Grünen-Chef Nouripour vor grüner Wand
Analyse

Grünen-Parteichef Nouripour Der Mann für die Hintergrund-Musik

Stand: 28.08.2022 08:01 Uhr

Das Führungsduo der Grünen hat sich scheinbar aufgeteilt: Ricarda Lang als laute Vorkämpferin, Omid Nouripour als zurückhaltender Moderator. Doch nun könnte der 47-Jährige an seine Grenzen kommen.

Eine Analyse von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Es sind ungewöhnliche Worte eines Grünen-Chefs, der sich selbst als "Hüter und Verfechter" seines Parteiprogramms sieht: "Gut und richtig" sei vieles, was die Bundesregierung gerade tue, sagte Omid Nouripour Ende August bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Sommerpause. Er dankte SPD-Bundeskanzler und FDP-Verkehrsminister dafür, dass sie beim 9-Euro-Nachfolgeticket nicht komplett die Tür zugeschlagen haben. Er lobte die Liberalen in Sachen Tierwohl. Das alles dürften viele Grüne anders sehen.

Noch bei seiner Wahl zum Parteichef im Januar hatte Nouripour ein scharfes Profil angekündigt: Das eigene Wahlprogramm sei "Grundlage für all die Dinge, die nicht im Koalitionsvertrag geregelt sind". Jetzt ist Krieg - und der Koalitionsvertrag in Teilen aus der Zeit gefallen. Vieles ist dort nicht geregelt, die Ampel muss sich vortasten. Doch wo ist die grüne Linie? Und wie sehr will Nouripour für sie kämpfen?

"Stresstest" als Belastung für die Grünen

Kohlekraftwerke wieder ans Netz, massiv LNG-Terminals ausbauen, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete - das stand so nicht im Programm. Eine der größten Zumutungen könnte aber in den nächsten Tagen kommen: Der lang erwartete "Stresstest", der entscheidet, ob die Atomkraft wirklich zum Jahresende abgeschaltet wird. In den vergangenen Wochen schien es immer wieder so, als ob sich die Grünen schon die Brücke dahin bauen, dass zumindest Isar 2 in Bayern länger laufen müsse.

An der Basis hat man die Kehrtwenden bislang relativ geräuschlos geschluckt. Die Wahlerfolge und die Beliebtheitswerte der grünen Minister haben wohl manches zugekittet. Die Atomfrage aber ist für viele, gerade aus der älteren Generation, eine der Gründungsideen der Partei. Und ein Ja zum Streckbetrieb, also einer begrenzten Laufzeitverlängerung, würde den Wahlkämpfern in Niedersachsen nicht gerade helfen.

Auf der Sommertour zum Discounter

Es sind Zumutungen allerorten: Lehrte bei Hannover, eine Lagerhalle des Discounters Aldi. Nouripour ist hier auf seiner Sommertour, zwischen Paletten voller Fleischsalat, Grillkohle oder Kondensmilch. "Der Rundgang ist ein Appetizer", witzelt Nouripour. "Die Ware hier ist in ein oder zwei Tagen wieder draußen", erklärt der Lagerleiter dem Grünen-Chef.

Aber diese Effizienz, die ganze Logistik wackelt: Man finde nicht mehr genug Fahrer als Ersatz für die vielen ukrainischen Männer, die nun in der Heimat oder sogar an der Front sind. Und die größte Sorge ist, dass man hier im Winter nicht genug Gas und Strom bekommt.

"Also für uns ist das eine klare Forderung an die Politik", sagt Markus Dicker, Bevollmächtigter des Aldi-Verwaltungsrates und schaut Nouripour direkt an, als sie vor der Kühlhalle stehen. "Der Lebensmitteleinzelhandel muss genauso wie in der Corona-Krise zur kritischen Infrastruktur zählen." Der Discounter will weiter mit Energie versorgt werden, wenn andere Unternehmen vielleicht schon mit Mangel wirtschaften müssen - eine heikle Frage. Bislang wird vor allem Krankenhäusern, Feuerwehren oder Privathaushalten Priorität eingeräumt.

Nouripour hält das Thema kurz, geht nicht ins Detail. Er sagt eine "stabile Versorgung" zu: "Es wird keinen Tag geben, wo wir Probleme haben." Ein vollmundiges Versprechen. Eins, an dem sich die Grünen bald messen lassen müssen.

Ricarda Lang und Omid Nouripour

Sie geht voran: Während Lang öffentliche Auftritte sucht, hält sich Nouripour erkennbar zurück.

Nouripour hält sich zurück

Nouripour hat bislang versucht, solche Themen zu glätten, die Zwickmühle der grünen Minister zu erklären - oder er hat sich einfach gar nicht geäußert. Seine Co-Chefin Ricarda Lang ist in Talkshows und sozialen Medien ohnehin wesentlich präsenter als er, auch mit streitbaren Positionen.

Beide aber verlassen sich auf die Strahlkraft ihrer Minister, vor allem Robert Habeck und Annalena Baerbock. Gerade Habeck personifiziert das Thema Energie und Einsparungen. Die Gefahr: Im Winter könnte ihm die Schuld gegeben werden für jedes Grad weniger in Wohnungen oder Büros, für horrende Rechnungen oder Gasmangel der Industrie. Die Grünen könnten dann wieder als Partei der Besserwisser und Besserverdiener gelten, die zu wenig auf die Nöte der "normalen" Bevölkerung achte. Ein Etikett, das man eigentlich los sein wollte.

Belastungsprobe für seinen Kurs im Herbst

Diese Schulddiskussion sei "sehr besorgniserregend", sagt Nouripour. Und fügt hinzu: Er sei froh, dass "an entscheidender Stelle unsere Leute kämpfen". Auch damit meint er nicht die beiden Parteichefs, sondern die grünen Minister.

Für Nouripours Kurs, für seine Interpretation des Parteivorsitzes, wird dieser Herbst eine Belastungsprobe. Glätten, delegieren oder schweigen - das könnte dann auch in der eigenen grünen Blase nicht mehr reichen. Für den Parteitag im Oktober haben Altgrüne wie Jürgen Trittin schon gefordert, dass ein AKW-Streckbetrieb nur mit Delegierten-Beschluss zu haben sein sollte. Dann müsste sich auch Nouripour positionieren.

Bislang hat er noch keine Strategie für den Herbst ausgegeben. Und seine Rolle als Chef sieht Nouripour auf dem nächsten großen Parteitag eher darin, für guten Sound zu sorgen: "Ich habe mich schon als DJ beworben."

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