Interview

ARD-Rechtsexperte zum NSU-Prozess-Auftakt "Zschäpe - aufmerksam und interessiert"

Stand: 06.05.2013 14:48 Uhr

Zum Auftakt des NSU-Prozesses richteten sich alle Augen auf die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Selbstbewusst und ohne Reue trat die mutmaßliche NSU-Mörderin vor dem Gericht auf. Über den Prozessauftakt sprach tagesschau.de mit ARD-Rechtsexperte Bräutigam.

tagesschau.de: Welchen Eindruck hatten Sie vom heutigen ersten Prozesstag?

Frank Bräutigam: Der Ton im Gericht, auch von den Richtern, war ruhig und freundlich. Durch die voll besetzten Bänke war die Luft im Saal stickig. Inhaltlich ging es zu Beginn der Verhandlung um einen Befangenheitsantrag der Verteidigung, die kritisiert, dass die Anwälte von Zschäpe durchsucht werden, bevor sie den Saal betreten. Gerade für Terrorismusverfahren ist es sehr typisch, dass solche Anträge gestellt werden, noch bevor überhaupt die Anklage verlesen wurde. Da nehmen die Verteidiger gerne ihre Rechte wahr.

tagesschau.de: Wie haben die Anwälte der Nebenkläger auf diesen Antrag reagiert?

Bräutigam: Die Opferanwälte haben den Antrag sofort kritisiert und ihn als Verzögerungstaktik beschrieben. Das verlängere die Qual der Opfer. Da keimte ein Konflikt auf, der uns noch häufiger beschäftigen könnte. Zwischen der Verteidigung, die ihre prozessualen Rechte wahrnehmen will, und den Nebenklägern, die möglichst schnell im Prozess voran kommen wollen.

tagesschau.de: Auf den Fernsehbildern wirkt Beate Zschäpe selbstbewusst. Wie war Ihr Eindruck von der Hauptangeklagten?

Bräutigam: Als sie reinkam, hat sie uns schnell den Rücken zugewendet. In der Verhandlung selbst habe ich sie als sehr aufmerksam und interessiert wahrgenommen. Als die Vertreter der Nebenklage vorgestellt wurden, hat sie sich diese sehr genau angeschaut. Zwischendurch hat sie öfters mit ihren Verteidigern gesprochen und sich Notizen auf ihrem Laptop gemacht.

tagesschau.de: Wie haben die anderen Angeklagten gewirkt?

Bräutigam: Von den fünf Angeklagten wirkte Frau Zschäpe am interessiertesten. Die anderen wirkten eher unbeteiligt und ließen die Verhandlung über sich ergehen. Da habe ich keine besonderen Gemütsregungen bemerkt.

tagesschau.de: Wie haben die Hinterbliebenen reagiert, als Zschäpe und die anderen in den Saal geführt wurden?

Bräutigam: Als die Angeklagten reinkamen, konnten wir leider noch nicht die Regungen der Nebenkläger sehen, weil sie direkt unter unserer Pressetribüne sitzen. Während der Verhandlung war dann eine Kamera auf die Nebenkläger gerichtet, deren Bild an die Wand des Saals übertragen wurde. So hatten wir die Möglichkeit, das Geschehen im Besucherraum zu verfolgen. Da blieb es während der Verhandlung aber ruhig.

tagesschau.de: 80 Verhandlungstage sind bisher angesetzt. Glauben Sie, dass das Gericht damit auskommt?

Bräutigam: Der Verlauf des Vormittags könnte ein Anzeichen dafür sein, dass 80 Tage nicht ausreichen, weil es noch sehr viele Verfahrensfragen geben wird. Das wird alles noch vor der eigentlichen Aufklärung der NSU-Morde passieren. Man merkt bereits jetzt, dass es sehr lange dauert, wenn alle Nebenkläger von ihrem Rederecht Gebrauch machen. Bis Januar 2014 wird es definitiv kein Urteil geben. Ich denke, das Verfahren könnte durchaus etwa zwei Jahre länger dauern.

tagesschau.de: War das Akkreditierungs-Chaos der vergangenen Wochen heute noch ein Thema unter den Journalisten?

Bräutigam: Unter den Journalisten war es eigentlich eine recht konzentrierte aber auch gelöste Stimmung. Man hat sich ausgetauscht und viel geredet. In den Pausen sind die Arbeitsbedingungen im Gericht wirklich ungewöhnlich. Wir Journalisten dürfen von der Pressetribüne in einen Vorraum hinaustreten, wo es eine Bewirtung gibt. Wir dürfen das Gebäude aber nicht verlassen. Sonst würden wir unseren Platz im Saal verlieren. Das ist durchaus ungewöhnlich.

Unter den Berichterstattern war übrigens auch der freie Journalist Martin Lejeune. Er hatte im ersten Akkreditierungsverfahren einen festen Sitzplatz bekommen, war in der zweiten Runde aber leer ausgegangen. Er sagte mir, er habe sich für viele Stunden angestellt und schließlich einen der Besucherplätze ergattert. Gegen 11:30 Uhr kam auch der türkische Botschafter ins Gericht. Ob er einen festen Platz bekommen sollte, war im Vorfeld der Verhandlung auch ein Streitpunkt gewesen.

tagesschau.de: Sie sind schon lange Prozessbeobachter. Ist das heute für Sie persönlich trotzdem ein besonderer Tag bei Gericht?

Bräutigam: Das ist definitiv ein besonderer Tag. Man hat das in den Minuten vor zehn Uhr, vor dem Prozessbeginn, gespürt. Da haben alle sehr angespannt zugeschaut. Wir reagieren die Angeklagten auf das Blitzlichtgewitter? Wie schauen sie? Da habe ich schon gemerkt: Das hier ist ein besonderes Verfahren.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de

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