nicht für unmöglich, dass sich auch Wladimir Putin eines Tages vor einem internationalen Gericht dafür verantworten muss, was er und seine Truppen in der Ukraine angerichtet haben.

Die Ukrainer und Ukrainerinnen würden so einen Prozess jedenfalls mit riesigen Erwartungen verfolgen. Das weiß Tetiana Goncharuk, die in Berlin Kriegsflüchtlinge betreut, aus vielen Gesprächen mit Opfern und ihren Angehörigen: "Ich war überrascht, dass auch die Kinder das so klar äußern: Putin muss bestraft werden!"

Wolfgang Schomburg

Wolfgang Schomburg war von November 2001 bis November 2008 der erste deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag.

Verfahren in Den Haag möglich

Nach dem "Weltrechtsprinzip" könnte Putin sogar in Deutschland angeklagt werden - allerdings nicht, solange er Staatspräsident ist. Anders sieht es beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) aus. Dort würde Putin auch als Staatspräsident keine Immunität genießen.

Dafür müsste man Putin allerdings nach Den Haag bekommen - ein komplettes Verfahren in Abwesenheit ist dort nicht möglich und hält Schomburg auch nicht für zielführend. "Etliche Geheimdienste in der Welt werden im Augenblick sehr intensiv nachdenken. Bisher war es eigentlich immer noch möglich, wenn man politisch wollte, jemanden festzunehmen, sei es legal oder illegal. Es wäre nicht das erste Mal."

Baerbock besucht Internationalen Strafgerichtshof IStGH
Außenministerin Annalena Baerbock besucht heute den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dabei will sie auch diskutieren, wie der russische Präsident Wladimir Putin wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden kann. Derweil sprach sich Bundesjustizminister Marco Buschmann für eine entschlossenere juristische Verfolgung der Verantwortlichen für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aus. "Wenn es das schnellste und zielführendste Mittel ist, halte ich ein Sondertribunal für gut denkbar", sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Der russische Angriffskrieg sei klar völkerrechtswidrig. "Wer diesen blutigen Krieg angezettelt hat, sollte sich dafür verantworten müssen."

Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Bei einer Anklage von Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof würde es aus Sicht von Schomburg vor allem um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehen. Nicht möglich wäre es, ihn dort auch direkt wegen des Angriffskriegs anzuklagen. Dafür bräuchte es ein Sondertribunal, wie es die Ukraine oder auch baltische Länder fordern.  

Politisch und juristisch ist das allerdings umstritten und kompliziert. Schomburg befürchtet auch, dass es viel Zeit kosten würde, ein Sondertribunal einzurichten und dass dieses die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs schwächen würde. Er spricht sich deshalb klar für ein Verfahren vor dem IStGH aus.

Zehntausende Verfahren laufen bereits

Dafür braucht es natürlich Beweise. Im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen laufen bei der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft schon mehrere zehntausend Verfahren. Jeder einzelne Fall von Folter, Vergewaltigung oder Mord muss dokumentiert werden - und zwar so, dass Beweise und Zeugenaussagen auch in Jahren oder Jahrzehnten von Gerichten akzeptiert werden. Besonders für traumatisierte Opfer können Befragungen durch die Polizei allerdings enorm belastend sein.

In den russisch besetzten Gebieten und in umkämpften Regionen sind Untersuchungen kaum möglich. Doch sobald ukrainische Truppen Gebiete zurückerobern, beginnt die Untersuchungsarbeit. Wie in jedem Kriminalfall werden Opfer und Zeugen befragt, Tatorte besichtigt, Munitionsreste sichergestellt, Überwachungsvideos und Mobilfunk-Daten ausgewertet. Die Ermittler stehen also vor einer gigantischen Herausforderung. Deshalb haben die Bundesregierung und weitere Länder der Ukraine Hilfe angeboten.

Höchststrafe: Lebenslang in Haft

Vor dem Internationalen Strafgerichtshof müsste man die direkte Verantwortlichkeit Putins nachweisen. Dabei könnten auch seine öffentlichen Äußerungen eine große Rolle spielen. Der russische Staatschef könnte sich übrigens selbst verteidigen. Ex-Richter Wolfgang Schomburg hält das zwar für keine gute Idee, es sei in der Vergangenheit bei solchen Prozessen aber durchaus vorgekommen.

Sollte Putin verurteilt werden, droht ihm als Höchststrafe eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. "Das ist nicht so, wie wir das in Deutschland manchmal kennen," erklärt Schomburg, "dass man nach 15 Jahren oder so freigelassen wird. In vielen Fällen bedeutet das, dass die Verurteilten tatsächlich bis zum Lebensende in Haft bleiben." Einsitzen würde Putin dann in einem Land, das den Internationalen Strafgerichtshof unterstützt - denkbar wäre also auch Deutschland.

Bedeutung für die Opfer

Für die Menschen in der Ukraine hat es eine enorme Bedeutung, dass Kriegsverbrechen juristisch aufgearbeitet werden, berichtet Tetiana Goncharuk von der Ukraine-Flüchtlingsberatung in Berlin. "Alle Angehörigen haben das Recht, die Wahrheit zu erfahren, was mit ihren Töchtern oder Söhnen passiert ist - ob sie getötet oder gefoltert wurden", sagt Goncharuk im tagesschau Zukunftspodcast. Wichtig für die Opfer und ihre Hinterbliebenen sei außerdem, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden und es auch Entschädigungen gebe.

Tetiana Goncharuk

Tetiana Goncharuk, die in Berlin ukrainische Flüchtlinge berät, hält die juristische Aufarbeitung für enorm wichtig.

Dazu kommt die Hoffnung, dass ein internationaler Prozess gegen hochrangige Verantwortliche - allen voran Putin - auch ein Signal sendet: Dass Kriege und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt bleiben.

Auch für das künftige Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland wäre das wohl entscheidend und eine Voraussetzung aus Sicht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer, dass eine Annäherung denkbar wird. "Die russische Gesellschaft und die russische Führung müssen sagen: 'Ja, wir haben das gemacht. Und das war ein Fehler'", erklärt Goncharuk. "Erst dann kann man über Versöhnung nachdenken. Aber das wird nicht einfach und braucht immer Zeit."

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