SPD-Chefin Nahles
Analyse

SPD-Machtkampf Am Ende

Stand: 02.06.2019 14:13 Uhr

Die letzte Folge im jüngsten Machtkampf der SPD ist gelaufen - und es bleiben nur Verlierer: Andrea Nahles, die SPD und der menschliche Umgang in der Politik. Und was ist eigentlich mit der GroKo?

Eine Analyse von Wenke Börnsen

"Mit solidarischen Grüßen" verabschiedet sich Andrea Nahles von der SPD. Von einer SPD, die zuletzt nicht mehr ihre SPD war. In ihrer Rücktrittserklärung spricht sie nicht von "wir", sie spricht von "ihr", von "euch" - mehr Distanz geht kaum. Die erste weibliche Vorsitzende in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ist gescheitert. Nach gut einem Jahr ist sie der nächste Name auf der langen Liste verschlissener SPD-Chefs. Das "schönste Amt neben dem Papst", wie es einst Franz Müntefering formulierte - es ist ein Höllenjob.

Am Ende hatte sie wohl keine andere Wahl mehr, um die Spaltung der Partei zu verhindern. Der Showdown in der Fraktion am Dienstag hätte zu einem Scherbenhaufen geführt. Alle Vermittlungsversuche von Kriseninterventionsteams hinter den Kulissen blieben erfolglos. Mit ihrem Rücktritt zwei Tage vor der Fraktionssitzung erspart sich Nahles damit weitere politische Demütigung.

Geraune, Gegrummel, Giftpfeile

Demontiert war sie längst, systematisch "sturmreif geschossen" sagen Genossen aus ihrem Umfeld. Nicht erst seit dem desaströsen Wahlsonntag, sondern schon seit Monaten wurde gegen sie gestichelt, Putschgerüchte lanciert - besonders die beiden größten Landesverbände, NRW und Niedersachsen, schickten Giftpfeile gen Nahles. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, wenn jetzt ausgerechnet Sigmar Gabriel der SPD zur "Entgiftung" rät. Seit Nahles ihn politisch kaltgestellt hat, gehört Gabriel zu den lautesten Kritikern seiner Nachfolgerin im Amt. In diesem Zusammenhang sei auch Martin Schulz zu nennen, der Nahles mehr oder weniger offen vom Fraktionsvorsitz verdrängen wollte. Und auch der Name Achim Post - NRW-Landesgruppenchef und Fraktionsvize - fiel immer wieder im Geraune gegen Nahles. Jedoch nie öffentlich - es blieb bei Gemurmel im Hintergrund, durchgestochen an die Medien.

Die SPD kann Demontage

"Unterirdisch", "inakzeptabel" - bei vielen in der SPD ist das Entsetzen über den Umgang mit Nahles groß. Ob Krokodilstränen oder nicht: Politik ist brutal - man frage nur Martin Schulz - und selten gerecht. Und die SPD kann Demontage. Mit Heide Simonis oder Andrea Ypsilanti sprangen die Genossen einst auch wenig zimperlich um. Frauenfeindlichkeit attestierte Fraktionsvize Karl Lauterbach nun seiner Partei. Und Vize-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel vermisste in der Debatte um die Person Nahles "Respekt und Solidarität". Ähnlich formuliert es Ralf Stegner.

Nahles kann Machtkampf

Nun ist Nahles Machtkampf nicht fremd. 1995 war sie aktiv dabei, als Rudolf Scharping vom SPD-Chefsessel gestürzt wurde. 2005 legte sie sich mit Franz Müntefering an - und gewann, zumindest kurzfristig. Am Montag vergangener Woche forderte sie ihre parteiinternen Kritiker heraus - und verlor. Sie hatte sich verkalkuliert. Ganz offenkundig hatte sie nicht damit gerechnet, dass sich keiner der Heckenschützen aus der Deckung wagen würde.

Sie wolle den Stier bei den Hörnern packen, sagte Nahles, als sie am Montagabend im Fernsehen ankündigte, die Wahl zum Fraktionsvorsitz vorziehen zu wollen - doch es kam kein Stier auf die Lichtung. Es kam niemand. Was kam, war eine Welle der Empörung. Abgeordnete fühlten sich überrumpelt von der vorgezogenen Wahl, die latente Unzufriedenheit an der Vorsitzenden wurde zu offener Kritik. Abgeordnete aus der zweiten Reihe forderten ihren Rücktritt, kündigten an, sie am Dienstag in der Fraktion nicht zu wählen. Aber ein Gegenkandidat tauchte nicht auf. Nahles musste schattenboxen.

Bizarre, peinliche Auftritte

Plötzlich hatte die SPD wieder eine Personaldebatte am Hals, die sie trotz der verlorenen Europa- und Bremenwahl eigentlich vermeiden wollte. Viele in der Partei waren mit Nahles schon lange nicht mehr glücklich - das hatte mit bizarren, bisweilen peinlichen Auftritten zu tun ("Bätschi"), andere störten sich vielleicht auch an ihrer burschikosen Art oder verunglückten Sätzen wie "Ab morgen kriegen sie in die Fresse". Nahles ist keine, der die Herzen der Menschen zufliegen.

Aber zum jetzigen Zeitpunkt wollte man in der SPD kaum die Pferde wechseln - es drängte sich auch niemand auf. Die Aussichten sind auch nicht prestigeträchtig: Im Herbst stehen drei Landtagswahlen im Osten an, hier kämpft die SPD gegen die Einstelligkeit. Strategisch gesehen, macht es weit mehr Sinn, im Dezember auf dem Parteitag einen weiteren Neuanfang zu wagen - mit frischen Köpfen, was ausdrücklich auch die Stellvertreterriege einschließt. Und mit der Frage: Weiter GroKo oder raus?

Ohne Nahles keine GroKo

Ohne Nahles wäre die SPD heute nicht in der Großen Koalition. Ohne Nahles' leidenschaftliche Kampfesrede beim Parteitag im Januar 2018 hätten die Genossen mehrheitlich Nein gesagt. Schulz war gescheitert, Nahles hatte ihn gerettet.

Mit Nahles' Rücktritt wackelt daher auch die schon jetzt sehr wackelige GroKo. Wie sehr das instabile Gerüst ins Wanken kommt, hängt von den nächsten Tagen ab. Wer folgt auf Nahles in Partei und Fraktion? Gibt es einen Übergangskandidaten, der die SPD zumindest bis zum Herbst im Regierungsbündnis hält? Keine Schnellschüsse, sowohl bei Personal- als auch bei Sachentscheidungen, mahnt die übriggebliebene Parteiführung unisono. Bitte besonnen bleiben. Die Befürchtung, überrollt zu werden - von der Wut der Basis, von der nackten Existenzangst einer ganzen Partei, ist nicht unbegründet. Für CDU und CSU ist die SPD dieser Tage einmal mehr die "große Unbekannte".

Die Sozialdemokraten haben in der vergangenen Woche ein widerliches Machtspiel aufgeführt, das in die Untiefen politischer Intrige führte. Zurück bleibt eine Partei am Abgrund - menschlich und politisch.

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