Interview

Ströbele zu den Hafterleichterungen für Klar "Das Gericht hat sich dem politischen Druck nicht gebeugt"

Stand: 24.04.2007 16:15 Uhr

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Eine Schlappe für Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll sieht der Ex-RAF-Verteidiger Hans-Christian Ströbele in dem Gerichtsentscheid, die Haftbedingungen für den Ex-Terroristen Christian Klar zu erleichtern. Im Interview mit tagesschau.de sagte Ströbele, Goll habe sich über geltendes Recht hinweggesetzt, als er die Vollzugslockerung untersagte.

tagesschau.de: Halten Sie die Entscheidung, Christian Klar Hafterleichterungen zu gewähren, für richtig?

Hans-Christian Ströbele: Das ist sehr zu begrüßen. Die Entscheidung zeigt, dass das Gericht weitgehend unabhängig von öffentlichem, vor allem politischem Druck entschieden hat. Es gab ja eine ganze Reihe von Äußerungen vor allem aus der CDU, die gefordert haben, dass jetzt auf gar keinen Fall eine Hafterleichterung in Betracht kommen dürfe. Davon hat sich das Gericht freigemacht. Das ist auch eine Schlappe für den FDP-Justizminister von Baden-Württemberg, Ulrich Goll, der sich mit seiner Entscheidung, die Vollzugslockerungen nicht zuzulassen, nach meiner Ansicht über geltendes Recht hinweggesetzt hat.

tagesschau.de: Goll hatte geplante Lockerungen nach einem Grußwort Klars an die Rosa-Luxemburg-Konferenz im Februar ausgesetzt. Nun hat Klar bislang wenig Anzeichen von Reue oder Distanzierung gegenüber den Taten gezeigt, für die er verurteilt wurde. Muss man das nicht bei einer Hafterleichterung berücksichtigen?

Ströbele: Für Hafterleichterungen oder Haftentlassungen, die von einem Gericht zu entscheiden sind – wie etwa der Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung – ist Reue keine Voraussetzung. Da muss man nur ins Gesetzbuch schauen. Das wird bei anderen Strafgefangenen nicht verlangt und kann auch in diesem Fall nicht gefordert werden. Die Voraussetzung ist, dass von dieser Person keine Gefahr mehr ausgeht. Alle Sachkundigen haben übereinstimmend gesagt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Es wäre deshalb unverantwortlich und möglicherweise auch rechtswidrig, wenn das Gericht andere Gesichtspunkte berücksichtigen und Herrn Klar nicht die Möglichkeit geben würde, sich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Denn dann würde er irgendwann ohne Vorbereitung entlassen, und das wäre eine unzumutbare Härte für ihn und nicht zu verantworten.

"Alle Fakten müssen auf den Tisch"

tagesschau.de: Das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock ist mit Vermutungen über den Todesschützen bei der Ermordung von Siegfried Buback an die Öffentlichkeit gegangen. Muss der Fall neu aufgerollt werden?

Ströbele: Das kann man noch nicht sagen. Ich warne vor übereilten Schlussfolgerungen. Es ist aber dringend erforderlich, dass die Fakten auf den Tisch kommen. Das Bundeskriminalamt, die Bundesanwaltschaft und auch der Verfassungsschutz müssen mitteilen, wann sie von welchen Aussagen erfahren, was sie mit den Aussagen gemacht haben, wie zuverlässig die Aussagen waren und ob sie diese Informationen Gerichten, die noch über die betreffenden Taten zu entscheiden haben, zukommen lassen. Allen derzeitigen Spekulationen fehlt die Grundlage, denn es kommt auf die jeweilige Beweislage an. Und die hängt nicht nur davon ab, ob irgendjemand in einem Interview oder in einer Vernehmung sagt: ‚Ich weiß, wer die Täter waren.’

tagesschau.de: Halten Sie es für denkbar, dass der Verfassungsschutz Informationen zurückgehalten hat?

Ströbele: Nach den jüngsten Veröffentlichungen muss man annehmen, dass es so gewesen sein kann. Entscheidend ist, wann der Verfassungsschutz die Erkenntnisse hatte. Waren die betreffenden Strafverfahren schon abgeschlossen, liefen sie noch oder standen sie noch bevor? Und wie konkret waren die Aussagen, wie sehr waren sie durch andere Beweismittel abgesichert oder widerlegt? Es kommt auf die Einzelheiten an, und deshalb ist es auch wichtig, dass sich neben der öffentlichen Aufklärung auch das Parlamentarische Kontrollgremium auf meinen Antrag hin mit der Frage beschäftigt.

"Zeugenschutz darf nicht Fehlurteil riskieren"

tagesschau.de: Können Sie sich vorstellen, warum der Verfassungsschutz Erkenntnisse zurückgehalten haben könnte?

Ströbele: Es wird damit erklärt, dass man die Zeugin schützen wollte. Das ist ja auch in anderen, vergleichbaren Situationen ein Grund für Geheimhaltung gewesen. Aber ob es tatsächlich so war, wissen wir nicht. Und wenn es so war, dann wäre es trotzdem völlig unverantwortlich und weder mit rechtstaatlichen Kriterien noch dem Schutz des Rechtstaates zu vereinbaren. Wenn man riskiert hätte, dass ein Gericht zu einem Fehlurteil kommt, weil es von einer solchen Aussage nicht erfahren hat, dann hätte es andere Mittel und Wege gegeben, Zeugin und Aussage geheim zu halten, aber dem Gericht einen so genannten dienstlichen Hinweis zu geben. Das hätte möglicherweise dazu geführt, dass das Gericht die Beweis noch sorgfältiger prüft. Das ist auch in anderen Strafverfahren geschehen.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de