Polizisten bei einer Kundgebung gegen die AfD in Essen
Mittendrin

Anti-AfD-Demos Bleibt in Essen alles friedlich?

Stand: 29.06.2024 07:55 Uhr

Wochenlang haben Protestbündnisse zum AfD-Parteitag in Essen ihre Demonstration vorbereitet. Es könnten die größten Kundgebungen werden, die die Ruhr-Stadt je erlebt hat - aber auch der größte Polizeieinsatz.

Wasserwerfer, Hunderte Polizisten und viele Polizeieinsatzwagen formieren sich im frühen Morgengrauen um die Grugahalle in Essen. Nicht ohne Grund, denn die ersten Demonstranten sind früh da. Mit Trompetengeräuschen bläst das Aktionsbündnis "Widersetzen" zum ersten Protest. Sie haben zivilen Ungehorsam angekündigt. "Alerta Antifascista" schallt es durch die polizeilich abgesperrten Straßen.

Laut Polizei versuchte eine größere Personengruppe gegen 5.45 Uhr, eine Sperrstelle zu überwinden. Dies sei unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken verhindert worden.

Friedlich ging es am Freitagabend zu. Da donnerte Partymusik durch die Essener Innenstadt. Es waren Tausende gekommen, die allerdings zur Technomusik nicht feierten, sondern demonstrieren wollten. Unter ihnen ist auch Hannah Hübecker. Die Medizinstudentin lebt für diesen Protest und hat ihn wochenlang mit organisiert.

Vor allem die vergangenen Tage bestanden für sie überwiegend aus Essen, Schlafen und Organisieren. "Zu sehen, dass so viele kommen und ihre Meinung auf die Straße bringen, ist großartig", sagt Hübecker. "Wir starten jetzt in ein Protestwochenende voller Aktionen."

Demoplanung im Keller

Die Rave-Demo am Freitag, die in den späten Sonnenstunden quer durch die Stadt bis an die Grugahalle führte, war der Auftakt. Dort hält die AfD an diesem Wochenende ihren Bundesparteitag ab. Gegen 21 Uhr kamen die Demonstranten an - unter ihnen waren mehrheitlich junge Menschen.

Viele trugen Plakate mit Botschaften wie "Nazis raus" oder "Hass hat keinen Platz in Essen". Hübecker betont: "Diesen Parteitag wollen wir hier nicht haben. Und daher wollen wir auch gemeinsam laut sein. "Gemeinsam laut", so heißt auch das Aktionsbündnis, dem sie angehört.

Mehrere Initiativen haben sich unter dem Bündnis zusammengetan und den Plan geschmiedet, laut gegen die AfD zu sein. In ihrem Protestbüro hängt ein Plakat: "Die Stadt Essen hat keinen Platz für Rechtsextremismus". Es ist ein Motto, dem hier alle folgen.

Mitte der Woche saßen die Mitglieder in einem Keller, an einem großen, ovalen Tisch und erörterten mithilfe eines Beamers die Demoplanung für das Wochenende. Vor allem die Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres zu "Remigrations"-Plänen - also Plänen, Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland auszuweisen - brachte die Demo-Organisatoren vor Monaten schon zusammen.

Hübecker: Entsetzen über Behindertenfeindlichkeit

Hübecker hat aber auch noch eine weitere, sehr persönliche Motivation. Denn sie braucht für längere Gänge einen Rollator: "Dadurch, dass ich eine Behinderung habe und viele Aussagen der AfD auch in Richtung Ableismus, also in Richtung Behindertenfeindlichkeit gehen, bin ich auch persönlich sehr sauer, wütend, traurig", erzählt die 22-Jährige.

"Vor allem, wenn ich dann in den Nachrichten mitbekomme, dass eine Partei wie die AfD so viele Stimmen bei der Europawahl hat, die will, dass Leute wie ich gar nicht existieren." Hübecker hofft daher auf gut 45.000 Demonstrierende.

Anwohner machen sich Sorgen

Über das ganze Wochenende gesehen rechnet die Polizei sogar mit gut 80.000 Protestteilnehmern. Die ersten Aktionen sind bereits in den Morgenstunden losgegangen. Das Aktionsbündnis "Widersetzen" hat Aktionen des zivilen Ungehorsams angekündigt.

