Ein Baustellenschild steht vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.

Diskussion über Schuldenbremse Lockern oder alles so lassen?

Stand: 22.11.2024 14:55 Uhr

Der Streit über die Schuldenbremse hat dazu beigetragen, dass die Ampelkoalition geplatzt ist. Im beginnenden Wahlkampf wird weiter über eine Reform diskutiert. Die SPD drängt auf Änderungen.

Die einen wollen sie schnellstmöglich reformieren, die anderen unbedingt in bisheriger Form an ihr festhalten - die Schuldenbremse. Sie schreibt dem Staat vor, nur in Ausnahmefällen und in Maßen neue Kredite aufzunehmen.

Doch angesichts einer Milliardenlücke im Haushalt und einer lahmenden Wirtschaft wird die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form infrage gestellt. Die Debatte hatte bereits am Aus der Ampelkoalition ihren Anteil, weil sich SPD, Grüne und FDP nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen konnten. Der beginnende Wahlkampf befeuert jetzt die Diskussion.

So sprach sich Bundeskanzler Olaf Scholz erneut für eine begrenzte Reform der Schuldenbremse aus. Auf einer Veranstaltung sagte er vor gut 100 SPD-Kommunalpolitikern:

Wir werden sie nicht wegkriegen. Wir wollen sie auch gar nicht wegkriegen. Aber wir wollen, dass sie besser handhabbar ist.

Zur Begründung verwies Scholz darauf, dass der Verteidigungsetat bis zum Jahr 2028 auf rund 80 Milliarden Euro steigen müsse, um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO auch künftig einzuhalten. Die Regelung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten der NATO jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung einplanen.

Hinzu kämen noch andere Dinge wie die Rückzahlung von alten Schulden, sagte der Kanzler. Konkret nannte Scholz die Ausgaben für die Bekämpfung der Corona-Krise, die Maßnahmen gegen hohe Energiepreise durch den russischen Krieg gegen die Ukraine sowie das Sondervermögen Bundeswehr.

Olaf Scholz

Geht es nach Kanzler Scholz, soll es bald eine Reform der Schuldenbremse geben.

Angesichts dessen sagte Scholz: "Die Frage ist doch, geht das auf Kosten von all dem, was wir an Zukunft und Zusammenhalt in Deutschland haben wollen?" Man dürfe die Verteidigungsausgaben nicht auf Kosten von Investitionen oder schlechteren Leistungen für Rentner "oder sonst was" finanzieren. "Und deshalb sage ich, ja, wir brauchen eine moderate Reform der Schuldenbremse."

Unterstützung von Finanzminister Kukies

Mit dem bisherigen FDP-Finanzminister Christian Lindner war das nicht zu machen. Die Liberalen sperren sich gegen jegliche Änderungen. Lindners Nachfolger Jörg Kukies, der seit gut zwei Wochen im Amt ist, stellt sich als SPD-Politiker - wenig überraschend - hinter die Forderung des Kanzlers. "Man muss doch schauen, was realistisch ist und wofür es auch einen politischen Konsens geben könnte", sagte Kukies dem Handelsblatt. Aus seiner Sicht wäre das eine "moderate, zielgerichtete Reform".

Das Grundprinzip der Schuldenbremse sei richtig, so Kukies. Sie sorge in guten Jahren für Haushaltsdisziplin und ermögliche in Krisenzeiten "ausreichend finanziellen Spielraum, um gegenhalten zu können". Dennoch halte er eine "moderate Reform für sinnvoll". Es gehe darum, die nötigen langfristigen Investitionen finanzieren zu können.

Kukies dämpfte aber auch die Erwartungen. Wegen der EU-Vorgaben blieben die Mittel im Haushalt ohnehin begrenzt. "Selbst wenn wir keine Schuldenbremse hätten, wären wir immer noch den europäischen Schuldenregeln unterworfen", sagte er.

Schuldenbremse auch Thema im Bundesrat

Flankiert wurde die SPD-Forderung von einem Antrag aus dem SPD-regierten Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Schuldenbremse so zu reformieren, "dass nicht nur der Bund, sondern auch die Länder in die Lage versetzt werden, Investitionen unter Rückgriff auf Kredite zu finanzieren". Zudem soll neben dem sogenannten Sondervermögen Bundeswehr ein weiteres Sondervermögen Infrastruktur geschaffen werden.

In dem Antrag wird auf den Industrieverband BDI verwiesen, der den öffentlichen Investitionsbedarf in den kommenden zehn Jahren auf 400 Milliarden Euro schätzt. Das Institut der deutschen Wirtschaft spreche sogar von 600 Milliarden Euro. "Es ist unrealistisch und volkswirtschaftlich schädlich, die dringend und drängend notwendigen Investitionen ohne die Aufnahme von Krediten umsetzen zu wollen", heißt es. Der Entschließungsantrag wurde in die Ausschüsse des Bundesrates überwiesen.

CDA-Chef Radtke stützt Merz

Zuletzt signalisierte sogar Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, dass er eine Modifizierung inzwischen für denkbar hält: Vor einer guten Woche sagte der CDU-Politiker, für Investitionen, Fortschritt und "für die Lebensgrundlage unserer Kinder" könne die Schuldenbremse reformiert werden - nicht aber für Konsum oder höhere Sozialausgaben.

In der Union ist die Frage allerdings umstritten. Für eine Reform spricht sich der Vorsitzende des einflussreichen Arbeitnehmerflügels CDA, Dennis Radtke, aus. "Mit Blick auf notwendige Investitionen bei der Bundeswehr, mit Blick auf Infrastruktur, mit Blick auf Bahn, werden wir vermutlich an diesem Thema in der nächsten Legislaturperiode nicht vorbeikommen", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters und machte zugleich deutlich: "Klar muss sein: Wer eine Schuldenbremse reformiert, der darf das nicht tun, um damit in Zukunft Renten und Bürgergeld zu finanzieren."

Künftige Mehrheitsverhältnisse unklar

Klar ist: Ohne eine Zustimmung von CDU/CSU ist keine Reform möglich. Denn weil die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert ist, wird für eine Änderung eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat benötigt. Je nach Ausgang der Bundestagswahl könnten AfD und BSW eine entsprechende Mehrheit aber verhindern.

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