Bundestag

Abgeordnete unter Druck Wenn der Bundestag in den Burnout führt

Stand: 15.07.2022 11:10 Uhr

Lange Sitzungen, ständig in den sozialen Medien und immer unter Beobachtung: Der Job von Abgeordneten ist anstrengend. Und mittlerweile gibt es einige Politikerinnen und Politiker, die auch öffentlich von Burnout und Überforderung sprechen.  

Von Leonie Schwarzer, ARD-Hauptstadtstudio

Peter Tauber ist ehemaliger CDU-Generalsekretär, war viele Jahre in der Spitzenpolitik. Eine lebensbedrohliche Darmerkrankung zwang ihn vor gut einem Jahr zum Ausstieg: "Und dann habe ich gesagt: Peter also, du hast vorher ständig darüber geredet, man muss mehr auf sich achten, auf die Gesundheit und ist ganz wichtig - und jetzt musst du das selber auch mal tun."

Der Stress war damals zu viel - gemerkt hat er das lange Zeit nicht. Erst als er dann krank wurde. "Ich hab mich irgendwann dabei ertappt, dass ich quasi nur noch funktioniert habe. Also dieses Work-eat-sleep-repeat. Und dann stumpft man ab. Man hat nicht mehr die Sensibilität, die man eigentlich braucht, wenn man mit Menschen umgeht", so Tauber. 

Peter Tauber

Er zog sich nach einer Erkrankung aus der Politik zurück - der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber.

"Man ist ständig unter Beobachtung"

Er ist nicht der Einzige, dem es zu viel wurde. Der SPD-Außenexperte Michael Roth ist gerade aus einer Auszeit zurückgekehrt - gebraucht hat er sie, weil er psychisch erschöpft war. Sahra Wagenknecht von den Linken hatte ein Burnout, spricht offen über die hohe Belastung im Job. Lange Arbeitszeiten seien auch in anderen Jobs üblich - aber in der Politik kämen noch zwei Dinge hinzu, sagt Tauber:

Erstens ist man ständig unter Beobachtung - alles wird sozusagen öffentlich bewertet und kommentiert. Nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch durch Medien. Und zweitens: Auch das Wochenende ist nicht frei, sondern da muss man eben im Wahlkreis sein, präsent sein, mit Bürgern sprechen, nochmal Briefe beantworten.

Unter dieser öffentlichen Beobachtung steht jetzt auch Paula Piechotta. Sie ist Grünen-Abgeordnete, Ärztin und seit Oktober im Bundestag. Neuen werde häufig gesagt, dass man erstmal zu- oder abnehme im Bundestag, das Gewicht bleibe nicht so wie es ist. Und Piechotta ist sich sicher: "Das ist ja, wenn man das aus der ärztlichen Praxis kennt, ein typisches Beispiel dafür, dass jemand entweder stark unter Stress ist oder eben zu wenig Schlaf hat."

Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta

Seit Oktober im Bundestag und damit auch unter öffentlichen Beobachtung - die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta.

Rauer Ton und ständige Erreichbarkeit

Der vielfach raue Ton in den sozialen Medien, die vielen Krisen, die ständige Erreichbarkeit. Ist es heute stressiger als früher? Die Ärztin und Abgeordnete Piechotta findet, das sei schwer zu sagen. Vieles sei zwar anstrengender - zum Beispiel müsse mehr kommuniziert werden. Gleichzeitig seien viele Sitzungen durch Corona digital, für Politikerinnen und Politiker eine Erleichterung. Aber es werde heute mehr über die Belastung gesprochen, auch deshalb sei sie sichtbarer, betont die Grünen-Politikerin:

Ich glaube bei Abgeordneten ist es gerade so wie in der gesamten Bevölkerung, dass wir einfach mehr darüber reden über das, was früher bei vielen Menschen einfach tabu war. Und die Fälle gerade in der letzten Legislaturperiode, als an einem Tag zwei Menschen im Bundestag umgekippt sind, haben schon dazu geführt, dass man insgesamt jetzt offener darüber redet.

Vor drei Jahren brachen während laufender Plenarsitzungen im Bundestag zwei Abgeordnete zusammen. Danach wurde die Regelung geändert - ewig lange Nachtsitzungen sollte es nicht mehr geben. Und trotzdem: Erst vergangene Woche tagte der Bundestag bis 2 Uhr nachts. Das müsse sich wieder ändern - auch weil Nachtarbeit ungesund sei: "Wenn wir um Mitternacht im Bundestag eine Debatte zu Hopfenerzeugnissen führen, ist das selten wirklich zwingend notwendig", findet Piechotta.

"Jobs für Politiker zeitlich befristen"

Keine Nachtsitzungen mehr, genug schlafen und Sport machen - das alles kann helfen gegen den Stress. Tauber findet außerdem, dass der Wechsel zwischen Politik und anderen Jobs wichtig ist: "Also ich glaube, dass man gut beraten ist, diese Jobs für Politiker zeitlich zu befristen, weil die Belastung so hoch ist." Man müsse ständig erklären, aber habe wenig Zeit, Dinge aufzunehmen. "Und unsere Welt ändert sich so schnell, dass man auch Zeit braucht, diese Veränderungen zu verstehen und nachzuvollziehen."

Trotz des Stresses - Tauber ist dankbar für die Zeit in der Spitzenpolitik, die Erfahrungen. Aber aus heutiger Sicht würde er es etwas anders angehen: mehr Auszeiten und einen Tag in der Woche komplett frei nehmen.

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