Eine Lehrerin unterrichtet Schüler einer 4. Klasse in Hamburg
Hintergrund

Debatte über Schulöffnung Regelbetrieb mit Risiken

Stand: 18.06.2020 18:26 Uhr

Kurz nach der Öffnung mussten einige Schulen in Deutschland schon wieder dicht machen. Die Kultusminister beraten derzeit über Konzepte - doch von Lehrermangel bis zu maroden Gebäuden gibt es viele Probleme.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Wie sieht ein Rechteck aus und wie lang sind zehn Meter? So etwas kann man in der Theorie im Klassenzimmer lernen - oder man macht es wie die Grundschule Glücksburg: Bei Spaziergängen im Freien werden Längenverhältnisse und Formen anhand von Gebäuden erforscht.

Konstruktive Mathematik nennt sich das und die passt wunderbar in die Corona-Zeit. Die Schule arbeitet schon seit dem Schuljahr 2017/2018 mit dem Konzept des Draußenunterrichts. Jetzt wird das ausgeweitet und dient als Vorbild für Schulen in ganz Schleswig-Holstein, damit immer mehr Unterricht im "grünen Klassenzimmer" stattfinden kann.

Gesundschreibung, Masken, feste Klassenverbünde

Das kleine Flächenland an der Küste ist eines der ersten Bundesländer, die den Regelbetrieb in Grundschulen nach dem Corona-Lockdown wieder aufgenommen haben. Allerdings nicht ohne Einschränkungen: Die Kinder lernen in festen Kohorten. Das heißt, der Unterricht findet ausschließlich im Klassenverbund statt. Religions- oder Ethikunterricht mit Schülern unterschiedlicher Klassen gibt es jetzt nicht mehr.

Jeden Tag müssen die Eltern unterschreiben, dass ihr Kind gesund ist - nach bestem Wissen und Gewissen. Auf den Fluren und auf dem Schulweg im Bus werden Masken getragen. Abstandsregeln zwischen den Kindern gelten nicht, das wäre nach einhelliger Meinung an Grundschulen nicht durchzuhalten. "Grundschulkinder brauchen Nähe, brauchen ihre Gruppe und brauchen ihre Freunde in der Grundschule", sagt Bildungsministerin Karin Prien und zieht nach gut einer Woche eine durchweg positive Bilanz.

Neun Schulen in Magdeburg geschlossen

Auch Sachsen, Sachsen-Anhalt, NRW und Thüringen haben den Regelbetrieb in Grundschulen bereits aufgenommen. Doch so gut wie in Schleswig-Holstein läuft es nicht überall. In NRW gab es nach drei Schultagen Corona-Fälle an vier Grundschulen. In Wuppertal musste eine Grundschule mit 350 Schülern komplett geschlossen werden, weil ein Schüler infiziert war. Für Schüler und Eltern heißt das: nun doch kein Unterricht mehr bis nach den Sommerferien.

In Magdeburg wurden bereits neun Grund- und weiterführende Schulen komplett dicht gemacht. 76 Neuinfizierte gab es seit 8. Juni in der Stadt, die meisten davon stehen in Zusammenhang mit den Ausbrüchen in den Schulen, die teils durch Schüler, teils durch Lehrer eingetragen wurden. Das Infektionsgeschehen zieht sich über weite Teile der Stadt.

GEW: "Schnellschuss ohne tragfähige Konzepte"

Zwar gibt es laut Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt ebenfalls Hygienekonzepte, wonach in festen Klassen unterrichtet wird und die Klassen untereinander möglichst wenig Kontakt haben sollen. So richtig funktionierte das in der Praxis aber offenbar nicht. Das Gesundheitsamt begründet gegenüber tagesschau.de die Komplettschließungen der Schulen damit, dass nicht mehr eindeutig nachvollzogen werden konnte, mit wem die Infizierten Kontakt hatten. Eine Quarantäne nur für bestimmte Klassen oder Lehrer sei deshalb nicht möglich gewesen.

