Ein Streikposten steht vor dem Recycling-Betrieb SRW
mittendrin

Recycling-Firma in Espenhain Einer der längsten Streiks in der Geschichte der IG Metall

Stand: 14.03.2024 11:02 Uhr

Im sächsischen Espenhain streiken die Mitarbeitenden einer Recyclingfirma seit mehr als vier Monaten. Laut IG Metall ist das einer der längste Streik in der Geschichte Deutschlands. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Von Marie-Kristin Landes, MDR

In einer rostigen Tonne vor dem Werkstor lodern Flammen hoch. Gerade erst wurde Holz nachgelegt. Die Sonne scheint an diesem Freitagmorgen. Trotzdem ist es kühl, ein leichter Wind bläht die Streikbanner auf. Um die Feuertonne stehen in leuchtend gelben Warnwesten der IG Metall die Mitarbeitenden von SRW metalfloat. Es ist ihr 122. Streiktag in Folge.

"Wir streiken für unsere Rechte, dass wir einen gerechten Lohn bekommen und ja, dass das Arbeiten wieder Spaß macht," sagt Ronny Wölk. Der Konstruktionsmechaniker ist Schichtleiter bei SRW. Im Drei-Schicht-System recyceln sie Metallschrott. Trotzdem bekommen die meisten hier nur etwa 13,60 Euro Stundenlohn.

Ronny Wölk und seine Kolleginnen und Kollegen fordern deshalb einen Tarifvertrag, acht Prozent mehr Lohn und, dass die Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden reduziert wird. "Sie haben es mit Staubbelastung, mit Lärm, mit Hitze, mit Kälte zu tun. Es werden per Hand Metalle sortiert", erklärt Streikleiter Michael Heckler. "Das ist sehr harte anstrengende Arbeit für gerade mal etwas mehr als Mindestlohn."

IG Metall spricht von Gesprächsverweigerung

SRW ist eine Tochterfirma von "Scholz Recycling" aus Baden-Württemberg. 2016 wurde das damals angeschlagene Unternehmen von Chiho-Tiande aus China gekauft. Im März vergangenen Jahres traten die Mitarbeitenden mit ihren Forderungen an die Geschäftsführung heran. Zu richtigen Verhandlungsgesprächen kam es laut IG Metall jedoch nie. Nach einer Ur-Abstimmung stimmten 89,3 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bei SRW für einen unbefristeten Streik. Seit dem 8. November stehen sie jetzt vor den Werkstoren.

Der chinesische Firmeninhaber schweigt, heißt es. "Wir haben ihn mehrmals angeschrieben. Wir haben es mehrmals über verschiedene Kanäle versucht und deutlich signalisiert: Wir sind an einer Lösung interessiert", sagt Hecker. Die IG Metall wirft dem Unternehmen vor, Gespräche zu verweigern.

Ein vom Unternehmen eingesetzter Sprecher teilt auf Nachfrage mit, es habe ein Angebot gegeben, das den Forderungen der Gewerkschaft weitgehend entsprochen habe. Dieses sei abgelehnt worden. Das Unternehmen sei bereit, mehr Lohn zu zahlen. Eine 37,5-Stunden-Woche bei vollem Entgeldausgleich sei "für 80 Prozent der Mitarbeitende bereits Realität". Abgelehnt werde der Tarifvertrag. Doch der ist die Kernforderung der Streikenden.

Rekordstreik und kein Ende in Sicht

Vier Monate wird jetzt schon durchgehend gestreikt. 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Völlig still stehen die Anlagen bei SRW deshalb nicht. Von den 196 Mitarbeitenden streiken nur etwa 90, heißt es aus dem Unternehmen. Es gibt Streikbrecher, sagt Michael Hecker von der IG Metall: "Unter anderem auch Kolleginnen und Kollegen, die befristete Verträge haben." Der Arbeitgeber habe von Beginn an die Ansage erteilt: Wer sich von den Befristeten am Streik beteilige, dessen Vertrag werde nicht verlängert. Das sei natürlich ein Druckmittel.

Der Streik in Espenhain ist einer der längsten Streiks in der Geschichte der IG Metall. Um das durchzuhalten, wird in Schichten gestreikt. In einem Container neben dem Werkstor liegen Listen aus. "Ich warte, bis sich immer alle eingetragen haben, dann gucke ich wo die meisten sind", erzählt Ronny Wölk und überfliegt die Liste der kommenden Woche. "Dort, wo noch ein paar Leute fehlen, gucke ich immer, dass ich das eingerichtet bekomme."