Es sind jene Aktionen, zu denen die Polizei Essen auch angekündigt hat, notfalls hart durchzugreifen. Das Aufgebot ist generell groß, die Grugahalle weiträumig abgesperrt. Der anliegende Stadtteil Rüttenscheid ist in weiten Teilen nur eingeschränkt betretbar.

Einige Anwohner im nahgelegenen Stadtteil machen sich Sorgen. Manche Läden schließen sogar. "Ich bin lange kein AfD-Wähler, aber auch die haben ja ein Anrecht auf einen Parteitag", erklärt ein Anwohner. Nicht wenige sind froh, wenn das Wochenende wieder vorbei ist.

Polizeieskorte schützt Weidel

Denn es wird eben nicht nur die wohl größte Demonstration, die Essen je gesehen hat, sondern auch der größte Polizeieinsatz - auch weil sich Hunderte gewaltbereite Linksextreme angemeldet haben, die sich unter die friedlichen Demonstrierenden mischen wollen. Monatelang haben sie wohl online und europaweit Absprachen getroffen.

Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wurde gestern mit Polizeieskorte zur Grugahalle gebracht. Sie hat eine klare Meinung - zu den mehrheitlich friedvoll angekündigten Demonstrationen: "Ich mache mir große Sorgen."

Es seien massive Sicherheitsmaßnahmen nötig. "Hier sind Polizisten und Sicherheitspersonal gefährdet - unsere Delegierten morgen und auch unsere Gäste". Das, was sich in Essen abspiele, sei einer Demokratie unwürdig. "Wir sollen hier an der Ausübung unserer Rechte als Partei gehindert werden und das ist skandalös."

Essen hatte versucht, den Mietvertrag zu kündigen

Skandalös hält sie auch den Versuch der Stadt, ihrer Partei den Mietvertrag noch kurz vorm Parteitag zu kündigen. Es war ein Versuch des Oberbürgermeisters, mit dem dieser selbst seit Wochen im Zentrum der lokalen Berichterstattung stand. Doch die Stadt scheiterte mit dem Versuch, nachträglich die Auflagen zu ändern.

Sie hatte von der AfD verlangt, dafür zu sorgen, dass auf dem Parteitag rechtsextreme Parolen unterbunden werden. Die Stadt gab der Partei Zeit, bis zum 4. Juni dieser Bedingung zuzustimmen. Andernfalls werde der Mietvertrag für die Grugahalle gekündigt.

Die AfD wollte dies nicht akzeptieren und erhielt die Kündigung. Die Partei konnte sich auf Rechtsweg erfolgreich dagegen wehren. Viele Juristen hatten bereits vorausgesagt, dass so eine Art der Kündigung nicht juristisch wasserfest sei.

Bürgermeister Kufen: Brauchen Parteitag nicht

Die Stadt wollte es trotzdem versuchen, sagt Oberbürgermeister Thomas Kufen von der CDU: "Wir brauchen diesen Parteitag in Essen nicht und insofern hätten wir uns auch gewünscht, dass sich die AfD einen anderen Parteitag aussucht."

Essen sei eine Stadt mit 600.000 Einwohnern. 200.000 davon hätten selber einen Migrationshintergrund. "Es gibt keine Partei in Deutschland, die so spaltet, so polarisiert, auch gerade beim Thema Integration und Zuwanderung wie die AfD", erklärt Kufen.

Auch der Evonik-Chef will kommen

Genau deshalb würden sie auf die Straße gehen, betont Hübecker. Sie bereitet sich nach einem für sie erfolgreichen ersten Demoabend am Freitag nun auf den nächsten Demotag vor. Mittags wollen sie an der Grugahalle vorbei so lautstark vorbeiziehen, "dass die AfD uns gar nicht überhören kann", betont die Medizinstudentin.

Bei einem Bühnenprogramm werden dann auch der Oberbürgermeister, der Chef des Essener Unternehmens Evonik und weitere Größen und Prominente sprechen wollen. Ein breites Bündnis aus Zehntausenden, die klar sagen wollen: Die AfD sei in Essen einfach unerwünscht.

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