"Das ist ein Schnellschuss, ohne dass man flächendeckend tragfähige Konzepte hat", sagt GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann über den wiederaufgenommenen Regelbetrieb an den Grundschulen. Eigentlich sei in den vergangenen Wochen der Schulschließungen viel Zeit gewesen, um ein Monitoring zu machen und zu schauen, wo genau nachgesteuert werden muss. Da sei aber viel zu wenig passiert, betont Hoffmann im Gespräch mit tagesschau.de.

Auf dem Rücken der Lehrer?

Zwar sei es gut und wichtig, dass jetzt endlich auf die Kinder geschaut werde. Doch ausgetragen werde das nun auf dem Rücken der Lehrer. "Die Frage, wie der Infektionsschutz - auch für das Lehrpersonal - richtig umgesetzt werden kann, ist ungeklärt", meint Hoffmann. Lehrer würden dadurch zu "Versuchskaninchen", bei denen man Ansteckungen einfach in Kauf nehme.

Eines der zentralen Probleme ist, dass die Zustände an Schulen von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt und teils von Schule zu Schule sehr unterschiedlich sind. Manche meistern die Situation mit Bravour, andere Schulen sind so marode, dass in Klassenzimmern die Fenster zugenagelt sind, weil alles andere zu gefährlich wäre. Häufiges Lüften - wie empfohlen - geht dann nicht. Und in Schulen, in denen Schüler nicht einmal mehr die Toilette benutzen, ist auch regelmäßiges Händewaschen nicht möglich.

Bis zu 30 Prozent der Lehrer könnten fehlen

Wenn nach den Sommerferien die Schulen in allen Bundesländern wieder in den Regelbetrieb zurückkehren, wie es eine Vereinbarung von Bund und Ländern vorsieht, dürfte sich noch ein weiteres Problem verschärfen: der Lehrermangel. Schon jetzt ist der - gerade an Grundschulen - besonders groß.

Laut einer Umfrage der "Welt" unter Kultusministerien und Bildungsvertretern dürften in den meisten Bundesländern künftig zwischen zehn und 30 Prozent der Lehrer aller Schulformen fehlen. Wie so der Regelbetrieb flächendeckend gewährleistet werden soll, ist unklar. Über entsprechende Konzepte, vor allem auch zu Hygienestandards, berät derzeit die Kultusministerkonferenz. Beschlossen ist bereits, dass die Abstandsregel von 1,5 Metern aufgehoben werden soll, stattdessen soll es feste Lerngruppen geben.

"Die Schüler wollen wieder lernen"

Dass es funktionieren könnte, zeigt unter anderem ein Beispiel aus Sachsen. Dort läuft der Regelbetrieb an Grundschulen bereits seit 18. Mai - mit ähnlichem Hygienekonzept wie in Schleswig-Holstein. Einzige Besonderheit: Eine Lehrkraft unterrichtet alle Fächer, sodass die Kontakte auch zwischen Lehrern und Schülern auf ein Minimum begrenzt werden. Sollte ein Corona-Fall auftreten, muss also nicht gleich die ganze Schule geschlossen werden.

Hamburg: Ein Schüler der vierten Klasse

"Die Schüler freuen sich, wieder in der Schule zu sein."

Positive Zwischenbilanz

Kornelia Jirschik, Lehrerin einer zweiten Klasse in Grünhainichen zieht eine durchweg positive Zwischenbilanz. Schüler, Eltern und Lehrer seien erleichtert: "Die Schüler freuen sich nicht nur ihre Freunde wiederzusehen, sie sagen mir auch, dass sie endlich wieder richtig was lernen wollen", sagt die Grundschullehrerin im Gespräch mit tagesschau.de. Die Schüler machten sehr gut mit und hätten die neuen Regeln bereits verinnerlicht. "Wenn es auch schade ist, dass man sich nicht auch mal knuddeln kann oder richtig zum Geburtstag gratulieren."

Dass alles so gut funktioniert, hänge auch damit zusammen, dass derzeit alle Kollegen gesund und im Einsatz seien. "Wenn einer krank wird, bricht das Kartenhaus schnell zusammen", sagt sie. Dann brauche es einen Notfallplan.

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