Gestreikt wird in Vier-Stunden-Schichten. Die Nachtschicht geht von 22.00 bis 6.00 Uhr morgens. "Ist auch nicht ganz einfach durchzuhalten bei Wind und Wetter. Es vergeht auch schlecht die Zeit. Aber wie gesagt: Auch in der Nacht muss jemand da sein."

 

Beschäftigte des Recyclingbetrieb SRW metalfloat stehen an einer Feuerstelle.

Seit dem 8. November 2023 befinden sich die Mitarbeiter von SRW metalfloat im unbefristeten Streik.

Gedanken ans Aufgeben?

Die Wände des Containers sind übersät mit Solidaritätsbekundungen anderer Gewerkschaften, Zeitungsausschnitten und Fotos. Es gibt warmes Essen, Brötchen, Kaffee und Tee. In einer der hinteren Ecken wird Darts gespielt. Die meisten dieser Streikschicht sitzen jedoch an einem der Biertische und wärmen sich auf.

Unbefristeter Streik - denken manche auch ans Aufgeben? "Ja klar, es zehrt irgendwann an den Nerven sage ich mal. Aber wir haben ein Ziel und das wollen wir erreichen", sagt Carsten.

Seine Kollegin Heike, die eine Bank weiter sitzt, erwidert: "Ich habe so ein Tief nicht." Wenn es mal ein Tief gebe, baue "unser Spaßmacher" alle wieder auf, erklärt Jörg und grinst zu Spaßvogel Andreas rüber. "Ich heitere eigentlich niemanden auf, nur dumme Sprüche", wiegelt dieser ab, woraufhin alle laut lachen.

Durch den Streik sei die Gemeinschaft noch enger geworden, findet Ronny Wölk, der sich mit einer Tasse Kaffee dazu gesetzt hat. "Ich meine: Reingehen ist auf jeden Fall keine Option mehr." Als er das sagt, stimmen nacheinander alle mit ein: "Auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Wir ziehen das durch!"

"Was ist unsere Superkraft? Solidarität!"

Nach vier Stunden Streikschicht fährt Wölk nach Hause. Im Auto erzählt er, dass es nicht nur Zuspruch gibt. Ein Streikbanner wurde zerschnitten. Es wurde Anzeige erstattet, die Polizei ermittelt. Heute wurde ein zerstörtes Schild gefunden. Zusammengefallen mit zersplittertem Holzgerüst liegt es am Straßenrand. "Da sieht man ja auch, wie mutwillig das kaputt gemacht wurde. Also das kann nicht der Wind gewesen sein", sagt der 27-Jährige im Vorbeifahren.

Er wohnt nur wenige Kilometer entfernt von SRW. Zuhause angekommen checkt er Jobangebote. Vier Monate Streik bedeuten auch vier Monate keinen Lohn. Die IG Metall zahlt Streikgeld, das liegt jedoch 20 bis 30 Prozent unter dem, was er als Schichtleiter bekommt. Er komme damit zwar gut zurecht, "große Sprünge" könne er damit aber nicht machen.

Er hat einen kleinen Sohn, besucht nebenberuflich die Meisterschule, die er aus eigener Tasche zahlt. "Ich will meinen Kindern auch was bieten können und von daher bleibt mir halt nichts anderes übrig, als mich da umzugucken und etwas Neues zu suchen."

Mit dem Gedanken, bei SRW aufzuhören und sich etwas Neues zu suchen, sei er nicht allein. Doch es falle ihm auch schwer. Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen ist er schon seit Jahren im Unternehmen. Er schätzt die Nähe zu seinem Wohnort und seiner Familie. Und da ist weiterhin die Hoffnung, dass sie einen Tarifvertrag erkämpfen.

Gerade in den vergangenen Wochen wurde die Aufmerksamkeit für ihren Dauerstreik größer. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD), Gregor Gysi (Die Linke) sowie zahlreiche weitere Personen aus Bundes- und Landespolitik haben die Streikenden in Espenhain besucht. Alle haben ihn Unterstützung versichert.

Doch welche Optionen gibt es überhaupt? Gemeinsam mit der IG Metall wollen Ronny Wölk, seine Kolleginnen und Kollegen jetzt den Druck erhöhen. Am Donnerstag werden sie nach Berlin fahren, um vor der chinesischen Botschaft zu demonstrieren. Dann wird auch dort ihr Schlachtruf zu hören sein: "Was ist unsere Superkraft? Solidarität!"

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