Sachverständigenrat für Umweltfragen
Hintergrund

Sachverständigenrat für Umweltfragen Nicht immer einer Meinung

Stand: 14.05.2020 10:17 Uhr

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen ist ein wissenschaftliches Gremium, das die Bundesregierung zur Umweltpolitik berät. Doch auch eines, das abweichende Meinungen anscheinend nicht immer schätzt.

Von Kirsten Girschick, ARD Berlin

Eine abweichende Meinung, ein Sondervotum? Das ist in wissenschaftlichen Gremien, die die Bundesregierung beraten, durchaus normal. Jahrelang gab es in den Berichten der sogenannten "Wirtschaftsweisen" regelmäßig Sondervoten des gewerkschaftsnahen Würzburger Volkswirten Peter Bofinger.

Ob zur Rolle des Staates in der Dieselkrise, oder zur Schuldenbremse - Bofingers Sondervoten stachen heraus. Die Wirtschaftswissenschaftler hatten anscheinend wenig Probleme damit, auch vollkommen andere Sichtweisen in ihr Gutachten mit aufzunehmen. Einmal kam es zwar sogar zum öffentlichen Krach, aber der änderte nichts an den umfangreichen abweichenden Voten Bofingers.

Abweichende Voten - zumindest unüblich

Für den Sachverständigenrat für Umweltfragen ist es dagegen eine zumindest ungewöhnliche Situation, dass es im Gutachten "Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa" überhaupt zwei Sondervoten gibt. In der Geschichte des Sachverständigenrats, der seit 1971 die Bundesregierung in Umweltfragen berät, gab es vor 2016 nämlich kein einziges Mal abweichende Voten.

Das Ratsmitglied Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik, machte zu zwei Kapiteln abweichende Meinungen geltend: "Weniger Verkehrslärm für mehr Gesundheit und Lebensqualität" und "Aktive und umweltfreundliche Stadtmobilität: Wandel ermöglichen". Die pauschale Forderung nach weniger Autoverkehr in der Stadt, den die anderen Ratsmitglieder vertreten, lehnt sie ab. Statt einer PKW-Maut für Städte befürwortet sie eher die Einführung eines CO2-Emissionshandels im Verkehrssektor.

"Demokratisch bedenklich"

Es ist nicht das erste Mal, das Messari-Becker abweichende Auffassungen vertritt. Bereits 2019 bei der Erstellung des vorherigen Sondergutachtens: "Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen" - geriet sie in Konflikt mit anderen Ratsmitgliedern. Im Gutachten wurden ein "Rat für Generationengerechtigkeit" vorgeschlagen. Das Gremium sollte mit einem aufschiebenden Vetorecht bei der Gesetzgebung ausgestattet werden, wenn Gesetze aus seiner Sicht nicht nachhaltig genug seien.

Messari-Becker hielt diese Macht für ein nicht-gewähltes Gremium für demokratisch bedenklich. Ihre abweichende Auffassung wurde allerdings nur in die Langfassung des Gutachtens aufgenommen, in der von den meisten gelesenen Kurzfassung taucht noch nicht einmal ein Hinweis auf ihre Kritik auf.

Lamia Messari-Becker (Quelle: umweltrat.de)

Messari-Becker teilte einige Einschätzungen des Gutachtens nicht.

In der Langfassung wurde ohne ihr Wissen angemerkt, Messari-Becker habe ihr Votum verspätet eingereicht, so dass es nicht mehr diskutiert werden konnte. Das ärgerte die Wissenschaftlerin, so dass sie beim aktuellen Gutachten per Anwaltschreiben darauf bestand, dass ihr Votum unkommentiert abgedruckt wird. In der Kurzfassung des Gutachtens findet sich diesmal auch ein Hinweis darauf, dass es eine abweichende Meinung gibt.

"Wann immer möglich im Konsens"

Einen Konflikt im Vorfeld des diesjährigen Gutachtens weist der Sachverständigenrat für Umweltfragen auf Anfrage zurück. Grundsätzlich gelte: "Der Einrichtungserlass des SRU sieht die Möglichkeit von 'abweichenden Auffassungen' ausdrücklich vor. Dies ist sinnvoll, damit auch fachliche Positionen von Minderheiten sichtbar gemacht und begründet werden können. Die Ratsmitglieder bemühen sich jedoch, im Verlaufe von intensiven Diskussionsprozessen wann immer möglich zu konsensualen Texten zu kommen."

Dies sei oft, aber eben nicht immer sinnvoll, entgegnet Messari-Becker: "Uniformität und immer nur eine einheitliche Meinung suggeriert, dass es nur "den" einen Weg, "die" eine Empfehlung gibt. In der Politik ist das zu oft schlicht falsch. Es gibt in der Regel mehrere Handlungsoptionen und Spielräume für politische Entscheidungen. Die Aufgabe eines Beratungsgremiums sehe ich darin, Optionen aufzuzeigen. Die Entscheidung fällt dann die demokratisch legitimierte Politik."

Im Bereich der Umwelt- und Klimafragen gebe es nun mal oft mehrere Wege, das gewünschte Ziel zu erreichen. Weiter für diese Pluralität um Umweltrat streiten wird Messari-Becker nicht. Für die nächste Ratsperiode wurde sie nicht erneut in das Gremium berufen.

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