Politikwissenschaftler im Interview "Stoiber verunsichert die CSU"
Pauli
Die Zustimmung der Bundesbürger zur Arbeit des bayerischen Ministerpräsidenten ist laut ARD-Deutschlandtrend auf den niedrigsten Stand seit Februar 2006 gesunken. Stoiber habe in der Spitzel-Affäre um die CSU-Landrätin Pauli weiter an Prestige verloren und damit seine Leistungsbilanz entwertet, meint der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im Interview mit tagesschau.de. Die CSU-Spitze sei verunsichert - auch, weil sie gezwungen gewesen sei, sich vorzeitig mit Stoiber zu solidarisieren.
tagesschau.de: Herr Oberreuter, der jüngste Deutschlandtrend weist für Edmund Stoiber außerordentlich schlechte Zahlen auf. Fast zwei Drittel der Unionsanhänger glauben, dass er die Chancen der CSU bei der nächsten Landtagswahl schmälert. Ist er noch zu halten?
Heinrich Oberreuter: Stoiber selbst ist natürlich in einer schlechten Situation: Seit seinem verweigerten Wechsel nach Berlin bleibt die Lage für ihn unangenehm. Er hat an Prestige und Charisma verloren. Seitdem gibt es gerade an der Basis der Wählerschaft und der eigenen Partei eine tiefe emotionale Verunsicherung, die durch den Pauli-Paukenschlag fortbesteht.
tagesschau.de: Dann ist doch die Nibelungentreue des Parteivorstandes, der Stoiber nun sogar vorzeitig zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Herbst 2008 küren will, umso unverständlicher.
Oberreuter: Schauen Sie sich die jüngsten Umfragen an: Da wird der CSU ein astronomischer Wahlsieg vorausgesagt. Das demoskopische Tief des Ministerpräsidenten schadet der Partei nicht. Wenn man jetzt nicht will, dass Frau Pauli und andere einen permanent vor sich hertreiben, hat die CSU gar keine andere Wahl, als sich offensiv hinter dem Ministerpräsidenten zu versammeln.
"Keine Leistungsdefizite bei Stoiber"
tagesschau.de: Die CSU regiert von der Opposition unangefochten. Ist Stoiber jetzt zum größten Sicherheitsrisiko für die Partei geworden?
Oberreuter: Das wäre mir zu polemisch formuliert. Man kann Stoiber keine Leistungsdefizite nachweisen. Er bleibt aber in gewisser Weise ein Faktor der Verunsicherung. Auch, weil jetzt einfache Parteimitglieder sagen: Der hat uns so tief enttäuscht, für den kleben wir keine Plakate mehr.
tagesschau.de: Warum hat der CSU-Parteivorstand soviel Angst vor einer Mitgliederbefragung, wie sie Frau Pauli vorgeschlagen hat?
Oberreuter: Frau Pauli hat die Mitgliederbefragung natürlich nicht vorgeschlagen, um die innerparteiliche Demokratie zu stärken, sondern um einen innerparteilichen Gegner loszuwerden. Im Augenblick kann man Stoiber mit so einem Vorschlag nur schaden. Hinzu kommt: Ministerpräsidenten brauchen nicht die Zustimmung des Ortsvereins Ingolstadt, die brauchen zum Regieren das Vertrauen und die verlässliche Mehrheit ihrer Fraktion. Insofern ist das Spitzenregierungsamt nicht geeignet, innerparteilichen Befragungsinstrumenten ausgesetzt zu werden.
"Söder zeigt Realitätsverweigerung"
tagesschau.de: Wie viel Angst hat Frau Pauli der CSU-Spitze denn eingejagt?
Oberreuter: Hektisch und nervös sind die seit November 2005 und hören an allen Stellen das oppositionelle Gras wachsen. Frau Pauli hat auf jeden Fall Recht, wenn sie sich über die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte beschwert. Ich habe das Gefühl, die handelnden Personen in der CSU sind jetzt vor allem überrascht, dass Frau Paulis Opposition so viel öffentliche Unruhe und dieses Medienecho hervorgerufen hat. Es ist wieder mal Realitätsverweigerung, wenn CSU-Generalsekretär Markus Söder die Angelegenheit als Medienkampagne bezeichnet. Dass die Klausurtagung in Wildbad Kreuth im Schatten von Frau Pauli stattfindet und man zu einer vorzeitigen Solidarisierung mit Stoiber gezwungen war, hat die Partei sicher noch über das bereits vorhandene Maß verunsichert.
tagesschau.de: Hat Stoiber den rechtzeitigen Absprung verpasst?
Oberreuter: Wenn ich mir Stoibers Leistungsbilanz angucke und welche Dynamik er an den Tag legt – neulich sagte mir ein Ex-Minister: „Der arbeitet mehr als je zuvor" – dann würde ich sagen: Nein. Aber er hat sich in eine Situation hineinmanövriert, in der seine Leistungsbereitschaft entwertet wird durch den Reputationsverlust, den er erlitten hat.
tagesschau.de: Können Sie sich vorstellen, dass Stoiber – gerade weil die CSU verhältnismäßig erfolgreich ist - in seiner eigenen Wahrnehmung die Welt nicht mehr versteht?
Oberreuter: Ich glaube, dass er Schwierigkeiten hat, die Welt immer zu verstehen, wenn sie sich gegen ihn stellt. Ich fürchte, er hat auch in seiner Entourage kaum noch jemand, der ihm hilft, die Welt zu verstehen. Eine Reihe von Mitarbeitern, die seinen Weg nach oben begleitet haben, sind auf andere Positionen gewechselt. Es gibt sicher auch eine gewisse Abgehobenheit in der Staatskanzlei. Vielleicht ist das Beste an dieser Affäre, dass der ganze Apparat wieder stärker geerdet wird.
Das Interview führte Frank Thadeusz, tagesschau.de